Ein Deutscher, der im indischen Bundesstaat Kerala in einer Kleinstadt lebt, berichtet per E-Mail seinem Freund in Deutschland davon, wie sich für ihn und andere in der täglichen Praxis die „Demonetarisierung“ darstellt, die Ministerpräsident Narendra Modi am 8. November 2016 verkündet hat. Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Adressaten drucke ich die Mails hier ab.
Anonymus, Kerala, 14. 11. 2016: So eine indische Währungsreform ist schon sehr aufregend! Alle 500,- und 1000,- Rupien Scheine, die 86% der umlaufenden Geldmenge ausmachen, wurden über Nacht für ungültig erklärt. Für ahnungslose Touristen besteht die Möglichkeit einmalig Rs. 5000,- in neue Scheine umzutauschen, allerdings wie für alle anderen auch, nur bis zum 30. Dezember. ( 1000,- Rupien sind ca. 13,80 Euro ) Blöd ist dabei, wenn manche Reisende sich für ganz schlau hielten und für ihre geplante Fahrt günstig vielleicht auf einmal 30.000,- umtauschten… Pech. Wohl auch mit Umtauschbescheinigung. Da sind sie jetzt ganz hart. Auch die tausenden Wanderarbeiter aus Orissa, Bihar und West-Bengal, die hier in Kerala ohne Papiere als Sklaven in den unmenschlichen
Sperrholzfabriken z.B. Perumbavoors arbeiten und ihr Geld bis zur Heimfahrt verstecken, haben ganz schlechte Karten! Es gibt deshalb schon kleine Unruhen.
Es gelten zum Teil sehr komplizierte Regelungen, die sich auch täglich ändern können, um seine alten, nun ungültigen Scheine in neue umzutauschen. Das Land befindet sich in einem völligen Chaos, Aufstände drohen und finden teilweise schon statt.
Unter bestimmten Voraussetzungen, die für uns zum Glück zutreffen, können wir bis zu 2,5 Lakh (Rupien 250.000,-) aber nur Rs. 49.000,- pro Tag bar auf’s Konto einzahlen, ohne Herkunftsnachweise vorlegen zu müssen, was an einer von drei Schlangen in unserer völlig verstopften Bank geschieht. Wir hatten wider Erwarten doch über zweihundert Tausender im Hause, was ich gar nicht mehr genau wußte, muß also mindestens fünf Mal in diesen Malstrom.
Man steht stundenlang an, es wird geschubst, gedrängelt und immer sind alle ganz eng aneinandergequetscht. Es stinkt, ist furchtbar heiß, zum Schneiden dicke Luft und lärmt noch mehr als sonst, weil keiner weiß wo er sich nun anstellen soll. Platziert sich einer zwei Stunden falsch, wie mir prompt passiert, muß er wieder auf „Los“. Eine Schlange ist zum Einzahlen größerer Beträge, die nächste nur zum Umtausch und die dritte für das Einzahlen kleinerer Werte sowie das Abheben frischen Geldes. Man bedenke, Frauen bilden an jedem Schalter separate Schlangen, es winden sich letztlich 6(!) Menschenreihen kreuz und quer durch den relativ kleinen Raum, vorbei an nur halboffenen mit dicken Ketten fixierten Scherengittern in den Gang die enge Treppe runter – Entsetzlich!
Dazwischen im stockdunklen Flur noch ein improvisiertes Tischchen, an dem vor Schweiß triefendes Personal sitzt, um des Schreibens Unkundigen zu helfen die Formulare auszufüllen. Durch das ganze Gedrängel schieben sich ab und zu Leute mit großen offenen Körben, gefüllt mit frischen Geldbündelhaufen die Treppen in den Bankraum hoch, erstaunlicherweise gehen, obwohl eigentlich physikalisch unmöglich, die Massen auseinander um die „Heiligkeit“ passieren zu lassen. Ist der Transport vorüber, batscht die Menge unter Geschrei, wer nun vor wem an welcher Schlange stand, wieder zusammen.
Gestern versuchte die Filialleitung Blechmarken zur Reihenfolgeregelung zu verteilen, die Menschen sprangen wie Hühner übereinander her um eine zu ergattern, – Gekreisch, Gebuffe, abgerissene Taschen, runtergefallenes, nicht wiederzufindendes Zeug… – ich kann Dir sagen!
Und dann! – Die Kassierer sitzen in den Banken immer in so kleinen extra Drahtkäfigen mit vorne einem handgroßen Loch und nur einer winzigen Tür hinten. Die Bude sah nach nur zwei Tagen aus wie Dagobert Ducks Geldspeicher, nur auf indisch! In Kartons, Schüsseln, Eimern und lose die Drahtwände hochgestapelt die alten Geldscheinbündel. Manchmal rutscht alles zusammen, wird dann mit den Füßen irgendwie weggeschoben, die Menge draußen drängt auf Abfertigung. Vollkommen überforderte Bankangestellte kommen zitternd in den Verschlag zu Hilfe und versuchen dem Geldgebirge wieder notdürftig Form zu geben und nebenbei, mit einer stotternden alten Geldzählmaschine, Ordnung in die Bleistift-und-Ratzel-Buchführung zu bringen.
Es ist nebenbei eine, wenn auch ziemlich brutale Methode, den Menschen das elektronische Bezahlen und Kreditkartenleben schmackhaft zu machen. Ich sage nur: langfristig geplante Bargeldabschaffung! Offiziell will man mit der äußerst aufwendigen Aktion das Schwarz-, Bestechungs- und Falschgeld eindämmen… Derartige Aktionen können natürlich überall auf der Welt vollzogen werden, auch in Deutschland – Vorwände finden sich immer…!
Einige Tage später, Teil II
Mittlerweile hat sich die Bankensituation, zumindest bei uns im Dorf, etwas beruhigt, ist aber dennoch angespannt und von Normalität kann keine Rede sein. Andernorts geht es jetzt erst richtig los, da ganze Geschäftszweige infolge von Bargeld- und Wechselgeldknappheit zusammenbrechen, was natürlich Kettenreaktionen auslöst und Tausende ins Elend stürzt. Hunderte Leute setzen ihrem Leben ein Ende, nicht wissend, wie sie das alles überstehen sollen; Haben sie z.B. kürzlich ihr gesamtes Land für die Behandlung einer Krankheit oder eine geplante Hochzeit verkauft, wird dieses Geld plötzlich als illegal eingestuft und erfordert ungeheure Anstrengungen es zu legalisieren, wenn überhaupt möglich. Andere, besonders Ältere und Gebrechliche brechen während des manchmal tagelang dauernden Anstehens vor und in den Banken zusammen, oft mit Todesfolge.
Zunehmende Demos, Streiks und teilweise gewalttätige Aufstände sind an der Tagesordnung, so manche Landesregierung opponiert vehement gegen die Entscheidungen und Vorgehensweise der Zentralregierung in Delhi.
Gestern, nachdem ich in unserer Bank für mich alles soweit erledigt hatte, gab ich dem sichtbar überarbeiteten Filialleiter ein Zeichen, ihn gern persönlich sprechen zu wollen. Er zuckte zusammen, fürchtete wahrscheinlich irgendeine Beschwerde meinerseits, bat mich aber dennoch in sein Büro. Ich hatte keine Klage vorzubringen, sondern ganz im Gegenteil, versicherte ihm und seinem Kollegium meine höchste Bewunderung. Hatte ich nun fünf Tage die Gelegenheit, über jeweils mehrere Stunden Zeuge der unglaublichen Belastung, welcher er und die Angestellten ausgesetzt sind, zu erleben. Unflätige Worte, Beleidigungen bis hin zu Handgreiflichkeiten gegenüber dem Personal sind keine Seltenheit. Die Mitarbeiter kommen täglich in aller Herrgottsfrühe in die Filiale, sortieren und zählen Berge von Scheinen, kommen während der radikal verlängerten Öffnungszeiten kaum zum Wassertrinken, geschweige denn Mittagessen und wenn dann gegen 20:00 der letzte Kunde widerwillig das Haus verläßt, fangen sie wieder an Geld zu sortieren und, viel wichtiger, sämtliche zehntausende Überweisungs-, Abhebungs- und Einzahlungsscheine, die auf riesigen Spießen lauern, in das Computersystem einzugeben, wozu tagsüber keine Zeit war. Vor 1:00 früh kommen sie nie nach Hause…
Er nahm das Paket Marzipan-Leedus für ihn und die Mitarbeiter entgegen, wurde ganz still und Tränen rannen ihm aus den Augen. Niemals hätte bisher ein einziger Kunde ein Wort der Anerkennung oder auch nur des Dankes für diese Mordsarbeit übrig gehabt, nun muß erst ein Ausländer kommen um dies zu tun. Er schäme sich für sein Volk mir gegenüber. Selten habe ich so tiefe emotionale Momente erlebt.
Kerala, 13. 12. 2016.
Jetzt geht es Schlag auf Schlag, – es gibt immer noch kaum Bargeld von den Banken, man mußte ja alles einzahlen und bekommt davon wöchentlich nur lächerlich wenig (Rupien 24000,- /ca. 300,- Eu) in riesigen Rs. 2000,- Scheinen, die keiner wechseln kann, ausgezahlt. Man treibt die Menschen dadurch mit Zwang zu Konteneröffnungen und bargeldlosem Geldtransfer. Dies ist aber auf Grund fehlender Infrastruktur, speziell auf dem Lande kaum durchsetzbar. Es brodelt gefährlich und nun kommt noch dazu eine Goldkonfiszierung. Wo doch der Inder Gold so liebt…
Ende
Zur Goldbeschlagnahmung hier ein Bericht mit eingebettetem, englischsprachigem Nachrichtenvideo aus Indien:
https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2016/12/09/indien-beschlagnahmt-gold-von-privaten-anlegern/