Die sozialen und die traditionellen Medien sind derzeit voll von kritischen Berichten über die Homöopathie. Einen erkennbaren Anlass scheint es nicht zu geben. Es wird vehement gefordert, die Krankenkassen dürften für diese Quacksalberei nicht mehr bezahlen. Selbst die Grünen werden auf ihrer Delegiertenkonferenz im November durch einem Antrag gegen die Homöopathie vielleicht genötigt Stellung zu beziehen. Das alles macht den Eindruck einer Kampagne.
So aufgeheizt ist die Anti-Stimmung, dass es zum bundesweit auf hoher Ebene diskutierten Skandal stilisiert wird, wenn vereinzelt ein Politiker einen Homöopathie-Hersteller in seinem Wahlkreis besucht, oder die Schirmherrschaft eines Homöopathie-Kongresses übernimmt. Die Argumente gegen die Homöopathie sind großteils valide, aber der Furor, mit dem sie vorgetragen und priorisiert werden, erstaunt sehr. Wenige Krankenkassen erstatten Ausgaben für homöopathische Präparate. Die Ausgaben dafür liegen bei etwa einem halben Tausendstel der gesamten Ausgaben für Medikamente-Erstattungen. Der FDP in Niedersachsen war es einen Antrag gegen Homöopathie zur Behandlung von Tieren wert, dass zwei (!) Kurse für Landwirte dazu Landesförderung erhalten hatten. Warum wird über so etwas so hitzig diskutiert, und nicht viel mehr darüber, wie man mit Krebsmedikamenten umgeht, die hunderttausende Euro pro Patient und Jahr kosten, oder wie man dafür sorgen kann, dass die Pharmaindustrie sich stärker auf Mittel konzentriert, die einen echten Mehrwert bringen. Da wäre im Erfolgsfall ein hohes Vielfaches an Geld zu sparen.
Tatsächlich ist es mit wissenschaftlichen Methoden nicht gelungen, homöopathischen Präparaten mit ihren extrem verdünnten Wirkstoffen eine Wirkung nachzuweisen, die größer ist als die Placebo-Wirkung. Aber was heißt das? Es heißt, dass in kontrollierten Studien, bei denen ein Teil der Patienten das Medikament, ein anderer ein Scheinmedikament (Placebo) erhält, die positive Wirkung bei den Placebo-Patienten ebenso groß ist wie die bei denen, die das echte Medikament erhalten.
Dazu sind ein paar Dinge zu sagen.
1. Der Placebo-Effekt der Besserung durch ein biochemisch wirkungsloses Medikament ist oft ziemlich groß, bei Homöopathie-Gläubigen dürfte er besonders groß sein, wenn sie die bei Homöopathen übliche Behandlung erfahren.
2. Die Anziehungskraft der Homöopathie liegt wesentlich im ganzheitlichen Ansatz, der darauf verzichtet, den menschlichen Körper auf biochemische und mechanische Funktionen zu reduzieren. Typischerweise werden im Rahmen einer umfassenden Anamnese (Befragung) auch die Ernährungsweise, sowie psychische und soziale Belastungsfaktoren, die als Krankheitsauslöser in Frage kommen, besprochen. Das kann den Patienten Hilfestellung geben, ihre Ernährung, Einstellung oder Lebensumstände zu verbessern. In den auf Medikamente der Schulmedizin zugeschnittenen Studien ist dieser vermutlich wichtigere Teil der Behandlung ausgeblendet und die Untersuchung auf die Wirkung der Kügelchen reduziert. Aber von der guten Anamnese profitieren Placebo-Patienten ebenso wie Patienten auf echten Homöopathie-Präparaten.
3. Vielleicht dient der ganze Hokuspokus der Homöopathen um das Gedächtnis des Wassers nur dazu, einen wirksamen Placeboeffekt zur Ergänzung der sonstigen Maßnahmen herbeizuführen. Damit die Patienten es leichter haben, ein Besserung wahrzunehmen und zu akzeptieren. Dann wäre das – wenn es hilft – immer noch eine gute Sache. Wahrscheinlicher war und ist der Hokuspokus ernst gemeint. Das tut der positiven Placebo-Wirkung keinen Abbruch, die erklären könnte, warum die Homöopathie sich so lange so erfolgreich halten konnte.
4. Die Menschen, die ich kenne, die der Homöopathie zumindest teilweise vertrauen (ich gehöre nicht dazu), sind allesamt sehr gesundheitsbewusst, konsumieren wenig Medikamente und kosten die Krankenkassen ziemlich sicher im Durchschnitt weniger als diejenigen, die volles Vertrauen in die Kraft schulmedizinischer Medikamente setzen.
5. Zugegeben: Es gibt das Problem, dass Menschen bei ernsthaften Erkrankungen statt auf wirksame Medikamente auf Homöopathie, Naturheilkunde oder sonstige dafür wirkungslose Behandlungsmethoden setzen. Wie verbreitet das ist, steht in Frage. Denn die Gegenmaßnahme ist klar. Wer als Arzt so etwas unterstützt, muss zur Rechenschaft gezogen werden. Das geschieht auch.
Mein Resümee: In dem Maße wie die Kampagne gegen die Homöopathie Erfolg hat, wird unser Gesundheitssystem teurer, aber nicht wirksamer. Nur die Pharmabranche verdient mehr.
[28.10.2019]