Uta Meier-Gräwe. Bei den pflegenden Berufen handelt es sich meist um typische Frauenberufe, die auch deswegen schlecht bezahlt werden. Hinzu kommt ein großer Nachteil bei der Rente. Frauen beziehen über 40 Prozent weniger Altersrente als Männer. Zu den Gründen gehört die unbezahlte Carearbeit in der Familie, die immer noch ganz überwiegend von Frauen übernommen wird. Deshalb sind Teilzeit- oder Minijob mittlerweile fast zur Norm unter Müttern geworden ist – trotz ihrer guten Bildungsabschlüsse. Das Sozialversicherungssystem – ausgerichtet auf eine vollzeiterwerbstätige Person ohne Lücken in der Erwerbsbiografie – bestraft jede Abweichung von dieser Norm.
Am Ende haben Frauen im Durchschnitt zehn Beitragsjahre weniger als Männer, größtenteils bedingt durch betreuungsbedingte Erwerbsunterbrechungen für Kinder oder pflegebedürftige Angehörige. Dazu kommt noch die Lohnlücke, die dafür sorgt, dass die durchschnittlichen Bruttolöhne von Frauen immer noch um ungefähr 18 Prozent unter denen der männlichen Kollegen liegen. Typische „Frauenjobs“ – in der Corona-Pandemie gern als systemrelevant deklariert – werden schlechter bezahlt.Schließlich werden Erwerbsunterbrechungen in der Sprache der Mikroökonomie als „unterbrechungsbedingter Humankapitalverlust“ eingestuft, was dann als Begründung für eine Absenkung des Einkommens beim beruflichen Wiedereinstieg der Mütter herhalten muss.
Wie bitte? Mütter, die ihren Kindern das Laufen und Sprechen beibringen, Bindungssicherheit aufbauen, die nächste Erwerbsgeneration heranziehen und tagein, tagaus versorgen, generieren einen Verlust an Humankapital?
Frauen als Dienerklasse
Der US-amerikanische Ökonom J. Kenneth Galbraith hatte mit seiner sarkastischen Einschätzung vollkommen recht, dass die im Zuge des Übergangs zur Industrialisierung vollzogene Verwandlung der Frauen in eine heimliche Dienerklasse des Mannes „eine ökonomische Leistung ersten Ranges“ war. Die Zustimmung zu diesem ungeheuerlichen Deal der Architekten der Nationalökonomie sollten wir endlich aufkündigen und überwinden.
Dazu würde gehören, die Pflegearbeit der Frauen nicht weiter einem für sie gnadenlosen Marktregime auszusetzen. Eine Neun-Länder-Vergleichsstudie hat jüngst einmal mehr belegt, dass Jahre der Sparpolitik und des „New Public Managements“ in vielen Ländern Europas zu einem erhöhten Privatisierungs- und Prekarisierungsniveau geführt haben. Dadurch traf die Pandemie auf einen unterfinanzierten, unterbesetzten und unterbewerteten Sektor. Bessere Finanzierungsgrundlagen des Gesundheitswesens in den nordischen Ländern, sind ein entscheidender Grund dafür, dass Finnland, Norwegen und Dänemark im Ranking von 154 Ländern am besten durch die Pandemie gekommen sind.
Neubewertung der Berufe ist nötig
Dem Pflegepersonal und der Attraktivität von Pflegeberufen würde man am meisten helfen, wenn man alle Berufe grundsätzlich neu bewerten würde, wie das schon seit den 1990er-Jahren in der Schweiz von renommierten Arbeitswissenschaftlern umgesetzt wird. Deren transparentes, EU-konformes System wird bereits für über 3000 Funktionen und in über 100 öffentlichen und privatwirtschaftlichen Unternehmen verwendet, darunter in Spitälern und Pflegeheimen. Beschäftigte und Personalunternehmen sind hochzufrieden damit.
Rund 30 Prozent der geschlechterneutral bewerteten Berufe, darunter Pflege- und Reinigungskräfte, Polizeiangestellte sowie Kellner und Kellnerinnen, werden seither mit jeder Neueinstellung besser bezahlt – mit Strahlkraft auf andere Unternehmen. Kein Wunder, dass viele Pflegekräfte aus Deutschland inzwischen in der Schweiz arbeiten.
Solche arbeitswissenschaftlichen Messinstrumente zur Bewertung von beruflichen Belastungen und Anforderungen gibt es inzwischen auch hierzulande; allerdings werden sie eben leider kaum eingesetzt.
Wir müssen uns in Deutschland endlich darüber verständigen, was uns die sorgenden Berufe im Gesundheitswesen, aber auch in der sozialen Arbeit, im Bildungs- und Erziehungssektor und in der Hauswirtschaft wert sind.
Uta Meier-Gräwe war bis 2018 Inhaberin des Lehrstuhls für Wirtschaftslehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Beraterin der Bundesregierung.