Weil ich im November geschrieben hatte, Martin Schulz habe offenkundig sehr mächtige Unterstützer bei seinen hochfliegenden Berliner Plänen und Sigmar Gabriel sehr mächtige Gegner, drängen mich Leser, ich müsse jetzt aber auch zur damals vorausgesagten und nun eingetretenen Kanzlerkandidatur von Schulz etwas schreiben. Ich habe dafür noch einmal den chronologischen Ablauf in einer besonders wichtigen Frage anhand von Medienberichten rekonstruiert. Gabriels leitete danach seinen Niedergang Im Mai 2016 ein.
Im Mai 2016 berichtete die Zeit:
„Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat sich für den schrittweisen Abbau der wegen der Ukraine-Krise verhängten Sanktionen gegen Russland ausgesprochen. „Wir wissen alle aus unserer Erfahrung, dass Isolation auf Dauer gar nichts bringt. Am Ende hilft nur Dialog“, sagte Gabriel am Rande des zweiten Russlandtags in Rostock.“
Daraufhin setzte hektische Aktivität ein, die unter anderem zu baldigen Gründung eines Arbeitskreises von SPD-Mitgliedern gegen Gabriels Entspannungssignale gegenüber Russland führte. Doch Gabriel ließ sich nicht von seinem Kurs abbringen und flog im September zum Gespräch mit Putin nach Moskau, mit seiner noch einmal geäußerten Forderung nach schrittweiser Lockerung der Sanktionen gegen Russland im Gepäck.
Die Welt war außer sich und setzte folgenden Kommentar ab:
„Ist es Naivität, dass Sozialdemokraten glauben, sie hätten eine besondere Beziehung zu Russland wegen der Entspannungspolitik? Die Sowjetunion hat nichts mit dem heutigen Russland zu tun. Der Westen sprach damals aus einer Position der Stärke heraus. Heute scheint Putin der Stärkere. Denn niemand stellt sich seinem Machtanspruch entgegen. Wollen die Sozialdemokraten ihn gar belohnen, weil sie doch von seiner Brutalität beeindruckt sind? Und fischen sie nicht absichtsvoll im trüben Wasser der Linkspartei und AfD, beide aufs Verräterische Putin-nah und im Antiamerikanismus verschwistert?“
Die Argumentationsfigur vom zweiten Teil des Zitats wird uns nochmal begegnen.
In den USA war man not amused. Vizepräsident Joe Biden äußerte sich laut EUObserver (zitiert nach Deutsche Wirtschaftsnachrichten) besorgt. Er gehe davon aus, dass „mindestens fünf EU-Staaten“ bereit seien, die gegen Russland bestehenden Sanktionen zu lockern. Auf einer Tagung des Council on Foreign Relations in New York sagte er außerdem, dass sich die ukrainische Regierung berechtigterweise Sorgen um die Zukunft des Sanktionsregimes der EU mache. Der EUObserver verwies in diesem Zusammenhang auf die neue, weichere Linie der SPD und schreibt, dass die SPD eine Lockerung der Russland-Sanktionen zu ihrem Wahlkampfprogramm für die Bundestagswahlen machen möchte.
Mitte November kam dann die ausführlichere Reaktion aus Washington, vom Atlantic Council, einem sehr einflussreichen Lobby-und Politikberatungsverein. In einer Studie wurde Gabriel an prominenter Stelle zu den Trojanischen Pferden, Einflussagenten und nützlichen Idioten Putins in Europa gezählt. Zu ihm und der SPD hieß es:
„Heute jedoch unterstützt eine neue Generation innerhalb dieser Mainstream Partei eine Pro-Kreml-Politik, die oft in Gegensatz zur deutschen und EU-Politik steht. Der gegenwärtige SPD-Vorsitzende und Vizekanzler Sigmar Gabriel hinterfragt Merkels Position zur russischen Führung. (…) Außerdem hat Gabriel verschiedentlich in offiziellen Reden für die Beendigung von Wirtschaftssanktionen gegen Russland argumentiert.“
Die Argumentation der Studie, alles in einen Topf zu werfen und miteinander in Verbindung zu bringen, AfD, Front National, Ukip, SPD, was nicht bedingungslos für harte Wirtschaftssanktionen gegen Russland ist, hatte die Welt in ihrem Kommentar bereits schön vorweggenommen.
Schulz schwenkte um
Mit Gabriels „Freund“ (im Sinne von Parteifreund) Schulz hatte ich mich damals nicht näher befasst. Nur dass er ein verlässliche Transatlantiker ist, erwähnte ich. Nun habe ich mal geschaut, was er so in letzter Zeit zu Putin, Russland und den Sanktionen von sich gab. Im März 2014 war er noch voll auf der Entspannungslinie seines Parteifreunds Gabriel und wollte das Ukraine-Krim-Problem mit Russland vor allem durch Gespräche lösen, nachzulesen etwa in einem Interview mit profil.at.
Ein Jahr später war er schon voll auf Antirussenkurs eingeschwenkt und trommelte für Härte in den Sanktionsfrage und ganz im Sinne des Atlantic Council für äußerste Wachsamkeit an der Propagandafront:
„Wir müssen uns dem Versuch Putins, die EU zu spalten und im Innern der EU Einfluss auszuüben, mit allen Mitteln entgegenstellen. Das geschlossene Auftreten der EU in der Sanktionsfrage ist in der Tat ein großer außenpolitischer Erfolg“,
sagte er der Zeit. Bei dieser Linie blieb er. Kurz nach Gabriels Moskau-Reise, aber vor Erscheinen der Atlantic-Council-Studie, fuhr er seinem Parteifreund mit einem Interview mit dem Deutschlandfunk in die Parade, in dem er noch einmal betonte: „Wir müssen hart in unserer Gegenstrategie sein.“
Jetzt, wo Martin Schulz Parteichef und Kanzlerkandidat wird, darf die US-Regierung sicher sein, dass ihr nicht noch einmal passiert, was ihr mit Schröder passierte, der das Cover der Atlantic-Council-Broschüre ziert, mit Balken über den Augen. Nicht noch einmal wird die SPD, nur weil das im Volk populär ist, im Wahlkampf den USA die unbedingte Gefolgschaft versagen. Was damals der Irak-Krieg war, den Schröder nicht mitmachen wollte, ist diesmal die Aufrechterhaltung der Gegnerschaft zu Russland und die massive Aufstockung des Militäretats zur Abschreckung des vermeintlich gefährlichen und aggressiven Gegners, damit sich die USA um ihren Konkurrenten China kümmern können.
Aber jetzt ist doch Trump Präsident!?
Zwei Monate vor der Attacke des Atlantic Council auf Gabriel kam im September das Washingtoner Center for a New American Security mit einer Studie heraus, die den schönen Titel trug: „The Next Generation of Sanctions: A Strategy of Coercive Economic Policy for the Next President” (Die nächste Generation von Sanktionen: Eine Strategie der Zwang-ausübenden Wirtschaftspolitik für den nächsten Präsidenten). Das Center ist ein einflussreiches überparteiliches, das heißt von Demokraten und Republikanern unterstütztes Institut, das zur Kontinuität der amerikanischen „Sicherheitspolitik“ beitragen soll. „Unsere Mission ist es, die Führer in Sachen nationale Sicherheit von heute und morgen zu informieren und vorzubereite.“
In Kurzfassung stellt das Center fest: Die Sanktionen sind problematisch und haben immer mehr unangenehme Nebenwirkungen. Der nächste Präsident sollte also gut überlegen, ob und wie er sie verlängern will. Wichtig ist aber, dass die Europäer sich schon vorher für mindestens ein halbes Jahr festlegen, damit der neue Präsident alle Freiheit hat, sich zu entscheiden, ohne wirtschaftliche Nachteile für die USA befürchten zu müssen. Hier eine Schlüsselstelle:
„Call for European Union unity on Russia sanctions: European Union (EU) sanctions are set to expire on January 31, 2017, and Europe faces growing internal divisions about the future of its sanctions against Russia. (…) The U.S. president-elect should signal to the EU that it should renew the sanctions for a period of at least six months to preserve the status quo while his or her administration reviews its Russia strategy during the first half of 2017. A failure by the EU to renew sanctions would severely limit the new president’s policy options while creating an uneven playing field, and legal confusion, between U.S. and European companies doing business in Russia.”
Wenn es Martin Schulz an einem nicht fehlen ließ, dann an eindringlichen Appellen in der Sanktionsfrage einig zu sein. Er ist genau nach dem Geschmack des Atlantic Council und des Center for a New American Security. Ganz anders als Gabriel. [26.1.2017]