Die EU Bürgeranwältin (Ombudsman) ist Irin und geht deutlich entschlossener an die Erfüllung ihrer Aufgabe als ihr Vorgänger. Mario Draghi, muss ihr schriftlich erklären, warum er als Präsident der Notenbank und Bankaufsichtsbehörde EZB in geheimen Runden mit Vertretern der großen internationalen Geschäftsbanken zusammenkommt. Die Fragen, die Emily O’Reilly auf ihrer Webstite veröffentlicht hat, lassen deutlich erkennen, dass das nicht leicht wird.
Von Kommissionsseite hat man sich schon gelegentlich bitter über den hartnäckigen Eifer von Emily O’Reilly beim Kampf um Sauberkeit und Transparenz in der EU-Verwaltung beklagt. Nun spüren ihn die EZB und insbesondere Draghi. Es geht um seine Mitgliedschaft in der Group of 30 (G30), in der etwas über 30 hochkarätige Banker regelmäßig hinter verschlossenen Türen zusammenkommen, sich gegenseitig die Welt erklären, und gemeinsam Strategien entwickeln, mit Herausforderungen des Finanzsystems umzugehen. Das Problematische daran ist, dass dort zum Teil Notenbanker wie Draghi Mitglied sind, die solche Fragen im öffentlichen Interesse bearbeiten sollen, und Vertreter kommerzieller Banken und Kapitalverwalter, die vor allem das eigene Salär und den Gewinn ihres Unternehmens mehren wollen. Sie tun das in Konkurrenz mit anderen Finanzinstituten, die nicht das Privileg haben, regelmäßig aus erster Hand das Denken der wichtigsten Notenbanker und Bankaufseher erläutert zu bekommen.
Privat auf wichtiger Mission für die EZB
Nachdem ein Team der Bürgeranwältin vor Ort in Frankfurt war und dort mündlich mit EZB-Vertretern gesprochen hat, will O’Reilly nun schriftlich vom EZB-Präsidenten einige knifflige Fragen beantwortet haben. Draghi soll erklären, wie die Auskunft der EZB, Draghi sei in rein privat-persönlicher Eigenschaft Mitglied der G30, zusammenpasst damit, dass der Vizepräsident der EZB zu einer G30-Sitzung eingeladen wurde, als Draghi nicht konnte, und dort auch eine Rede hielt. Als wäre das nicht schon schwer genug zu erklären, kommt noch hinzu, dass es schon einmal eine solche Untersuchung von Draghis G30-Mitgiedschaft durch den früheren EU-Bürgeranwalt gegeben hat. Der in Ehren ergraute Grieche war zwar sehr willig, Draghis Versicherung genügen zu lassen, er werde schon aufpassen, dass er nichts Falsches tut, aber die Sache mit der Mitgliedschaft in privater Eigenschaft war selbst ihm zu viel. Er verwies auf die EZB-Auskunft, dass Draghis Mitgliedschaft in der G30 sehr wichtig für die EZB sei, damit sie ihre Sichtweise an die Finanzmärkte gut vermitteln könne. In diesem Punkt befand der Bürgeranwalt 2013 daher, die Versicherung der G30, dass G30-Berichte nur die private Meinung der Mitglieder widerspiegelten, als für die Bürger nicht glaubwürdig. Indem die EZB der jetzigen Bürgeranwältin die widersprüchliche und unglaubwürdige Story von Draghis rein privater Mitgliedschaft erneut erzählt, ignoriert sie das Votum des Bürgeranwalts, wonach die Bürger sich von einer solchen Versicherung getäuscht sehen. Das wirft kein gutes Licht auf den Willen der EZB zu Transparenz und Bürgernähe.
G30 als Ausnahme von allen Regeln
Auch die Frage O‘Reillys, ob die EZB irgendwelche Regeln oder Verfahrensvorschriften habe, die geeignet seien zu verhindern, dass es im Rahmen der G30 zu Interessenkonflikten kommt, hat es in sich. Die EZB hat nämlich durchaus Regeln, die verhindern sollen, dass ihr Führungspersonal ohne wachsame Augen mit Bankern redet, und diese daraus eventuell einen Vorteil ziehen können, oder dass zumindest der Verdacht entstehen könnte, dass das passiert. Diese Regeln wurden allerdings kunstvoll so formuliert, dass sie für Dragis Teilnahme an G30 Diskussionen nicht gelten. Bei bilateralen Treffen mit Bankern soll immer ein weiterer EZB-Vertreter als Aufpasser dabei sein. Bei den G30 sitzen Draghi jedoch immer mehrere Banker gegenüber. Die Treffen sind also nicht bilateral. Auch für Reden gibt es Regeln, um zu verhindern, dass die Zuhörer Vorteile aus Insider-Informationen ziehen können. Diese gelten aber dem Wortlaut nach wieder nicht für Diskussionen über aktuelle Probleme der Finanzmärkte oder Finanzbranche oder für gemeinsames Arbeiten an Berichten. Den das sind ja keine Reden.
Deshalb legt O’Reillys den Finger an eine empfindliche Stelle, wenn sie fragt, ob die Regeln, die bisher nur für bilaterale Treffen gelten, nicht grundsätzlich für alle Treffen mit Bankern gelten sollten. Wie beruhigend es für die Öffentlichkeit wäre, wenn ein EZB-Mitarbeiter bei solchen Treffen seinem Chef auf die Finger beziehungsweise den Mund schauen dürfte, ist eine andere Frage. Was soll der arme Untergebene denn tun, wenn sein Chef etwas sagt, was er nicht sagen sollte. Die Öffentlichkeit wird er wohl kaum informieren.
Kombiniert allerdings mit einer weiteren, erst einmal als Frage formulierten Forderung, ist die Anwendung der Wohlverhaltensregeln für EZB-Obere auf die G30-Aktivitäten durchaus geeignet, deren Geheimclubcharakter den Garaus zu machen. O‘Reilly weist darauf hin, dass EZB-Mitglieder, die Treffen der G30 besuchen, die Transparenzerfordernisse des EU-Vertrags einhalten müssen. “G30-Treffen sind jedoch nicht transparent“, stellt sie lapidar fest und fragt:
“
Würde die EZB in Erwägung ziehen, darüber nachzudenken, die Öffentlichkeit proaktiv über den Inhalt dieser Treffen zu informieren, indem sie Tagesordnungen und öffentliche Zusammenfassungen veröffentlicht?
Dazu nein zu sagen und dieses Nein akzeptabel zu begründen ist keine leichte Aufgabe. Es zuzusagen würde den Charakter der G30-Kungelrunde nachhaltig verändern und sie für die Beteiligten entwerten. Denn über viele Themen, über die mutmaßlich heute geredet wird, könnte nicht mehr geredet werden, weil gar zu offensichtlich würde, dass dabei Insiderinformationen und Interessenkonflikte schwer zu vermeiden sind.
Noch schlimmer für die G30 wäre allerdings, wenn Draghi sich aus den G30 zurückziehen müsste. Das würde erheblichen Druck auf andere Notenbankchefs schaffen, sich ebenfalls zurückzuziehen. Ohnehin geht das Mauscheln der wichtigsten Notenbanker mit führenden Finanzinstituten hinter verschlossenen Türen nur, weil die mächtige New York Fed – also die New Yorker Unterabteilung der US-Notenbank, die die Wall Street beaufsichtigt – eine private Institution ist, die den beaufsichtigten Banken gehört. Als private Institution entzieht sie sich den strengen US-Regeln gegen Korruption in der Verwaltung. Diese verbieten es den Mitgliedern des Washingtoner Vorstands der Notenbank (Federal Reserve Board) an Geheimtreffen wie denen der G30 teilzunehmen. So sind eben immer der Präsident der New York Fed sowie ehemalige Vorsitzende des Federal Reserve Board Mitglied, und die hochkarätige US-Präsenz ist auch ohne aktuellen Fed-Oberchef gesichert. Wenn aber auch der EZB-Präsident sich aus Hygienegründen zurückziehen müsste, gäbe es ein solches Schlupfloch wohl nicht. Auch könnte der Chef der Bank von England dann kaum weiter so tun, als sei ihm die Problematik nicht bewusst, und dürfte die noch schlafende britische Presse aufwachen und fragen, was der oberste Notenbanker in solchen Kungelrunden zu suchen hat, an denen der EZB-Präsident nicht mehr teilnehmen darf.
Befangener EZB-Ethikaufseher
Auch zu dem pikanten Detail darf Draghi sich äußern, dass der EZB-Vorstand ausgerechnet den Ehrenvorsitzenden der G30, Jean-Claude Trichet, zum Vorsitzenden der dreiköpfigen EZB-Ethikkommission berufen hat. Man darf zwar davon ausgehen, dass sich diese handzahme Kommission auftragswidrig noch nie mit der Frage von Draghis EZB-Mitgliedschaft in der G30 – und der Mitwirkung einer EZB-Bankaufseherin an einer G30-Studie zur Bankaufsicht – befasst hat. Falls sie es aber doch getan haben sollte, oder noch tun wollte, wäre dies angesichts der offenkundigen Befangenheit des Vorsitzenden nicht allzu viel wert.
Wir dürfen auf Ende September gespannt sein, das Ende der Frist, bis zu der O’Reilly den EZB-Präsidenten um Antwort gebeten hat. Das Verdikt der Bürgeranwältin ist zwar nicht bindend für die EZB, es wäre aber doch ein schwerer Reputationsverlust, wenn sie ein klares Votum ignorieren würde.
Frühere Berichte zum Thema:
Die Group of Thirty beendet vielleicht bald ihre skandalöse Existenz 22.1.2017
Die neuen Benimmregeln des EZB-Direktoriums haben ein skandalöses Loch 8.10.2015
Der Skandal um Draghi und die Group of Thirty wird größer 18.8.2015
[9.7.2017]