Sage und schreibe 141 österreichische Ökonomen haben einen offenen Brief an das Bildungsministerium unterzeichnet, das die Zensur eines Schuldbuchs fordert – mit Erfolg. Der unter Ökonomen aufgeführte Christian Felber habe „keine ökonomische Ausbildung“ und seine Gemeinwohltheorie erfülle nicht „die üblichen Kriterien der Wissenschaftlichkeit“. Ob diese reinblütigen Ökonomen schon mal geschaut haben, was sogenannte Ökonomienobelpreisträger für Ausbildungen haben?
Die 141 Gralshüter der reinen Lehre schrieben:
„Als Ökonomen lehnen wir die Auswahl von Christian Felber, der vorwiegend als politischer Aktivist auftritt, über keine ökonomische Ausbildung verfügt und keine wirtschaftswissenschaftliche Publikation vorweisen kann, daher ab. Die von Felber propagierte Gemeinwohltheorie erfüllt nicht die üblichen Kriterien der Wissenschaftlichkeit.(…) Wir fordern Sie daher auf, dieses Lehrbuch in seiner derzeitigen Form nicht weiter für den Einsatz an österreichischen Schulen zuzulassen!“
Damit setzten sie sich durch. In der neuen Auflage wurde Felber durch Amartya Sen ersetzt.
Es ist schon schlimm genug, dass sie sich öffentlich darüber aufregen, dass so einer wie Felber mit seiner unwissenschaftlichen Theorie neben solchen Größen wie Milton Friedman genannt wird. Der wurde für die permanente Einkommenshypothese geehrt, die von vorne herein völlig unplausibel war und inzwischen tausendfach empirisch widerlegt ist (sie behauptet, dass die Menschen ihren aktuellen Konsum nach dem im ganzen Leben erwarteten Einkommen ausrichten, was unter anderem daran scheitert, dass man nicht beliebig und unbegrenzt Kredit bekommt, und sterben könnte, wenn man sich bei der Schätzung vertut.) Auch dass ein Eugene Fama für seine absurde Markteffizienztheorie, die ausdrücklich die Existenz von Finanzmarktblasen ausschließt, noch nach Ausbruch der von einer riesigen Immobilienpreisblase ausgelösten Finanzkrise den Nobelpreis bekam, stört die 141 Ökonomen nicht.
Illustre fachfremde Ökonomen
Was sie sich aber wirklich hätten schenken können, ist der Hinweis auf die fehlende ökonomische Ausbildung Felbers, der romanische Philologie studiert hat. Das bringt einen nämlich auf erwähnte die Idee, mal zu schauen, was für Ausbildungen die Ökonomie-„Nobelpreisträger“ der letzten zehn Jahre so hatten. Man findet dann einen Leonid Hurwicz (2007) der Mathe, Experimentalphysik und Piano studiert hat, Roger Myerson und Eric Maskin (auch beide 2007), die Mathe studiert haben. Elinor Ostrom (2009) hat Politik studiert, Alvin Roth (2012) Operations Research, Lloyd Shapley (2012) Mathe und Bengt Holmström (2016) Mathe Physik, Statistik und Operations Research. Daneben gibt es noch vier, die Mathe, Physik oder Ingenieurwissenschaften studierten und immerhin noch ein Doktorandenstudium der Ökonomie draufsetzten; getreu dem Motto: die wichtigste Voraussetzung für einen Ökonomie-„Nobelpreis“ ist die Fähigkeit eindrucksvolle mathematische Modelle basteln zu können. Das bisschen Ökonomie das man daneben braucht, lernt man On-the-Job oder im Doktorandenstudium.
Dass es in den Augen der Großinquisitoren von der Wirtschaftsuni Wien und ihrer Hilfsinquisitoren völlig in Ordnung ist, wenn Mathematiker, Physiker und Ingenieurwissenschaftler den größten Preis der Ökonomen dominieren, aber zu verdammen, wenn ein Geisteswissenschaftler unter die Ökonomen gestellt wird, sagt sehr viel über das Selbstverständnis dieser Zunft aus.
Ich schreibe das, ohne die Gemeinwohltheorie von Ferber mehr als oberflächlich zu kennen. Es muss wohl einiges dran sein, wenn sie solche Reaktionen auslöst. Oder würden Adepten der Königin der Sozialwissenschaften in Regimentsstärke gegen einen unwissenschaftlichen Spatzen wie Felber zu Felde ziehen, wenn er nicht brandgefährlich wäre? Ich muss wohl mal Felber lesen.
Und die deutschen Ökonomen?
Auch deutsche Ökonomen können ungnädig werden, wenn Nichtökonomen sich in ökonomische Themen einmischen, oder gar „gestandene“ Ökonomen kritisieren. Der Ökonom Wolf Schäfer von der Helmut-Schmidt-Uni in Hamburg schreibt dieser Tage aus Anlass der Kritik der Kanzlerin am jüngsten Gutachten des Sachverständigenrats für Wirtschaft:
„Fünf gestandene Professoren der Wirtschafts- wissenschaften wurden von einer promovierten Physikerin öffentlich in die Schranken gewiesen: Eine politische Anmaßung von (Besser-)Wissen und Kompetenz? Das erinnert stark an Helmut Schmidt: Wissen Sie, gestand er einmal, ich habe sowohl als Finanzminister als auch als Bundeskanzler nicht eine einzige Zeile des SVR-Gutachtens gelesen. „Mich hat das nie interessiert, was Wirtschaftsprofessoren so schreiben“. Und selbst die englische Queen zweifelte jüngst nach der internationalen Finanzkrise an den Fähigkeiten ihrer ökonomischen Professoren-Elite indem sie fragte: „Why did nobody see it coming“?“
Felber nimmt’s mit viel Humor
Die Stellungnahme Felbers zu seiner Tilgung ist (zur Gänze) lesenswert und unterhaltsam. Hier ein Auszug:
„Kleiner Schönheitsfehler am Rande der Erregung: Die Begründung des Verlags für den Ad-hoc-Austausch auf Zuruf der IV OÖ war, dass die Gemeinwohl-Ökonomie nicht im Text vorkomme. Das ist nicht zutreffend. Sie kommt – zum Glück – vor. Zutreffend ist hingegen, dass Amartya Sen und die „Wohlfahrtsökonomie“ nicht im Text vorkommen – aber wer wird denn so genau sein 🙂 Richtig lustig war der Ex-IHS-Chef: Im „ZiB Magazin“ begründete Christian Keuschnigg die Notwendigkeit meiner Entfernung damit, dass ich neben „vier Nobelpreisträgerm“ aufgeführt wäre. Uiuiui: Einen echten „Nobelpreis“ für die Wirtschaftswissenschaft gab es noch nie, und den Preis, den Keuschnigg wohl meinte, haben weder Marx noch Keynes erhalten … Trostpflaster: Mit Sen sind es jetzt drei statt zwei von fünf :-)“
Zur abschließenden Erbauung noch ein bisschen was aus den Leserforum unter dem offenen Brief.
„Ob keine von Felbers Publikationen den Anspruch erfüllt, eine “wirtschaftswissenschaftliche Publikation” zu sein, kann ich nicht beurteilen, das muss ich den zornigen Professoren erst mal glauben. Wenn dann aber auf die “üblichen Kriterien der Wissenschaftlichkeit” abgehoben wird oder “anerkannte wissenschaftliche Arbeit” eingefordert wird, muss ich mit Blick auf Karl Marx schon schmunzeln. Dem werfen Ökonomieprofessoren sonst auch vor, dass es ihm genau daran mangeln würde. Und wer einmal in die Bücher von Hayek schaut, um das andere politische Ende nicht zu vergessen, der wird dort auch nicht nur hehre Wissenschaft finden. Ganz davon abgesehen, dass böse Zungen Teile der Mainstream-Ökonomie ohnehin auf dem wissenschaftlichen Niveau der Astrologie ansiedeln.“
Ein Unterzeichner räumt daraufhin ein:
„Ja, das mit den “üblichen Kriterien der Wissenschaftlichkeit” ist in diesem Kontext vielleicht nicht das bestformulierte Argument. Es geht im Grunde darum, dass wir nicht wollen, dass womöglich tausende Schüler dieses Buch namens “Gemeinwohl-Ökonomie” von Felber für eine Wirtschaftstheorie halten, geschweige denn für eine, die auf gleicher Höhe wie Marx oder Friedman angesiedelt ist.“
Ein Kommentator hinterfragt die Verhältnismäßigkeit der Aktion:
„Spannend finde ich, dass eine Abbildung aus einem Geografie + Wirtschaftskunde Buch einer AHS so zerlegt wird und so einen Sturm auslöst. Eine E-Mail an den Verlag bzw. an das Ministerium hätte wohl genügt, aber stattdessen werden die ehemaligen Studierenden in den Medienhäuser eingesetzt, damit sich diese öffentlich empören und so den Untergang der Wissenschaft verhindern. Es wäre wünschenswert, wenn die Vertreter der Universitäten bei anderen Themen auch so eine Dynamik entwickeln wie hier, aber es sitzt sich ja doch sehr bequem auf dem Sessel.“
Ein weiterer spottet über die Briefeschreiber, die das Ministerium auch auf einen Schreibfehler im Namen Friedman(n) hinweisen zu müssen glaubten:
„So viele Doktoren und Professoren und trotzdem wird von einer “Nobelpreisträgerin für Wirtschaftswissenschaften” geschrieben. Wenn man sich schon an ein Ministerium wegen eines “Fehlers” in einem Schulbuch wendet, dann sollte man auch richtigerweise schreiben, dass es sich nicht um einen Nobelpreis handelt, sondern dass die schwedische Reichsbank einen Preis “in Gedenken an Alfred Nobel” sponsert, um der Wirtschaft den Schein einer Wissenschaft zu verleihen.“
Leserzuschriften mit ergänzenden Informationen
Die Arroganz der herrschenden Ideologie – Ergänzungen zu Norbert Härings Beitrag von Albert F.Reiterer
Academia hat zugeschlagen. Österreichischen Ökonomie-Professoren ist es ein Skandal, wenn es jemand außerhalb ihrer dicht geschlossenen Reihen wagt, zu einem Wirtschaftsthema Stellung zu beziehen. Das ist, zum Einen, ein ganz allgemeiner akademischer Habitus. Zweitens aber betrifft es diesmal jenes Fach, das sich zu einer neuen Theologie entwickelt hat. Es ist die neue Scholastik im Bereich politischer und speziell wirtschaftspolitischer Fragen, die Ökonomie.
Der Hauptvorwurf dieser akademischen Intellektuellen an Christian Felber ist: Aber der hat ja nicht einmal Wirtschaftswissenschaften studiert und kein Diplom!
Zum Unterschied von Norbert Häring möchte ich hier nicht so sehr von den „anerkannten Ökonomen“ sprechen, sondern habe mir die Unterschriften-Liste angesehen. Die meisten der Namen sagen mir nichts. Sie haben sich weder in Österreich besonders hervor getan, noch findet man sie in den ökonomischen Journalen stark vertreten. Die dienen dem akademischen Kreis doch sonst als die eigentlichen Adelsprädikate. Aber einige Namen sind mir doch aufgefallen.
Da möchte ich für diesmal nur einen hervorheben. Bernd Marin unterschreibt also den Vorwurf, Felber habe nicht in Ökonomie abgeschlossen. Marin selbst hat Soziologie studiert. Er hat sich in den letzte Jahren in Österreich einen gewissen Namen gemacht: Wo immer besonders rabiat gegen Sozialleistungen gehetzt wurde, wo insbesondere die Frage der Pensionskürzungen vertreten wurde, da fanden wir Bern Marin, als Direktor eines „European Centre for Social Welfare Policy and Research“. Die Ultrareaktionäre haben in ihm einen verlässlichen Ideologen gefunden. Aber Ökonom war er nie.
Heute ist er „Rektor“ der Webster University. Das ist eine jener vielen Privatuniversitäten in Wien, die sich an ein spezielles kaufkräftiges Publikum wenden. Diese insbesondere sieht in der osteuropäischen Jeunesse dorée ihr Zielpublikum. Eliten legen ja auf akademische Titel einen gewissen Wert. Aber nicht alle sind bereit, sich den Mühen der Ebene zu unterziehen. Das hat eine lange Tradition.
Der Hauptstrom der Ökonomie verträgt es nicht, wenn da ein Außenseiter es wagt, über Ökonomie zu sprechen. Sie greifen in das Zulassungsverfahren eines Schulbuchs ein. Soweit, so schlecht, aber auch so wenig Neues. Aber die Ministerin reagiert und gibt dem Einspruch sofort statt. Wen wundert’s? Sie ist von ihrer Person her der Typ, der exakt den Unterschreibern entspricht – auf gut Wienerisch: eine „G’spritzte“.
Die Autoren des Schulbuchs haben eine Provokation gesetzt, indem sie den Nobody Felber neben Marx, Hayek und Keynes gesetzt haben. Das ist von Zeit zu Zeit in Österreich noch möglich. Ich bezweifle, dass Schulbuch-Autoren in der BRD eine solche Provokation wagen würden.
Arno Nym schreibt:
Sehr geehrter Herr Häring,