Die guten Gründe für das lange Zögern der Fed

Ende September hatte die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) nach fast sieben Jahren Nullzinspolitik zum x-ten mal die zuvor monatelang in Aussicht gestellte Zinswende verschoben. Im Dezember soll es nun endlich soweit sein – wenn nicht wieder etwas dazwischen kommt, wie ein Schwächeanfall der Aktien, denn darauf reagiert die Fed sehr sensibel. Dabei liefert schon die Wirtschaftslage gute Gründe zum Abwarten.

Sowohl die Inflation als auch der Arbeitsmarkt in den USA entwickeln sich äußerst ungewöhnlich. Warum das so ist, erschließt sich erst auf einen tieferen Blick. 

Je nachdem, auf welche Art der Inflationsberechnung man schaut, zeigt sich ein ganz anderes Bild. Zwar war die Inflationsrate mit 0,2 Prozent im Oktober sehr niedrig, und auch nicht höher als im August. Das liegt aber vor allem an den gesunkenen Energiepreisen. Diese sind kein Problem für die Wirtschaft und haben weder etwas mit der Geldpolitik zu tun, noch sind sie von dieser direkt beeinflussbar. 

Wenn man auf die Kernrate ohne die schwankungsanfälligen Preise für Energie und unverarbeitete Nahrungsmittel schaut – eine Größe, die Notenbanken besonders betonen – dann ist schwerer zu verstehen, warum die Federal Reserve die Zinswende hinauszögert. Mit 1,9 Prozent liegt dieses Inflationsmaß voll im normalen Bereich und im Oktober auch nur ein Zehntel höher als im August. 

Auch ein Blick auf die Arbeitslosenquote liefert keine gute Erklärung für das lange Zögern. Diese hat sich seit dem Höhepunkt der Krise vor fünf Jahren auf fünf Prozent fast halbiert. Jakob Fiedler, Volkswirt bei der Deutschen Apotheker- und Ärztebank findet die Erklärung eine Ebene tiefer in den Statistiken. Das betrifft sowohl die Inflationsentwicklung als auch die Entwicklung der Arbeitslosigkeit. Fiedler rechnete aus, was die Preise wirklich treibt – und kam zu einem erstaunlichen Befund, der nichts mit höheren Preisen für Güter und Dienstleistungen zu tun hat. Dieser Preistreiber sind die Mieten und die unterstellten hypothetischen Kosten für selbst genutztes Wohneigentum. Sie steigen derzeit mit gut drei Prozent pro Jahr. Rechnet man sie heraus, so wird aus einer zuletzt gemeldeten Kerninflationsrate von 1,9 Prozent eine von nur noch einem Prozent. 

Das bedeutet, „die Preise von Gütern und Diensten, die noch produziert werden müssen, steigen mit weniger als einem Prozent pro Jahr“, sagt Fiedler.  Gleichzeitig stiegen aber die Preise der Nutzung schon vorhandener Kapitalgüter in Wohnungsform mit drei Prozent pro Jahr. Auch der Ökonom der Deutschen Bank, Darren Gibbs, betont in einer Datenanalyse: „Die Kosten des Wohnens sind der Haupttreiber der Inflation.“ 

Dass die Mieten und mit ihnen die unterstellten Kosten der Eigennutzung steigen, liegt daran, dass das billige Geld, das die Notenbank in die Finanzmärkte pumpt, Vermögenspreise antreibt, also neben den Kursen von Aktien und Anleihen auch die Immobilienpreise. Im Landesdurchschnitt steigen die Immobilienpreise mit rund sieben Prozent pro Jahr, in Metropolregionen oft deutlich stärker. 

Aber warum steigen die Löhne und damit die Kosten und Preise für Güter und Dienste nicht stärker, wenn die Arbeitslosigkeit so stark sinkt und auf einem recht niedrigen Niveau angelangt ist? Fiedler sieht einen großen Teil der Antwort im Vergleich der Entwicklung der Arbeitslosenquote und der Beschäftigung. Während die Arbeitslosigkeit in den letzten fünf Jahren um fünf Prozentpunkte gefallen ist, stieg die Beschäftigungsquote derer im besten Erwerbsfähigenalter von 25 bis 54 Jahre nur um zwei Prozentpunkte auf gut 77 Prozent. Als die Arbeitslosenquote die letzten Male 2008, 2005 und 2001 wie derzeit bei 5,1 Prozent gelegen hatte, war die Beschäftigungsquote in diesem Kern-Altersbereich mit jeweils rund 80 Prozent um fast drei Prozentpunkte höher als derzeit. „In den letzten 30 Jahren sind Beschäftigungsentwicklung und Entwicklung der Arbeitslosigkeit nie so stark auseinandergelaufen wie derzeit“, sagt Fiedler. Er schließt daraus, dass viele der Arbeitslosen einfach die Jobsuche aufgegeben haben, weil sie keine Hoffnung mehr haben, einen auskömmlich bezahlten Arbeitsplatz zu finden. Druck auf die Lohnkosten gab es jedenfalls in den letzten fünf Jahren nicht.  Inflationsbereinigt sind die Durchschnittlöhne kaum gestiegen und entwickelten sich damit schwächer als der ebenfalls geringe Anstieg der Produktion je Beschäftigten. 

In der volkswirtschaftlichen Forschungsabteilung der US-Notenbank scheint die Kunde vom Immobilienmarkt als Inflationstreiber erstaunlicherweise noch nicht angekommen zu sein – oder man spricht nicht darüber. So ist in einem im Mai von der Notenbank veröffentlichten Arbeitspapier „The Passthrough of Labor Costs to Price Inflation“, für das Jeremy B. Rudd mitverantwortlich zeichnet, kein Wort von der Wohnkomponente in den Verbraucherpreisen zu lesen. Dabei wären sie offenkundig geeignet, die gelockerte Verbindung von Lohnentwicklung und Inflationsentwicklung zu erklären, über die die Autoren rätseln. Rudd ist Berater der Notenbank und war schon stellvertretender Staatssekretär im Finanzministerium. Eine E-Mail-Anfrage beantwortete Rudd nicht. 

Immerhin hat die Federal Reserve Bank of St. Louis Anfang September in einem Blogbeitrag darauf hingewiesen, dass die Wohnkosten im Gegensatz zu den Preisen der meisten übrigen Bestandteile des Warenkorbs kräftig steigen, allerdings ohne Hinweis auf die große Bedeutung, die das für die Entwicklung der gesamten Inflationsrate hat. Immerhin machen die Wohnkosten fast ein Drittel des Indexes aus. 

Fasst man die Informationen von Arbeitsmarkt und Inflationsrate zusammen, so ergibt sich das Bild einer schwachen Lohnentwicklung, einer gewachsenen stillen Reserve unterbeschäftigter oder nicht-beschäftigter Arbeitnehmer und einer sehr schwachen Inflationsentwicklung. Unter diesem Blickwinkel ist das lange Zögern der Notenbank bei der Abkehr von der Nullzinspolitik gleich viel verständlicher. 

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