Mit dem Sieg von Syriza beginnt ein Game of Chicken mit hohem Einsatz

 Nach dem hohen Wahlsieg von Syriza in Griechenland beginnt jetzt das, was in der Spieltheorie Game of Chicken heißt. „Chicken“ ist im übertragenen Sinne ein Feigling. Zwei Autos fahren auf der Mittellinie aufeinander zu. Wer als erster nach rechts ausweicht hat verloren. Wenn keiner ausweicht, kommt es zum Crash. Es ist klar, dass Brüssel, Berlin und Frankfurt (EZB) gemeinsam in so etwas wie einem Kleinlaster fahren

und die künftige Regierung in Athen eher in so etwas wie einem Fiat Cinquecento. Aber auch der kann den Insassen des Kleinlasters bei hinreichender Geschwindigkeit gefährlich werden, wenn es zum Crash kommt.

 Die bisherigen Athener Regierungen haben immer sofort kleinbei gegeben, wenn das Spiel auch nur angekündigt wurde. Inzwischen haben die Insassen des Cinquecento so wenig zu verlieren, dass sie das Spiel mit vollem Ernst spielen werden.

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 Für beide Seiten steht so viel auf dem Spiel, dass es durchaus zum Crash kommen kann. Frankfurt, Brüssel und Berlin können schlecht ausweichen, also der Syriza nicht zu viele Zugeständnisse machen. Sonst kommen die Spanier sehr schnell auch auf die Idee, Parteien wie Podemos an die Regierung zu wählen, die europapolitisch auf einer Linie mit Syriza liegen. Dann wird die Kleinlasterbesatzung von allen möglichen renitenten Hauptstädten zu diesem Spiel herausgefordert.

 Syriza kann sich nicht mit zu wenig zufrieden geben, ohne des Betrugs am Wähler beschuldigt zu werden.

 Vielleicht einigt man sich ja irgendwie, aber leicht wird das nicht. Wenn nicht, dann ist die Frage, ob die Kleinlasterbesatzung, wenn es zum Crash kommt, eher bremst oder aufs Gas drückt. Es steht zu befürchten, dass sie letzteres tun wird. Das heißt, wenn Athen nicht hinreichend kooperiert, wird die EZB Griechenland aus dem Währungsraum werfen, indem sie die griechischen Banken von der Euro-Zufuhr abschneidet. Mit der Entscheidung, massiv Staatsanleihen zu kaufen, hat die EZB alle nötigen Mittel, um ein Übergreifen der Austrittsspekulation über die Anleihemärkte auf andere Länder zu verhindern. Diese Mittel nutzt sie natürlich nur, wenn die dortigen Regierungen genau das tun, was sie sollen, und wenn die dortigen Wähler solche Regierungen wählen. Wenn die etwaige Austrittserfahrung für die Griechen hässlich genug gemacht wird, dann können Brüssel, Berlin und Frankfurt darauf vertrauen, dass die anderen Hauptstädte der Krisenländer nichts tun werden, das Wohlwollen und die Hilfe der EZB zu gefährden.

 Dreh und Angelpunk in diesem Game of Chicken ist daher die Frage, wie weh ein Rauswurf aus der Währungsunion Griechenland tun würde, verglichen mit einer Fortsetzung des sozialen Kahlschlags Programms.

 Der Ökonomieprofessor Costas Lapavitsas, parteiloser Syriza-Kandidat im Norden Griechenlands hat zusammen mit Heiner Flassbeck auf Deutsch und Englisch ein Buch vorgelegt, in dem er unter anderem die Anleitung zum Euro-Austritt Griechenlands liefert. „Nur Deutschland kann den Euro retten“, heißt es.

 „Eine linke Regierung sollte sich von dieser Aussicht nicht ängstigen oder einschüchtern lassen, sondern sich ihre Mitgliedschaft in der Währungsunion taktisch zunutze machen“, empfiehlt Lapavitsas. Von den beiden wichtigsten Druckmitteln, welche die EU wohl einsetzen werde, habe eines, der Stopp offizieller Hilfskredite deutlich an Drohpotenzial eingebüßt, weil Griechenland, wenn man den Schuldendienst ausklammert, kein Staatsdefizit mehr zu decken hat.

 Bleibe als wichtigste Drohung, dass die Europäische Zentralbank die griechischen Banken nicht mehr mit Krediten versorgt. Dagegen, so räumt der Experte unumwunden ein, gibt es innerhalb der Währungsunion kein wirksames Gegenmittel.

 Die Drohung ist deshalb so durchschlagend, weil damit zu rechnen ist, dass die Bankkunden ihre Euro bar abheben oder ins Ausland überweisen, wenn es Zweifel am Verbleib in der Währungsunion gibt. Da Banken grundsätzlich nur einen Bruchteil der auf dem Papier jederzeit abhebbaren Guthaben tatsächlich verfügbar haben, sind sie in einem solchen Fall auf Euro-Kredite von der Zentralbank angewiesen. Lässt Frankfurt den Flieger mit den Euro-Scheinen nicht abheben, müssen sie die Schalter schließen und der Zahlungsverkehr bricht zusammen.

 Die Regierung könne sich nur Zeit und eine etwas bessere Verhandlungsposition verschaffen, indem sie Kapitalverkehrskontrollen verhänge, einen Finanzbeauftragten einsetze und eventuell die griechische Notenbank gegen den Widerstand aus Frankfurt Notkredite an die Banken vergebe.

 Letztlich sei jedoch die einzige wirksame Gegenmaßnahme, bereit zu sein, notfalls eine eigene nationale Währung einzuführen, in der man die nötige Liquidität für die Banken in Eigenregie bereitstellen kann. Da es dafür derzeit an Expertise fehlte, müssten, so der Experte, erfahrene Staatsdiener aus dem Ruhestand geholt und ausländische Experten eingeladen werden.

 Um im Falle eines Runs auf den Euro nicht hilflos zu sein, solle sie die Möglichkeit der Ausgabe von kurzfristigen Regierungsschuldscheinen in Euro, bei Ökonomen als „Scrip“ bekannt, herstellen. Wenn die Regierung erklärte, dass diese Papiere zur Zahlung von Steuern und sonstigen Schulden an den Staat angenommen würden, könnten sie als Not-Zahlungsmittel fungieren und so eine Euro-Bargeldknappheit abmildern. Eine solche Parallelwährung ließe sich bei einem Austritt aus der Währungsunion leicht in die neue Währung umwandeln. Wichtig sei aber auf jeden Fall, dass schon vor einer Währungsumstellung Kapitalverkehrskontrollen und Bankkontrollen eingeführt sind, dass also die Abhebung von Guthaben und der Transfer von Geld ins Ausland beschränkt ist.

 Lapavitsas gibt sich aber keinen Illusionen hin, dass diese Variante unwahrscheinlich ist und das Land bei einem Austritt auf sich allein gestellt wäre. Sein Hauptargument dafür, dass auch das ginge liegt darin, dass Griechenland wegen des Einbruchs der Importe ohnehin kaum noch ein Handelsdefizit zu finanzieren hat und es riesige ungenutzte Kapazitäten gebe, um die Versorgung der Bevölkerung sicher zu stellen. Letztlich sagt er, großen Teilen der Bevölkerung ginge es bereits so schlecht, dass sie nicht mehr viel verlieren könnten.

 Für ein Vorbild muss Athen wohl vor allem nach Argentinien schauen. Dort hat die chaotische und schockartige Aufgabe der Währungsanbindung an den Dollar eine Periode starken Wachstums und recht durchgreifender Verbesserung der sozialen Lage eingeläutet. Allerdings mussten dafür im Quartalstakt mehrere Regierungen kommen und gehen. Die Gefahr, im Währungschaos erst einmal unterzugehen, wird auch einer Athener Regierung drohen, wenn sie es auf einen unkooperativen Austritt aus der Währungsunion ankommen lässt. Gute Vorbereitung ist wirklich das A und das O. Nur so wird die Drohung, es auf einen Austritt ankommen zu lassen, glaubwürdig. Denn nur so kann die Regierung den Austritt überstehen.

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