25. 05. 2015 | Notenbanken verkünden neuerdings die These, dass Banken Geld aus dem Nichts schaffen. Das ist nicht selbstverständlich, denn in den Standard-Lehrbüchern werden Banken immer noch behandelt als wären sie Vermittler von Kredit und nicht die Schaffer von Kredit, und damit von Geld. Die ersten Lehrbuchautoren reagieren nun.
Für das Standardwerk „Money“ (Geld) aus der New-Palgrave-Serie ist die Sache klar. Banken vermitteln Geld von den Sparern an Kreditnehmer, also Investoren. Für Wissenschaftler, die behaupten, die Banken schüfen das Geld, das sie verliehen, aus dem Nichts, hat das Buch ein Kapitel namens „Monetary Cranks“ (Geld-Spinner). Zu diesen Spinnern gehörten illustre Leute wie Joseph Schumpeter, der junge John Maynard Keynes, Irving Fisher und Friedrich Knapp.
Im ökonomischen Wissenschaftsbetrieb stehen bis heute Geldschöpfungstheoretiker in der Nähe von Leuten, die sich Hüte aus Alufolie basteln, um sich gegen gedankenlesende Außerirdische zu schützen. Umso überraschender ist, dass die Bank von England in einem 2014 veröffentlichten Erklärtext zum Geld schreibt: „Eine verbreitete Fehldeutung ist, dass Banken einfach als Vermittler arbeiten, die Einlagen der Sparer weiterverleihen.“ Nein: „Die Banken geben nicht Einlagen als Kredite weiter, sondern schaffen durch die Kreditvergabe diese Einlagen“, erklären die Notenbanker. Die Bundesbank schreibt in einem Buch für Schüler gänzlich schnörkellos: „In der Regel gewährt die Geschäftsbank einem Kunden einen Kredit und schreibt ihm den entsprechenden Betrag auf dessen Girokonto als Sichteinlage gut.“
Dass Notenbanken in Sachen Geld Aussagen machen, die früher als versponnen abgetan wurden, ist eine junge Entwicklung. Auf die von Ökonomen – auch in den Zentralbanken – verwendeten ökonomischen Modelle hat sie noch nicht durchgeschlagen.
Vor allem zwei Theorien sind dort gängig: Erstens die Intermediationstheorie oder Loanable-Funds-Theorie, wonach Banken Sparergeld weitervermitteln – nicht anders, als es jeder Investmentfonds macht. Banken sind danach nichts Besonderes. Zweitens die Multiplikatortheorie, die noch die Lehrbücher dominiert. Danach vermehrt zwar nicht die einzelne Bank, wohl aber das Bankensystem insgesamt den Geldumlauf, indem Banken die Bareinlagen ihrer Kunden zum Großteil weiterverleihen und dabei die Einleger trotzdem weiter über die Guthaben verfügen dürfen. Fast alle Ökonomiestudenten haben diese Multiplikatortheorie gelernt.
Der Geldschöpfungsmultiplikator sei „vielleicht eine nützliche Methode, Studenten das Thema nahezubringen“, schreibt die Bank von England diplomatisch, aber mit der Realität habe er wenig zu tun: Weder begrenzten die Reserven an Bargeld oder gleichwertigen Guthaben bei der Zentralbank die Kreditvergabe der Banken, noch steuere die Bank von England die Menge der verfügbaren Reserven der Banken. Vielmehr gelte, dass die Banken zuerst Kredit vergäben und danach schauten, wo sie die benötigten Zentralbankguthaben am günstigsten herbekämen.
Was bleibt, wenn die Intermediationstheorie und die Multiplikatortheorie abgewählt sind, ist die Geldschöpfungstheorie, also die „Spinner“-These, dass die Banken Geld aus dem Nichts schaffen.
Allmählich wirkt das auf die Lehrbücher durch. Ein Vorreiter unter den Etablierten ist der Wirtschaftsweise Peter Bofinger, der in die gerade erschienene vierte Auflage seines Ökonomie-Einführungslehrbuchs ein Kapitel zur „Geld- und Kreditschöpfung durch Banken“ eingefügt hat. Auch Gerhard Illing, Co-Autor des Lehrbuchs Blanchard Illing, hat 2014 auf einer Tagung in Aussicht gestellt, den Geldschöpfungsmultiplikator zu streichen.
Diejenigen, die von der Bankengeldschöpfung sprechen, teilen sich grob in zwei Schulen ein. Da ist zum einen die „Moderne Monetäre Theorie„, kurz MMT, die von endogenem Geld spricht und dieses Geldsystem im Großen und Ganzen sehr nützlich findet. Zum anderen sind da Geldreformer, die meinen, Geldschöpfung unter Regie der Zentralbanken statt der Geschäftsbanken würde Kreditblasen und Finanzkrisen verhindern helfen. Eine gewisse Sonderstellung nimmt Richard Werner, Banking-Professor in Southampton ein. Er betont die Rolle der Kreditmenge für die Wirtschaftsentwicklung, wobei es aber sehr darauf ankomme, für welche Aktivität die Kredite vergeben werden, ob für Spekulation (Aktien, Immobilien), Investition oder Konsum. Er tritt für eine staatliche Kreditplafondierung zugunsten der Investitionskredite ein.
Die Anhänger der ersten Gruppe haben Labels wie Post-Keynesianer oder auch Monetärkeynesianer und sind im Wissenschaftsbetrieb noch halbwegs akzeptiert. Die anderen werden manchmal Chartalisten genannt, aber eigentlich werden sie kaum als Wissenschaftler akzeptiert. Sie sind ein buntes Häufchen aus Praktikern – wie etwa der ehemalige Deutsche-Bank-Chefvolkswirt Thomas Mayer und der ehemals oberste Finanzaufseher in Großbritannien, Adair Turner – und Wissenschaftlern – wie der Soziologe Joseph Huber und der Doktorvater von Josef Ackermann, Hans Christoph Binswanger; aber auch der Research-Leiter der Bank von England, Michael Kumhof, ist ihnen zuzurechnen.
Dass die Frage, welche Theorie die richtige ist, enorme praktische Relevanz hat, haben Kumhof und Zoltan Jakab vom Internationalen Währungsfonds deutlich gemacht. Wenn die Bankengeldschöpfung in ein Modell der Wirtschaft eingepflegt wird, dann kommen deutlich größere Schwankungen der Kreditvergabe heraus, die viel größere Effekte auf die Wirtschaft haben, als wenn man die Intermediationshypothese oder die Loanable-Funds-Theorie zugrunde legt, zeigen sie. Danach lag die Unfähigkeit der Notenbanken und anderer, die Finanzkrise vorherzusehen und zu verhindern, auch an ihrem falschen Verständnis des Geldwesens.
Feldforschung: Wo kommt das Geld her?
Als Richard Werner im August 2013 mit einem Kamerateam von der BBC in der kleinen niederbayerischen Raiffeisenbank von Wildenberg auflief, um einen Kredit über 200 000 Euro aufzunehmen, da galt weithin noch als versponnene Idee, dass Banken Geld aus dem Nichts schaffen können. Weil das den Professor für Bankwesen wurmte, tat der in Southampton lehrende Deutsche, was noch keiner getan hatte. Er testete und dokumentierte empirisch, was eine Bank macht, und was in ihren Büchern passiert, wenn sie Kredit gibt. Das Ergebnis erschien unter dem Titel „Can banks individually create money out of nothing? – The theories and the empirical evidence“ in der „International Review of Financial Analysis“.
Nach der bei ökonomischen Modellbauern gängigen Intermediationsthese würde die Bank Geld der Sparer nehmen, um es dem Kreditkunden auf Zeit auszuhändigen.
Es war leicht an den Büchern festzustellen, dass das nicht geschah. Ihnen war auch zu entnehmen, dass Banken entgegen der Intermediationsthese durchaus anders sind als Kapitalsammelstellen. Während ein Fonds das von Kunden eingesammelte und an Wertpapierverkäufer weitergereichte Geld abseits der eigenen Bilanz auf einem Treuhandkonto hat, verbucht eine Bank eingesammeltes Geld als Verbindlichkeit.
Komplizierter war es mit dem Test der Multiplikator-Doktrin, wonach die Verfügbarkeit von Reserven, also Bankguthaben bei der Zentralbank, bestimmt, wie viel Kredit eine Bank geben kann. Werner stellte fest, dass kein Bankangestellter prüfte, wie viele Reserven die Bank hatte, bevor der Kredit vergeben wurde. Die Bankvorstände bestätigten, dass dies auch weder üblich noch notwendig sei.
Letztlich blieb als einzige mit dem Vorgehen und den Buchungsregeln der Bank zu vereinbarende These die Kreditgeldschöpfungsthese, wonach die Bank den Kredit einfach in Form von per Buchung geschaffenem Geld vergibt. Dazu passte, dass das Geld sofort gutgeschrieben wurde und zur Bezahlung von Rechnungen verwendet werden konnte, und auch, dass sich die Bilanz der Bank um den Kreditbetrag vergrößerte. Zusammen mit der Forderung der Bank an den Kreditkunden entstand das Guthaben des Kreditkunden auf dem Bankkonto. Letzteres ist nichts anderes als eine kurzfristige Forderung des Kreditnehmers an die Bank.