21.05. 2015 | Nachdem der Intendant des Bayerischen Rundfunks meine Programmbeschwerde wegen Falschinformationen in einer Tagesschau nicht beantwortete, sondern seinen Informationsdirektor mit einer recht unbefriedigenden Erklärung vorschickte, rufe ich nun den Rundfunkrat des BR an. Journalistische Grundsätze, auf die der gebührenfinanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk verpflichtet ist, wurden verletzt.
Sehr geehrte Damen und Herren,
nachdem der Informationsdirektor des Bayerischen Rundfunks meine Programmbeschwerde über die Tagesschau vom 27.2. als einfachen „Brief“ beantwortete, als wäre es ein Leserbrief, möchte ich hiermit förmlich Beschwerde beim Rundfunkrat einlegen.
Zur Historie der Programmbeschwerde. Diese richtete ich zunächst am 31. März, zusammen mit der Beschwerde über eine weitere Tagesschau vom 20.3., an den Intendanten des vermeintlich für die Tagesschau zuständigen Norddeutschen Rundfunks. Dieser leitete sie zuständigkeitshalber an den WDR weiter, dessen Intendant aber zuständigkeitshalber nur die zweite Beschwerde bearbeitete. Nachdem ich die Beschwerde über den 27.2. wieder an den NDR geschickt hatte, leitete dieser sie zuständigkeitshalber an den Bayerischen Rundfunk weiter. Obwohl ich mein Schreiben jedoch als „Programmbeschwerde“ an den Intendanten gerichtet hatte, antwortete lediglich der Informationsdirektor des BR auf meinen „Brief“. Dieses Verfahren finde ich unbefriedigend. Es ist für den Zuschauer nicht erkennbar, welche Rundfunkanstalt jeweils zuständig ist. Daher wäre es umso dringender, dass diejenige Anstalt, die eine Beschwerde erhält, diese zuverlässig an die zuständige Anstalt weiterleitet, und dass sich dort die richtige Ebene damit befasst.
Der 27.2. war der Tag an dem der Bundestag über die Verlängerung des Hilfspakets für Griechenland abstimmte. Die Tagesschau hatte an diesem Abend berichtet, Finanzminister Varoufakis habe in einem Interview gesagt, „er habe die Reformvorschläge bewusst unbestimmt formuliert, um die notwendige Zustimmung nicht zu gefährden“ (meine Unterstreichungen). Damit habe er die Debatte um die Reformwilligkeit der griechischen Regierung erneut angeheizt, sagt eine Stimme, die wohl dem Korrespondenten in Athen, Peter Dalheimer, gehörte, der offenbar beim BR beschäftigt ist. Letzteres scheint der Grund zu sein, warum die Beschwerde letztlich beim BR landete, vermute ich. Erläutert wurden mir die Zuständigkeitsentscheidungen nicht. Die Darstellung ist in mehrfacher Hinsicht falsch, denn Varoufakis sagte nicht „ich“, er sagte „wir“ und er sprach nicht von seiner „Reformliste“, sondern von der gemeinsamen Erklärung der Eurogruppe.
Die Antwort der BR-Intendanten vom 8. Juni, empfinde ich als unangemessen und unter sachlich-journalistischen Gesichtspunkten unzureichend.
Unangemessen ist sie, weil sie vom Informationsdirektor kommt und lediglich Bezug auf mein „Schreiben“ vom 14. Mai nimmt. Dabei geht der Informationsdirektor mit keinem Wort darauf ein, dass es sich um eine formelle Programmbeschwerde an den Intendanten mit Nennung der Rechtgrundlage handelt. Entsprechend fehlt auch jeder Hinweis darauf, dass ich mich an den Rundfunkrat wenden kann, wenn ich mit der fehlenden Abhilfe meiner Beschwerde nicht zufrieden bin. Der Intendant des WDR hingegen bearbeitete die Programmbeschwerde gegen die zweite Tagesschau korrekt als Programmbeschwerde, nicht als Leserbrief.
Ich beziehe mich ausdrücklich auf §10 Abs. 1 des Rundfunkstaatsvertrags, der die Anforderungen an öffentlich-rechtlichen Journalismus regelt und moniere, dass diese Anforderungen nicht erfüllt wurden. Es handelt sich also um eine förmliche Programmbeschwerde nach Artikel 19 Bayerisches Rundfunkgesetz, der lautet:
„Jedermann hat das Recht, sich mit einer Beschwerde an den Intendanten des Bayerischen Rundfunks zu wenden. Die Beschwerden sind zu verbescheiden. Macht der Beschwerdeführer gegen den Bescheid Einwendungen geltend und ist der Intendant nicht bereit, diesen Rechnung zu tragen, so hat er den Rundfunkrat zu unterrichten.“
Der Intendant des Bayerischen Rundfunks hat mir zu meiner Beschwerde keinen ordentlichen Bescheid zukommen lassen. Deshalb wende ich mich nun an den Rundfunkrat, denn nach Artikel 6 Absatz 3, Nr. 8., zählt zu den Aufgaben des Rundfunkrats „die Überwachung der Einhaltung der Grundsätze sowie der von ihm aufgestellten Richtlinien gemäß Art. 4“, wobei er gemäß Artikel 6 Absatz 1 als Anwalt der Allgemeinheit aufzutreten hat.
Artikel 4 BR-Gesetz schreibt unter anderem vor:
„Berichterstattung und Informationssendungen haben den anerkannten journalistischen Grundsätzen, auch beim Einsatz virtueller Elemente, zu entsprechen. Sie müssen unabhängig und sachlich sein. Nachrichten sind vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Wahrheit und Herkunft zu prüfen.
Die anerkannten journalistischen Grundsätze wurden, wie ich zeigen werde, nicht gewahrt. Insbesondere die Grundsätze der Sorgfalt bei der Quellen- und Tatsachenprüfung, die Neutralität in der Darstellung und der Grundsatz, dass die Gegenseite zu hören ist, wenn Vorwürfe über sie in Umlauf gebracht werden.
Artikel 7 Absatz 7 BR-Gesetz regelt das Verfahren bei einem Verstoß gegen die Programmgrundsätze:
„Stellt der Rundfunkrat in einer bereits verbreiteten Rundfunksendung einen Verstoß gegen die Grundsätze des Art. 4 fest, soll ein Beitrag verbreitet werden, der geeignet ist, den Verstoß auszugleichen. Im Übrigen gilt § 19a des Rundfunkstaatsvertrags.“
Dies beantrage ich in Bezug auf die Tagesschau von 27. Februar.
Inhaltlich ist die Antwort des Informationsdirektors des BR sehr unbefriedigend. Er zitiert zwei missverständliche bis falsche deutsche Agenturmeldungen von dpa und afp und leitet daraus die Vermutung ab:
„Die Reformliste scheint Teil der Vereinbarung zu sein. Tatsächlich wurde das Papier nie veröffentlicht.“
Die von mir in meiner Programmbeschwerde angeführte Agentur Reuters, die korrekt berichtet hatte, wird nicht erwähnt. Auf den korrekten englischen Bericht einer griechischen Zeitung, den ich zitiert hatte, wird ebenfalls nicht eingegangen. Es gab an diesem Tag viele korrekte Berichte dieser Art, zumeist allerdings in englischer Sprache, weil wohl viele deutsche Medien sich von den beiden irreführenden deutschen Agenturberichten leiten ließen, oder einfach voneinander abschrieben.
Es ist für mich unverständlich, warum man sich auf zwei Agenturmeldungen stützen muss, um Vermutungen darüber anzustellen, wie Vereinbarung und Reformliste zusammenhängen. Die „Verlautbarung zu Griechenland“ der Eurogruppe mit Namen „Statement on Greece“ vom 20. Februar ist kein Geheimnis. Es handelte sich im Kern um eine Vereinbarung der übrigen Eurogruppe mit Griechenland. Darin heißt es:
„The Greek authorities will present a first list of reform measures, based on the current arrangement, by the end of Monday February 23. The institutions will provide a first view whether this is sufficiently comprehensive to be a valid starting point for a successful conclusion of the review. This list will be further specified and then agreed with the institutions by the end of April.”
Anders als der Griechenlandkorrespondent und der Informationsdirektor des BR gestützt auf Agenturmeldungen vermuten, sind die Vereinbarung und die Reformliste also nicht ein und dasselbe. Vielmehr regelt die Vereinbarung, dass die griechische Regierung eine Reformliste vorlegen muss.
Im Folgenden zitiere ich den Bericht den die griechische Zeitung Enikos am Berichtstag online stellte:
„The Greek government’s agreement with the Eurogroup was intentionally vague because that is what the EU partners wanted in order to ensure that they would be able to ratify the deal in their parliaments”, Finance Minister Yanis Varoufakis said on Friday. „We are very proud of the level of vagueness…[European] officials asked for abstract concepts in the text we delivered in order for them to receive parliamentary approval,“ Varoufakis told ANT1 TV, adding that this is the reason no numbers were included in the Eurogroup deal.
Meine Übersetzung folgt (Unterstreichungen von mir):
„Die Vereinbarung der griechischen Regierung mit der Eurogruppe war absichtsvoll vage gehalten, weil die EU-Partner dies wollten, um sicher zu stellen, dass sie in der Lage sein würden, die Vereinbarung in ihren Parlamenten ratifizieren zu lassen“, sagte Finanzminister Yanis Varoufakis am Freitag. „Wir sind sehr stolz auf das Ausmaß der Unbestimmtheit … (europäische] Amtsträger wollten abstrakte Konzepte im Text und wir lieferten sie, damit sie die Zustimmung des Parlaments bekommen“, sagte Varoufakis ANTI TV, und setzte hinzu, dies sei der Grund, warum es keine Zahlen in der Vereinbarung der Eurogruppe gebe.
Es ist wichtig, ob Varoufakis gesagt hat „er“ habe seine „Reformliste“ absichtlich vage formuliert, oder ob er er gesagt hat, „wir“, also die Eurogruppe, hätten auf Wunsch von Amtsträgern, die „Vereinbarung“ bewusst vage formuliert. Die verkürzte und verfälschte Darstellung in der Tagesschau führte nämlich – wieder einmal – zu einer negativen Berichterstattung über die griechische Regierung im Allgemeinen und über Finanzminister Varoufakis im Besonderen. Varoufakis habe die Debatte um die Reformwilligkeit der griechischen Regierung angeheizt, wird der ganze Beitrag zu seinen Aussagen intoniert, was der Zuschauer verstehen muss als Varoufakis habe einen erneuten Beweis für die mangelnde Reformwilligkeit geliefert.
Wäre Varoufakis Aussage richtig wiedergegeben worden, hätte die Tagesschau nicht ihm die Unbestimmtheit der Vorschläge (richtig wäre: der Vereinbarung) in die Schuhe schieben können, zumindest nicht allein. Denn er sagte „wir“. Der Informationsdirektor rechtfertigt diese Falschdarstellung wenig überzeugend mit Zeitgründen (Beitragslänge). Außerdem habe Varoufakis sich die Unbestimmtheit als eigenen Erfolg zugerechnet, mit der Formulierung „Wir sind sehr stolz auf den Grad der Ungenauigkeit“, deshalb habe der Korrespondent es nicht für relevant gehalten, dies näher auszuleuchten. Hätte der Korrespondent korrekt Varoufakis Aussage auf die „Verlautbarung der Eurogruppe“ anstatt auf die griechische Reformliste bezogen, wäre die falsche Interpretation der Handelnden gar nicht möglich gewesen, denn Varoufakis kann nicht die Verlautbarung der Eurogruppe bestimmen.
Die Ausflucht vom Zeitmangel verfängt nicht, weil die korrekte Zitierung nicht mehr Zeit verlangt hätte, als die falsche. Man hätte nur den negativen Tenor nicht halten können.
Der vorgebliche Zeitmangel hat in dem Beitrag noch mehr Opfer bei der Einhaltung der Programmgrundsätze gefordert. So folgt auf den Korrespondentenbeitrag direkt eine Einspielung mit einem als Politikwissenschaftler eingeführten George Tzogopoulos unbekannter institutioneller Zugehörigkeit und Funktion, der sagt: „Die griechische Regierung spricht offenbar mit gespaltener Zunge.“
Einen Experten auf Basis falscher Informationen mit einer Beleidigung zu Wort kommen zu lassen (Varoufakis lügt), ohne dessen Funktion zu nennen und ohne die Gescholtenen zu Wort kommen zu lassen, widerspricht journalistischen Grundsätzen, auf die der gebührenfinanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk verpflichtet ist.
Eine Internet-Recherche ergibt, dass der geheimnisvolle George Tzogopoulos nicht für eine Universität arbeitet, wie man bei der sparsamen Berufsbezeichnung „Politikwissenschaftler“ vermuten würde, sondern für die Hellenic Foundation for European & Foreign Policy, eine Stiftung, deren Präsident schon Berater des EU-Kommissionspräsidenten war. Er selbst sei auch mit der von Hedge-Fond-Milliardär George Soros finanzierte European Council on Foreign Relations liiert, erfährt man auf der Website der Stiftung. Hedgefonds-Milliardäre mögen meist stramm linke Regierungen nicht. Es handelt sich also um einen Experten, der von seiner Ausrichtung und Interessenlage her mit dem Verhandlungsgegner der griechischen Regierung verbunden ist. Das ist an sich schon fragwürdig. Dem Durchschnittszuhörer keine Chance zu geben, die Ausrichtung des “Experten“ zu erkennen und der Regierung keine Chance zur Verteidigung gegen den harten Vorwurf des „Experten“ zu geben, ist mit den Programmgrundsätzen nicht vereinbar.
Zusammengefasst hat der Beitrag Programmgrundsätze verletzt, weil er:
- die Pflicht zur gewissenhaften Recherche verletzte, indem er falsche Tatsachenbehauptungen über das Gesagte aus irreführenden Agenturmeldungen übernahm und verbreitete, obwohl dies leicht durch Anhören des Originalinterviews, Lesen des Originaldokuments und Konsultation weiterer Sekundärquellen verifizierbar gewesen wäre,
- die Neutralitätspflicht verletzte, indem er einen vermutlich voreingenommen Experten mit einer Einordnung an der Grenze zur Beleidigung zitierte, ohne dem Zuhörer die Chance zu geben, die vermutliche Voreingenommenheit zu erkennen und dabei
- die journalistische Pflicht verletzte, die Gegenseite zu hören, was dieser nicht nur Chance gegeben hätte, sich gegen den Vorwurf der Lüge zu wehren, sondern auch die Falschdarstellung des Gesagten zurechtzurücken.
Ich rege daher an, dass der Rundfunkrat einen Rechtsverstoß in der Sendung feststellt und gemäß §19 a des Rundfunkstaatsvertrags den Intendanten auffordert, darüber im Programm zu informieren, sowie gemäß Artikel 7 Absatz 7 des BR-Gesetzes dem Intendanten aufgibt, einen Beitrag zu verbreiten, der geeignet ist, den Verstoß auszugleichen.
Ferner rege ich an, dass der Rundfunkrat dem Intendanten aufgibt, Programmbeschwerden künftig gemäß dem Bayerischen Rundfunkgesetz zu bearbeiten und zu bescheiden.
Mit freundlichen Grüßen