Bedingungsloses Grundeinkommen klingt schön, ist es aber nicht

Der verdi-Bundesvorstand hat sich in einer kritischen Analyse mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen beschäftigt, einer schön klingenden Idee, die aber einen ziemlich dicken Pferdefuß hat. Ich teile die Einschätzung und möchte die Analyse mit Genehmigung der Autoren in Kurzfassung nachdrucken.

Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) klingt zunächst attraktiv. Es soll ohne Bedürftigkeitsprüfung und unabhängig von sonstigen Einkommen und Vermögen jeder Person ausgezahlt werden. Es soll hoch genug sein, Existenz und gesellschaftliche Teilhabe zu sichern. Gegenleistungen und insbesondere die Suche nach einer Erwerbsarbeit werden nicht gefordert. Es gibt auf der einen Seite sozial und humanistisch und politisch eher links motivierte Modelle. Sie wollen Sozialversicherungen sowie Arbeitnehmerrechte und sonstige soziale Rechte und Leistungen erhalten. Auf der anderen Seite stehen mehr oder minder neoliberale Modelle mit Leistungen an der Armutsgrenze, bei denen der bisherige Sozialstaat, Arbeitnehmerrechte und Tarifverträge wegfallen würden.

Doch zur Bekämpfung von Armut und Unterversorgung wären verbesserte und repressionsfrei gestaltete bedarfsabhängige Leistungen sowie höhere Löhne und Renten viel naheliegender, geeigneter und gerechter als ein pauschales BGE für alle. Der entscheidende Unterschied bestünde darin, dass der Mehrheit der Menschen ein BGE in die eine Tasche hineingesteckt und es zugleich aus der anderen Tasche über exorbitant höhere Abgaben wieder herausgezogen würde.

Für sozial ausgerichtete BGE-Modelle dürften lediglich steuerfinanzierte Einkommensleistungen wegfallen. Sozialversicherungsansprüche dürfen nicht enteignet werden. Ein solches BGE würde mit mindestens 900 Mrd. Euro jährlich noch einmal so viel kosten wie alle Gemeinden, Länder und Bund insgesamt ausgeben oder wie der gesamte Sozialstaat bisher kostet.

Erwerbsarbeit und Löhne bleiben zentral

Alle Einkommen beruhen letztlich auf Wertschöpfung durch Erwerbsarbeit. Sozialleistungen und auch ein BGE müssen letztlich immer aus dem Volkseinkommen aufgebracht werden, also den Löhnen einerseits, Gewinnen und Vermögenseinkommen andererseits. Der Kampf um die Löhne bleibt die primäre verteilungspolitische Aufgabe, auch zur Finanzierung des Sozialstaats. Wenn die Lohnquote stark sinken würde, wäre illusorisch, dies durch Maschinensteuern der Unternehmen kompensieren zu können.

Doch selbst bei höherer Besteuerung der Reichen und Unternehmen müsste der Großteil der für ein BGE erforderlichen Ausgaben unvermeidlich von den abhängig Beschäftigten aufgebracht werden. Die durchschnittliche Gesamtbelastung der Bruttolöhne mit Steuern und Sozialbeiträgen müsste weit mehr als verdoppelt werden. Für eine alternative Finanzierung durch die Mehrwertsteuer wären Mehrwertsteuersätze in der Größenordnung von 150 Prozent erforderlich.

Dies würde flächendeckend enorm verschärfte Kontrollen erfordern. Denn die reguläre Erwerbsarbeit und ökonomische Wertschöpfung müsste auf dem gleichen Niveau wie bisher weitergehen und weitgehend vollständig mit Steuern und Sozialbeiträgen belegt werden. Sonst würden die Einnahmequellen zur Finanzierung eines BGE fortschreitend untergraben.

Über die gesamte Be- oder Entlastungswirkung eines BGE lässt sich nur spekulieren. Sie hinge stark von der Höhe und Ausgestaltung des BGE, den Ausgangsbedingungen des jeweiligen Haushalts sowie der Veränderung der Erwerbseinkommen in einer Wirtschaft mit BGE ab. Zudem sind BGE-Konzepte umso unrealistischer, je höher das vorgesehene BGE sein soll, besonders sozial gestrickte Konzepte also besonders irreal.

Profitieren würden Personen, deren verfügbare Einkommen vorher geringer als das BGE waren. Für die Mehrheit der Bevölkerung sind aber Löhne die Haupteinkommensquelle, die höher als ein BGE liegen. Sie müssten ganz überwiegend die höheren Abzüge tragen und würden mehrheitlich unter dem Strich draufzahlen.

Druck auf Tarife und Arbeitnehmerrechte

Ein BGE würde als universeller Kombilohn massiven Druck auf die Arbeitseinkommen und die Tarife ausüben. Ob es unter dem Druck eines BGE noch hinreichende gesellschaftliche Kräfte gäbe, um das aktuelle arbeitsrechtliche Schutzniveau zu halten, ist zu bezweifeln. Gewerkschaften würden geschwächt, die Einkommensschere würde noch weiter auseinandergehen. Die Profit­ansprüche der Unternehmen und Kapitalanleger würden dagegen durch ein BGE nicht gemindert. Hier wäre weiterhin das Streben nach höchstmöglicher Rendite das entscheidende Kriterium für Investitions- und Anlageentscheidungen.

Die Grundeinkommensszene behauptet, die arbeitssparende Digitalisierung mache ein BGE als Entkopplung von Erwerbsarbeit und Einkommen unumgänglich. Doch gesamtwirtschaftlich wächst die Produktivität heute schwächer und nicht etwa stärker als früher. Die Zahl der Erwerbstätigen und das Volumen der bezahlten Arbeit steigen. Die Le-
gende vom »Ende der Arbeit« wird sich auch in den kommenden Jahrzehnten nicht bewahrheiten.

Ein BGE wäre eine Geldleistung. Doch alle Güter und Dienstleistungen, die kaufbar sind, werden mittels Erwerbsarbeit produziert. Zugleich entstehen dabei die Einkommen, aus denen sie bezahlt werden. Ein BGE würde daher vollständig auf Erwerbsarbeit beruhen. Es wäre weder eine emanzipatorische Alternative dazu noch förderlich für die Frauenemanzipation. Es würde wie ein Betreuungsgeld für alle wirken.

Politische Risiken und soziale Alternativen

Die Begründungen für ein BGE halten einer kritischen Überprüfung nicht stand. Konzepte eines sozial ausgerichteten BGE erweisen sich als illusionäre Resultate einer „Wünsch dir was“-Logik. Die gesellschaftliche und politische Macht der Unternehmen und großen Kapitaleigentümer/innen würde durch ein BGE nicht geschmälert, sondern verstärkt. Arbeitsplatzvernichtung, soziale Spaltung, Ungleichheit und Ausgrenzung wären vermeintlich kein gesellschaftliches Problem mehr.

Die Bewegung für ein BGE könnte sich so – und sei es auch wider Willen – als eine Art trojanisches Pferd für die Durchsetzung einer radikalisierten Variante des Neoliberalismus erweisen. Sie lenkt ab von den Auseinandersetzungen, um die es gewerkschaftlich und politisch tatsächlich geht und weist erhebliches Spaltungspotenzial in sozialen und politischen Bewegungen auf.

Die gewerkschaftlichen Alternativen sind klar: ein Recht auf gute und angemessen bezahlte Arbeit für alle, gerechtere Verteilung der Einkommen und Vermögen, Stärkung und gerechte Weiterentwicklung des Sozialstaats und gesellschaftlich notwendiger Dienstleistungen, sowie verbesserte und repressionsfreie bedarfsabhängige Grundsicherungen. Dafür setzen wir uns ein.

Eine ausführliche Fassung mit Erläuterungen und Belegen findet sich auf www.wipo.verdi.de

{712.2017]

 

 

 

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