Auf beiden Seiten des Atlantiks tobt ein mit wissenschaftlichen oder pseudowissenschaftlichen Studien ausgetragener Kampf um die Digitalisierung des Zahlungsverkehrs. Aus der Harvard-Universität kommen Studien und Bücher, die dafür werben, das analoge Bezahlen mit Bargeld möglichst schnell zurückzudrängen, weil es die Geldpolitik behindere und die Kriminalität fördere. Die Bundesbank hält mit Studien dagegen, die den Nutzen des Bargelds betonen.
Anfang 2016 veröffentlichte Harvard-Ökonom Peter Sands das Papier „Making it Harder for the Bad Guys: The Case for Eliminating High Denomination Notes„. Darin warb er für die Abschaffung großer Banknoten, um Kriminalität und Geldwäsche zu erschweren. Sands war CEO der britischen Großbank Standard Chartered, bevor er im Sommer 2015 einer Aktionärsrevolte zum Opfer fiel und vom ehemaligen US-Finanzminister Larry Summers an dessen Institut an der Harvard-Universität geholt wurde. Summers verteilte Sands‘ Studie an die Notenbanken und unterstützte die Botschaft mit Meinungsbeiträgen in den Medien. Wenig später beschloss die Euroopäische Zentralbank im Mai nach kurzer Diskussion den 500-Euro-Schein nicht mehr zu drucken.
Im Mai 2016 brachte Harvard-Kollege Ken Rogoff die als wissenschaftliches Buch getarnte Propagandaschrift „The Curse of Cash“ heraus, deutsch: „Der Fluch des Geldes. Warum unser Bargeld verschwinden wird.“
Der Bundesbank ist das alles nicht recht geheuer. Im April 2017 hielt sie deshalb unter dem Titel „The War on Cash“ eine Konferenz ab, bei der eine neue Studie von Peter Sands zu Barzahlungsobergrenzen kritisch hinterfragt wurde. Sie heißt „Limiting the Use of Cash for Big Purchases„. Co-Autoren sind Harvard-Ökonom Ben Weisman sowie Hayley Campbell und Tom Keatinge, zwei Experten für Sanktionspolitik und Terrorismusfinanzierung vom Royal United Services Institute (RUSI), einem Londoner Forschungsinstitut zur Militär- und Sicherheitspolitik. Anfang September wurde die Studie am RUSI der Öffentlichkeit vorgestellt.
Der Schattenwirtschaftsexperte Friedrich Schneider von der Universität Linz vertrat auf der Bundesbank-Konferenz die These, Bargeld sei für die organisierte Kriminalität nicht mehr wichtig. Ein weiteres Gegenreferat mit dem Titel „The Blessing of Cash“ kam von Malte Krüger und Franz Seitz. Die beiden an den Hochschulen Aschaffenburg und Weiden lehrenden Ökonomen hatten von der Bundesbank den Auftrag bekommen, die Gegenargumentation zu Rogoff, Summers, Sands & Co. zu entwickeln. Die Studie ist kürzlich unter dem Namen „Der Nutzen von Bargeld“ im Fritz Knapp Verlag erschienen. „Kostenaspekten sowie der illegalen Nutzung von Bargeld wird viel Aufmerksamkeit gewidmet, während der Nutzen meist wenig oder gar nicht berücksichtigt wird“, schreibt der zuständige Bundesbank-Vorstand Carl-Ludwig Thiele im Vorwort: „Deshalb haben wir uns entschieden, eine Studie in Auftrag zu geben, die auch den Nutzen evaluiert.“
Leisetretende Bundesbanker
Dabei bleibt die Bundesbank allerdings ihrer Linie treu, das Bargeld nur zaghaft und im Hintergrund zu verteidigen und sich nicht offen gegen die bargeldfeindliche Linie der EZB zu stellen. Die Bundesbank tat so gut wie nichts, um das Buch bekannt zu machen, und der eher hohe Preis von 28 Euro dürfte einer weiten Verbreitung im Wege stehen.
Die Autoren lassen kaum ein gutes Haar an den Argumenten aus Harvard. Das Argument, die Kosten der Bargeldversorgung würden nicht in den Preisen widergespiegelt, kontern sie damit, dass es vor allem die Kreditkartenfirmen gewesen seien, die zu verhindern suchten, dass der Handel unterschiedliche Kosten von Zahlungsmitteln an die Kunden weitergibt. Zu den großen Vorteilen des Bargelds zählen sie die größere Robustheit des Zahlungsverkehrssystems, wenn es nicht nur von komplexen technischen Systemen abhängige Bezahlverfahren gibt.
Bram Scholten, Senior-Berater der niederländischen Zentralbank, stellte auf der Konferenz fest, dass es selbst in den nordischen Ländern und in Holland, wo Bargeld stark auf dem Rückzug ist, „einen Konsens der Notenbanken gibt, wonach es wichtig ist, dass Bargeld ein gut funktionierendes Zahlungsmittel bleibt, solange es Nachfrage danach gibt“. Hauptargumente der Notenbanken dafür seien, dass digitales Bezahlen nicht immer möglich oder erwünscht sei und dass Bargeld eine wertvolle Rückfalloption bei Systemausfällen sei.
Untaugliches Mittel gegen Terror
Einigkeit gibt es immerhin dahin gehend, dass die Terrorbekämpfung kein vordringliches Ziel von Bargeldbegrenzungen sein kann. Der Geldbedarf sei einfach zu gering, meinen Scheider und Krüger/Seitz ebenso wie Sands.
Für eine Barzahlungsobergrenze, wie sie die EU-Kommission derzeit prüft, spricht aus Sicht des Sands-Teams, dass man sich dann die „aufwendigen und ineffektiven Berichtspflichten“ für Händler von Hochpreisigem wie Immobilien, Kunst oder Schmuck sparen könnte. Die Aufsichtsbehörden seien nicht in der Lage, die vielen Meldungen zu verarbeiten. Dieses Argument wollen die Autoren später offenbar nochmals nutzen. „Die Höchstgrenze zu Anfang auf einen relativ hohen Betrag festzusetzen, zum Beispiel 3 000 Euro, minimiert das wahrgenommene Risiko von negativen Auswirkungen“, schreiben sie. Später könne man das Limit absenken. Um Argumente für das Absenken zu generieren, könne man für Barzahlungen unterhalb der Höchstgrenze eine Meldepflicht einführen, zum Beispiel ab 2 000 Euro, schlagen sie vor. Mann kann derartige Argumentationsschleifen wahlweise Chuzpe oder perfide nennen.
„Auf der Bargeldkonferenz mussten die Autoren zugeben, dass Sie keine harte empirische Evidenz besitzen, sondern alles nur auf Mutmaßungen beruht“, kritisiert Seitz die neue Sands-Studie und fügt hinzu: „Italien hat sogar explizit mit dem Hinweis, dass Bargeldobergrenzen nicht gegen Kriminalität helfen, die Obergrenze von 1 000 auf 3 000 Euro heraufgesetzt.“ Ihm sei auch keine einzige Untersuchung bekannt, in der gezeigt wurde, dass Bargeldobergrenzen gegen Schattenwirtschaft und Kriminalität helfen.
Auch das Harvard-RUSI-Team um Sands setzt sich explizit mit Gegenargumenten auseinander. Die Autoren stellen fest, in Ländern wie Deutschland und USA basiere der Widerstand vor allem auf dem Argument, Bargeldobergrenzen beeinträchtigten die individuelle Freiheit und die Privatsphäre. Dem halten sie entgegen: „Es ist schwierig zu argumentieren, dass es ein unbestreitbares Recht auf Privatsphäre gibt, und es scheint vernünftig, wenn Regierungen dort, wo es einen überzeugenden Grund dafür gibt, wohl abgewogene Grenzen der Anonymität setzen.“ Dass sich bei einer öffentlichen Konsultation der EU-Kommission 95 Prozent der Teilnehmer gegen Bargeldobergrenzen ausgesprochen haben, vor allem wegen der befürchteten Einschränkung der Privatsphäre, wollen sie nicht als Abbild der Meinung zu diesem Thema gelten lassen. „Die Teilnehmerauswahl ist nicht repräsentativ“, stellen sie fest, „es gibt starke Anzeichen, dass sich vor allem Gegner von Bargeldobergrenzen beteiligt haben.“
Dossier zum Krieg gegen das Bargeld
[16.11.2017]