Ärztetag sorgt sich um Schüler und redet digitalisierungswütiger Bundesregierung ins Gewissen

11. 06. 2025 | Der Deutsche Ärztetag empfiehlt, die Nutzung von Smartphones und Tablets an Schulen zu verbieten oder stark einzuschränken und fordert das Bundesbildungsministerium auf, Konzepte dafür zu entwickeln. Denn die exzessive Nutzung der Geräte durch Jugendliche schade deren Gesundheit und Lernentwicklung erheblich. Doch die Bundesregierung tickt ganz anders. 

Der 129. Deutsche Ärztetag tagte vom 27. bis 30.05. in Leipzig. Er ist das Parlament der Ärztekammer. 250 Abgeordnete der 17 regionalen Kammern kommen jährlich zusammen, um unter anderem Positionen der Ärzteschaft zu aktuellen gesundheits- und sozialpolitischen Diskussionen zu beschließen.
Die Position der Ärzte zur Nutzung von digitalen Medien in Schulen könnte klarer kaum sein. Im Beschlussprotokoll (Link korrigiert) heißt es:

„Die übermäßige Nutzung digitaler Medien birgt erhebliche Gefahren für die Gesundheit und die Lernentwicklung von Kindern und Heranwachsenden. Der 129. Deutsche Ärztetag empfiehlt daher die unterrichtsfremde Nutzung mobiler Endgeräte wie Smartphone, Tablets und Smartwaches an Schulen zu reduzieren, möglichst auf null. Begründung: (..) Neben dem Rückgang von Lernerfolgen zeigt sich ein Einfluss auf die kognitive, soziale und emotionale Entwicklung. Zudem sind Konzentrationsschwierigkeiten, verminderte Leistungsfähigkeit und zugleich Depressionen und Augenerkrankungen typische negative Folgen. Die freie Zeit in der Schule sollte daher eine bildschirmfreie Zeit sein, auch um das vermittelte Wissen verarbeiten zu können. Insbesondere die Nutzung von Smartphones führt an vielen Schulen zu einem konfliktiven Klima zwischen Schülern und Lehrern. Ein generelles Untersagen der Nutzung an allen Schulen kann daher sinnvoll sein und sollte von der Politik länderübergreifend geprüft werden.“

Deshalb fordert der Ärztetag das Bundesbildungsministerium auf, Konzepte für eine von digitalen Bildschirmmedien freie Schule außerhalb des Unterrichts zu entwickeln. Auch die Nutzung privater Geräte im Unterricht lehnt der Ärztetag ab und fordert, die Nutzung internetfähiger Geräte auf gut geschulte Lehrkräfte im Rahmen eines gut durchdachten Konzepts zu begrenzen. Die Ärztevertreter sehen eine übermäßige Bildschirmaffinität von Unterrichtsmaterialien.

Die Haltung der Bundesregierung ist im Gegensatz zur Ärzteschaft von unbedingter Digitalisierungseuphorie auch im Bezug auf Schulen geprägt. Im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien heißt es:

„Mit dem neuen DigitalPakt bauen wir die digitale Infrastruktur und verlässliche Administraton aus. Wir bringen anwendungsorienterte Lehrkräftebildung, digitalisierungsbezogene Schul- und Unterrichtsentwicklung, selbst-adaptive, KI-gestützte Lernsysteme voran. Bedürfige Kinder statten wir verlässlich mit Endgeräten aus.“

Hinweise darauf, dass Union und SPD das Problem der übermäßigen Digitalgeräte-Nutzung durch Kinder und Jugendliche bewusst und wichtig ist, sucht man vergeblich.

Dagegen wird in immer mehr europäischen Ländern die Nutzung privater Digitalgeräte im Unterricht und in den Pausen verboten oder eingeschränkt. Erste Bundesländer gehen in diese Richtung, beschränken sich aber bisher zumeist auf die Regelung der Nutzung in Pausen. Hessens Landesregierung hat ein allgemeines Smartphone-Verbot an allen Schulen mit Erlaubnisvorbehalt für den Unterricht beschlossen. Es gilt ab dem kommenden Schuljahr.

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