Hintergrund des Tagesschau-Faktenchecker Artikels waren Stellungnahmen des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) und der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Beide waren viel zu einerseits-andererseits, um die Überschrift auch nur annähernd zu rechtfertigen: „Desinformation: Vitamin D hilft nicht gegen Covid-19-Erkrankung“.
Dass sie trotzdem gewählt wurde, dürfte mit der Polarisierung der Debatte in Sachen Corona zusammenhängen, an der sich die ARD mit Verve beteiligt, anstatt zu versuchen, objektiv zu berichten und damit nach Möglichkeit für Deeskalation im Meinungsstreit zu sorgen. Weil die Corona-Maßnahmen der Regierung so umstritten sind, gelten alternative oder auch nur zusätzliche Handlungsoptionen als Wasser, das man keinesfalls auf die Mühlen der Kritiker lenken darf. Und so darf Vitamin-D eben nicht gegen Corona helfen, denn daraus könnten manche ein Argument ableiten, dass man Lockdowns oder Impfstoffe oder Masken nicht braucht.
In diesem Zusammenhang war es sicher nicht hilfreich, dass die AfD im Juni 2020 den vernünftigen Antrag im Bundestag eingebracht hat, „die Bevölkerung sollte umfassend über die gesundheitlichen Folgen einer mangelhaften Vitamin-D-Versorgung in Bezug auf Atemwegserkrankungen und andere Erkrankungen informiert werden. Es sollten Vorkehrungen getroffen werden, um die Vitamin-D-Versorgung in der Bevölkerung zu verbessern.“
Wenn die AfD das sagt, sehen sich alle Parteien, Regierungsstellen und Medizinverbände genötigt, das Gegenteil zu sagen. Zumindest dürfen sie nicht das Gleiche sagen. Und wenn, dann so verklausuliert, dass man die Übereinstimmung nicht erkennt.
Und so schieben sich die Behörden und Organisationen der Gesundheitspflege gegenseitig den toxischen Vitamin-D-Ball zu, erklären sich für unzuständig oder ergehen sich in Wischiwaschi-Aussagen, die niemand nützen.
Das BfR ist nicht für Medikamente zuständig und darf eigentlich keine Ratschläge in Richtung medikamentöse Behandlung geben. Sie sind aber fast die einzigen, die halbwegs brauchbare Ratschläge geben. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) verweigert die Verantwortung und wird nur auf Zulassungsantrag hin aktiv. So werden denn Organisationen wie die Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie und Deutsche Gesellschaft für Ernährung zu den Hauptautoritäten, obwohl deren Kompetenz für die Wirkung von Vitamin-D im Immunsystem im Allgemeinen und gegen Corona im Besonderen zumindest nicht offensichtlich ist. Das Ganze endete in Verweigerung sinnvoller Maßnahmen und Nicht-Umsetzung der wenigen existierenden Empfehlungen.
Die Polarisierung ist kein deutsches Phänomen. Es gibt eine Gruppe von Wissenschaftlern, die eine Webseite betreiben, auf der sie alle existierenden Studien zu Vitamin-D und Corona zusammenstellen und auswerten. Sie bleiben anonym und verweisen zur Begründung auf Todesdrohungen und Entlassungen von Wissenschaftlerinnen, die sich zum Thema geäußert haben.
Von den 75 untersuchten Studien kommt die große Mehrheit zu dem Ergebnis dass Vitamin-D in der Prävention oder Behandlung von Covid-19 nützlich ist. Die Wissenschaftler betonen allerdings, dass die Effekte nicht so stark sind, dass man deswegen auf Impfungen verzichten könnte.
Im Dezember gab es einen internationalen Aufruf von über 200 Wissenschaftlern, sich darum zu kümmern, dass die Bevölkerungen ausreichend mit Vitamin-D versorgt sind, um Infektionen mit Corona und die Schwere der Krankheitsverläufe zu vermindern. Davon hörte man bei uns fast nichts. Gerade einmal die Tatsache, dass das amerikanische Drosten-Pendent Fauci und seine Frau Vitamin-D einnehmen, wurde hier und da berichtet. Zu einer offiziellen Empfehlung hat das aber auch in den USA nicht geführt.
Die existierenden Studien gegen eine Wirkung von Vitamin-D sind oft recht klein und damit angreifbar. Das Problem ist, dass sich niemand darum kümmert, größere Studien zu organisieren und zu bezahlen. Privates Finanzinteresse daran besteht nicht, und die staatlichen Stellen drücken sich um ihre Verantwortung. Genügend Indizien, dass die sehr einfache und billige Möglichkeit der Gabe von zusätzlichem Vitamin-D im Winter relativ viel helfen können, gibt es, um eine eingehende Untersuchung nicht nur zu rechtfertigen, sondern zu einem Muss für verantwortungsbewusste Gesundheitspolitiker zu machen.
Siehe dazu auch aus Rechtsdepesche.de: „COVID-19: Könnten einfache Medikamente Leben retten?“ Insbesondere der Abschnitt „Arzneimittelrecht als Hindernis“ ist interessant. (Dank an Klaus Haas für den Hinweis.)