Allesdichtmachen und die Methoden der medialen Panikmache

28. 04. 2021 | Hören | Das Online-Portal des Nachrichtensenders n-tv, der zur RTL-Gruppe gehört, hat ein gutes Angebot an Grafiken und Tabellen zur Corona Epidemie, bei dem ich mich gern informiere. Deshalb lässt sich an dem, was der Sender textlich aus diesen Informationen macht, sehr schön die Methodik der Panikmache und Meinungsmanipulation zeigen.

Wohl nicht zufällig hat sich n-tv.de geradezu überschlagen mit gehässigen Kommentaren und negativen Berichten zur Schauspieleraktion #allesdichtmachen (Youtube-Link). Tagelang war es das wichtigste Thema auf dem Portal. Der Hauptvorwurf der Schauspielerinnen und Schauspieler, die Verhältnismäßigkeit sei in der Corona-Politik und Berichterstattung auf der Strecke geblieben, wurde dutzendfach zu widerlegen oder davon abzulenken versucht und ihr persönlicher Charakter massiv angegriffen. Positiv ist anzumerken, dass es in der Flut der wütend-negativen Berichte und Kommentare auch ein faires Interview mit dem Regisseur der #allesdichtmachen-Aktion Dietrich Brüggemann auf n-tv.de gab.

Ich schaue regelmäßig auf n-tv.de in die „Epidemielage in Deutschland: Alle Daten, alle Fakten zum Coronavirus„. Im Fließtext zwischen den Grafiken und Tabellen liest man dort am Mittwoch 28.04 in der Zusammenfassung:

„Die dritte Corona-Welle in Deutschland ist noch nicht gebrochen. Nach dem höchsten Wochenzuwachs 2021 registrieren die Länderbehörden auch zum Wochenstart sehr hohe Werte. In der Altersgruppe bis 14 Jahre steigt die 7-Tage-Inzidenz weiterhin an.“

Und weiter:

„Im Kampf gegen die Pandemie bleibt Deutschland in einer der schwersten Phasen. Um die mittlerweile seit mehr als zwei Monaten laufenden dritte Ansteckungswelle zu brechen und einzudämmen, traten am vergangenen Samstag bundesweit einheitlichen Pandemie-Regeln in Kraft. (…) Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte die Einführung der „Bundes-Notbremse“ als alternativlos verteidigt. (…) Erst am vergangenen Donnerstag war mit mehr als 28.000 neu gemeldeten Fällen der höchste Tageszuwachs seit Jahresbeginn verzeichnet worden. Auch fast alle anderen wichtigen Indikatoren wie der Anteil der gefährlicheren Coronavirus-Varianten, die Entwicklung der Positivenquote bei den PCR-Tests, die Zahl der Covid-Intensivpatienten und die Entwicklung der 7-Tage-Inzidenz in den verschiedenen Altersgruppen weisen unverändert in die falsche Richtung. In der aktuellen Wochenauswertung des Robert-Koch-Instituts wurde in der Altersgruppe 0 bis 14 Jahre erneut der stärkste Anstieg der 7-Tage-Inzidenz verzeichnet, der Wert stieg von 173 auf 198. Höher liegt er nur in der Altersgruppe 15 bis 34 mit 230.“

Wenn jemand statt Panikmache eine gegenteilige Agenda hätte, würde er schreiben: „Die starke Ausweitung der Testungen zeigt Erfolg. Es werden sehr viele Menschen entdeckt, die mit dem Coronavirus in Kontakt gekommen sind und das gar nicht gemerkt haben. Dadurch steigt die Positivenquote bei den PCR-Test und die Anzahl der positiv Getesteten. Dass dies nicht mit einer Verschlechterung der Gesundheitslage einhergeht, zeigt sich daran, dass die tägliche Anzahl der Todesfälle an oder mit im Siebentagesdurchschnitt stabil bei etwas über 200 bleibt. Das ist nur ein Viertel des Wertes zum Hochpunkt während der zweiten Welle zum Jahreswechsel. Angesichts der Tatsache, dass die zweite Welle der Inzidenzen schon seit zwei Monaten rollt, ist nicht zu erwarten, dass die sehr niedrigen Todesraten der positiv Getesteten nur an Zeitverzögerung zwischen Test und Sterbefällen liegt. Der Erfolg der Teststrategie zeigt sich auch daran, dass der starke Anstieg der Test-Inzidenzen fast nur bei den Kindern und jungen Leuten stattfinden, die zu einem sehr viel geringeren Prozentsatz Symptome und schwere Verläufe haben als die Älteren.‘ (Änderungshinweis: wöchentliche Todesfälle in tägliche korrigiert)

Das wäre natürlich etwas einseitig. Aber der n-tv-Bericht lässt durch nichts erahnen, dass es diese Seite auch gibt. Es geht weiter mit:

„Die aktuellen Daten belegen den Ernst der Lage: Wie aus den von ntv.de ausgewerteten Angaben der Landesbehörden hervorgeht, ist die Gesamtzahl der in Deutschland seit Beginn der Pandemie erfassten Coronavirus-Fälle bis Dienstagabend auf insgesamt 3.318.844 laborbestätigte Ansteckungen gestiegen. Damit hat sich die Gesamtzahl der bestätigten Infektionen in Deutschland um 14.699 Fälle erhöht. Im 7-Tage-Schnitt kommen derzeit pro Tag rund 20.800 neu erkannte Ansteckungen hinzu. Die Fallzahlen bleiben damit auf zu hohem Niveau.

In der zurückliegenden Kalenderwoche 16 hatten die Bundesländer insgesamt 145.720 neue Coronavirus-Fälle gemeldet. Das war der stärkste Wochenzuwachs dieses Jahres, der höchste Wert seit Ende Dezember (KW 52/2020: 149.798 Fälle) und der vierthöchste im Verlauf der Pandemie. (…)  Die dritte Welle entfaltet weiter ihre Wucht. Bedenklich daran: Die Kennzahlen der Kliniken, also Neuaufnahmen und Intensivbettenbelegung, folgen den Infektionsmeldungen in der Regel mit zwei bis drei Wochen Verzögerung. Das heißt: Selbst eine sofortige Trendwende würde im deutschen Gesundheitssystem frühestens in der zweiten Maiwoche für spürbare Erleichterung sorgen.“

Rekorde über Rekorde – bei den Test-Inzidenzen. Die Neuaufnahmen der Kliniken wären tatsächlich ein interessante Statistik, wenn man sie erführe. Aber sie sind wohl nicht hoch genug, so wie die Todesfälle, die sehr weitgehend aus der Berichterstattung der großen Medien verschwunden sind. Und tatsächlich. In Grafik 9 des täglichen RKI-Situationsberichts vom 27.4. zu den Krankenhauseinweisungen sehen wir, dass die – ziemlich flache – dritte Welle dort bereits vorüber zu sein scheint und die Hospitalisierungen wieder auf das Niveau von Anfang März gefallen sind.

Nun kommt n-tv doch noch zu den Todesfällen, und zwar so:

„Es steht zu befürchten, dass die im März und im April stark gestiegenen Fallzahlen mittelfristig auch auf die Sterbestatistik durchschlagen werden. Experten gehen davon aus, dass der Zeitverzug zwischen Fallzahlanstieg, Wachstum der Intensivfälle und schließlich der Totenzahlen diesmal größer ausfallen könnte, da derzeit deutlich mehr jüngere Personen erkranken und sich der Krankheitsverlauf und die durchschnittliche Aufenthaltsdauer auf den Intensivstationen dadurch verlängert.“

Man erfährt die niedrige Anzahl der Todesfälle relativ zum Tsunami der positiv Getesteten erst einmal nur indirekt, in negativer Einkleidung in die Sorge, dass sie bald steigen könnte. Wobei zwei Monate eine sehr lange Verzögerung wären. Das RKI sprach bisher von 11 bis 18 Tagen zwischen Symptombeginn und Tod. Erst einmal ist es ja eine gute Nachricht, dass die Corona-Patienten jünger geworden sind und die jüngeren sehr viel seltener sterben. Aber es wird ausschließlich in sorgenvollem Ton vorgetragen. Aber das Niveau der Todesfälle kommt auch noch, und zwar so:

„Das Niveau der gemeldeten Todesfälle bleibt weiter hoch. An diesem Dienstag registrierten die Behörden der Bundesländer in der Summe 281 neu gemeldete Verstorbene (Vortag: 149). Ohne die Korrektur aus Sachsen-Anhalt um -27 wäre wie am vergangenen Dienstag die 300er Schwelle überschritten worden. Mit dem aktuellen Tageszuwachs sind hierzulande seit Pandemie-Beginn nach amtlicher Zählung insgesamt 82.052 Menschen im Zusammenhang mit einer Coronavirus-Infektion gestorben. Die düstere Wegmarke von 80.000 Covid-19-Toten war am vergangenen Montag überschritten worden. Fast 65.600 dieser Todesfälle wurden erst nach dem 1. Dezember 2020 registriert. In den vergangenen fünf Monaten hat sich die Gesamtzahl der Todesfälle fast vervierfacht.“

Hier erreicht der Bericht ein perfides Ausmaß der Meinungsmanipulation und Desinformation, das hier offenkundig gezielt und absichtsvoll stattfindet. Weil die Todesfälle in der „dritten Welle“ für Panikmache viel zu niedrig sind, werden sie unauffällig mit der zweiten Welle zusammengeworfen, in der sie sehr hoch waren, viermal so hoch wie derzeit. Es geht ebenso perfide weiter:

„Auch mit Blick auf die Entwicklung der Wochendaten offenbart sich der Aufwärtstrend der Todesfallzahlen: Die Zahl der neu gemeldeten Todesfälle stieg in der aktuellen Woche (KW 16/2021) um 1662 an. In der Vorwoche bis 18. April 2021 waren noch 1542 weitere Tote im Zusammenhang mit dem Coronavirus registriert worden. Zugleich bedeutet der aktuelle Wochenzuwachs den höchsten Wert seit Anfang März (KW 9/2021: 1860 Todesfälle).“

Mit anderen Worten. Die Todesfallzahlen liegen immer noch 15 Prozent niedriger als Anfang März, kurz bevor die dritte Welle bei den Testinzidenzen losging. Statt das zu berichten, wird in atemlosen Ton auf einen kleinen Anstieg im Wochenvergleich hingewiesen und ein Rekord konstruiert.

Und hier noch zur Abrundung, was das RKI in seinem Tagesbericht zu Covid von Dienstag 27.4. schreibt, der regelmäßig (nur!) Dienstags etwas mehr zu den Todesfällen enthält als den Tageswert. Erst auf Seite 12 sieht man eine Grafik der wöchentlichen Sterbefälle an und mit Covid, die einen fortgesetzten Rückgang zeigt und keine dritte Welle, abgesehen von einem wohl meldebedingten Anstieg nach zwei besonders niedrigen Osterwochen. Und was hat das RKI dazu zu sagen, dass die Todesfälle hartnäckig sinken, trotz der so gefährlichen und schlimmen dritten Welle?:

„Ab Meldewoche 37/2020 war ein deutlicher Anstieg der Zahl der Todesfälle zu beobachten, seit MW 52/2020 gehen die wöchentlich gemeldeten Todesfälle deutlich zurück. Von allen Todesfällen waren 71.795 (88 %) Personen 70 Jahre und älter, der Altersmedian lag bei 84 Jahren (s. dazu auch Tabelle 6). Im Unterschied dazu beträgt der Anteil der über 70-Jährigen an der Gesamtzahl der übermittelten COVID-19-Fälle nur 14 %. Bislang sind dem RKI 14 validierte COVID-19-Todesfälle bei unter 20-Jährigen übermittelt worden. Diese Kinder und Jugendlichen waren zwischen 0 und 19 Jahre alt, bei 11 mit Angaben hierzu sind Vorerkrankungen bekannt.

Der entscheidende Satz wird zwischen trockenen, abkürzungs- und klammergespickten Details versteckt.

Man beachte: Dem RKI sind 14, in Worten vierzehn, Todesfälle von Menschen unter 20 Jahren mit Covid-Bezug bekannt. Das sollte man eigentlich in Zusammenhang mit der Tatsache bringen, dass die dritte Inzidenzwelle zu einem beträchtlichen Teil auf der stark ausgeweiteten Testung dieser Altersgruppe beruht. Es bedeutet, dass die Todesfallrate der „infizierten“ jungen Menschen mikroskopisch ist. Das macht das RKI natürlich nicht, denn dann würde sich die Frage aufdrängen, ob das wirklich ein Grund sein kann, einer ganzen Generation junger Menschen ihre Bildungschancen und ihre Jugend zu versauen.(Schon klar: Jeder Tote ist einer zu viel. Aber: mit einem Verbot von Motorrädern würde man mit einem Bruchteil an Eingriffsintensität in die Lebensführung ein Hundertfaches an Leid junger Menschen verhindern. Nur als ein Beispiel in Sachen Verhältnismäßigkeit.) So ist es denn auch sicher kein Zufall, dass nichts zu den Sterbefällen in der „Zusammenfassung der aktuellen Lage“ auf der ersten Seite auftaucht, obwohl das der eine Bericht der Woche ist, der etwas mehr als den Tageswert dazu beinhaltet.

Dazu passend eine aktuelle Meldung des Magazins multipolar: „Das Berliner Verwaltungsgericht hat unserer Klage gegen das Robert Koch-Institut (RKI) in Teilen stattgegeben. Die Gesundheitsminister Jens Spahn unterstehende Behörde wurde vom Gericht aufgefordert, die Namen der leitenden Mitglieder des Krisenstabes zu nennen, der über die Risikobewertung im Rahmen der Corona-Krise entscheidet. Unklar bleibt weiterhin, ob die Entscheidung des RKI, im März 2020 die Risikobewertung für ganz Deutschland auf „hoch“ zu ändern – und damit den ersten Lockdown zu ermöglichen –, auf wissenschaftlichen Fakten oder auf politischem Druck basierte. Mehr …

Das war alles schon vor zwei Monaten absehbar:

Mit Schnelltests droht die deutsche Corona-Politik vollends in den Wahnsinn abzugleiten

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