China oder freier Westen? Ein Überwachungsquiz

15. 10. 2025 | Bewohner von Sozialwohnungen werden in einer Metropole von der Polizei heimlich live mit Kameras überwacht. In einer anderen sollen 60.000 Kameras mit Gesichts- und Nummernschilderkennung installiert werden. Eine dritte stattete Tausende klimafreundlich-smarte Straßenlaternen mit Überwachungskameras und -sensoren aus. Welche dieser Städte, liegen wohl in China, welche im „freien Westen“?

Das erste Beispiel stammt aus der Metropole des Westens, die Anspruch erheben kann, bei der Überwachung ihrer Bürger durch die Polizei neue Maßstäbe zu setzen.

New York, New York

Im September 2022 startete die New Yorker Behörde für Technologie unter dem scheinbar menschenfreundlichen Schlagwort Digital Equity (Digitale Fairness) das Programm Big Apple Connect für die Sozialwohnungen der Stadt. Deren Bewohner bekommen nach und nach von der Stadt kostenloses W-Lan. Was sie nicht erfuhren: Der Auftragnehmer, der die Technik im Auftrag der Stadt installiert, verknüpft die Überwachungskameras in und an den Gebäuden mit dem W-Lan und richtet eine direkte Leitung mit der New Yorker Polizei NYPD ein. Das fiel wohlgemerkt nicht nachträglich jemandem ein. Es war von vorne herein der Plan.

Das ermöglicht es dem NYPD live mitzuverfolgen, wer sich mit wem trifft und auch nachträglich nachzuschauen, wer sich mit wem getroffen hat und wer wann wo war oder nicht war. Die Polizei nutzt es unter anderem, um Jugendliche als mutmaßliche Gang-Mitglieder zu klassifizieren. Dabei ist es leicht, zu unrecht so klassifiziert zu werden. Denn wer in solchen Gang-Hotspots wohnt, kommt kaum umhin, gelegentlich mit Gang-Mitgliedern zusammenzustehen.

Die heimliche Überwachung der Bewohner der Housing Projects wurde erst vor einigen Monaten bekannt. Kürzlich gab es dazu eine Anhörung im Stadtrat. Konsequenzen scheint es weder für die Verantwortlichen bei der Polizei, noch bei der Wohnungsbehörde zu geben. Das Programm soll vielmehr planmäßig auf weitere städtische Sozialwohnungsbauten ausgedehnt werden.

Die Überwachungsdaten fließen in das Domain Awareness Center des NYPD ein. Das ist ein von Microsoft entwickeltes Überwachungssystem. Es nutzt Daten unter anderem von Tausenden Videokameras, Strahlendetektoren und Autokennzeichen-Lesegeräten. Die Daten können bis zu fünf Jahre aufbewahrt und genutzt werden. Weil ihm die regionalen Daten nicht reichen, hat das NYPD auch noch die nationalen Daten eines Brokers für Kennzeichen-Erfassungen dazugekauft.

Die Kooperation mit Microsoft hat der damalige Bürgermeister Michael Bloomberg 2012 eingefädelt. Wenn Microsoft das System an weitere Städte verkauft, bekommt New York 30% Provision. Wie der Milliardär und Ex-Bürgermeister Bloomberg seither sein Geld einsetzt, um seine speziellen Vorstellungen von guter kommunaler Führung in der Welt zu verbreiten, auch in Deutschland, lesen Sie in Kürze auf diesem Blog,

Hongkong geht bei Gesichtserkennung all-in

In der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong hat die Stadtverwaltung beschlossen, die Anzahl der Überwachungskameras im öffentlichen Raum mit AI, Gesichtserkennung und Nummernschilderkennung von derzeit etwa 4.000 bis 2028 auf 60.000 zu erhöhen. Damit will die von China eingesetzte Stadtverwaltung sich erklärtermaßen in die Lage versetzen, Verdächtige oder auffällige Menschen zu erkennen und ihre Bewegungen durch die Stadt live zu verfolgen. Damit passt sich Hongkong dem hohen Überwachungsstandard an, der in den Millionenstädten der Volksrepublik bereits herrscht.

Smarte Straßenlampen mit Kameras und Sensoren in San Diego

Auf die Idee, Überwachungskameras und Sensoren in der Stadt zu verteilen, indem man sie in smarte Straßenlampen integriert, die angeblich aus Gründen des Umweltschutzes und der Energieersparnis eingeführt werden, kam die Stadtverwaltung der kalifornischen Millionenstadt San Diego im Jahr 2017. Gepriesen wurde das Programm mit den üblichen Smart-City-Floskeln von den vielen Diensten, wie Hilfe bei der Parkplatzsuche, die dadurch möglich würden. Die Rede war von anonymen Daten, auf die die Öffentlichkeit Zugriff haben sollte. Die Laternen sind an das Internet angebunden und miteinander vernetzt (IoT). Sie haben künstliche Intelligenz an Bord, die die Daten der Sensoren analysiert, sowie massenhaft Speicherplatz, um alles zu speichern.

Als 2020 bekannt wurde, dass die Polizei die Kameras und Sensoren zur Überwachung von allem nutzte, was in San Diego vor sich ging, wurde das Programm aufgrund der öffentlichen Empörung einige Zeit auf Eis gelegt. 2023 feierte es Wiederauferstehung als „Smart Lighting und automatisiertes Autokennzeichen-Erfassungs-Programm“. Seither wird es – notgedrungen – ausdrücklich als Instrument der Überwachung und Kriminalitätsbekämpfung propagiert. Kein Auto kann durch San Diego fahren, ohne dass sein Kennzeichen erfasst wird. Und nicht nur die Polizei von San Diego weiß alles darüber, sondern, wie oben gesehen, auch die Polizeikollegen in New York und einer Reihe weiterer Städte.

Die Beispiele aus dem Westen, wo man nicht einfach wie in China ganz offen ein Totalüberwachungsprogramm ausrollen kann, zeigen eines: Technische Überwachungsoptionen werden, wenn sie einmal installiert sind, irgendwann auch zur Überwachung der Bevölkerung genutzt, egal, wie sie am Anfang begründet wurden. Natürlich immer nur zu deren Bestem. In Europa dauert das wegen der Datenschutzgesetze etwas länger. Aber wer alt genug ist sich zu erinnern, welchen Aufstand es in den 1980ern wegen einer händischen Volkszählung gab und das mit dem vergleicht, was der Staat inzwischen an Überwachungsoptionen bekommen hat und noch bekommen will, bei dem ist für langfristigen Datenschutzoptimismus kein Platz. Auch die Gerichte sind seit dem Volkszählungsurteil des Verfassungsgerichts von 1983 einen sehr, sehr weiten Weg mitgegangen, um das möglich zu machen.