Corona als Chance zur Neuordnung: „Multilateralismus für die Massen“ von Merkel, Macron, von der Leyen und Guterres

4. 02. 2021 | Hören | Merkel, Macron, von der Leyen und andere internationale Spitzenpolitiker haben die Corona-Krise als Chance zur Neuordnung der Weltpolitik auf Basis des Multilateralismus bezeichnet. Die Zeit, kurz nach dem Treffen des Weltwirtschaftsforums, und die Anklänge an den Großen Neustart, den die Lobby der Großkonzerne ausgerufen hat, sind wohl kein Zufall, wie eine respektlose Analyse und Übersetzung der wichtigsten Passagen zeigt.

In einem gemeinsamen Plädoyer, das in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, (03.02.2021, S. 8) und einer Reihe wichtiger internationaler Zeitungen abgedruckt wurde,fordern António Guterres, Ursula von der Leyen, Emmanuel Macron, Angela Merkel, Charles Michel und Macky Sall „Mit multilateraler Kooperation die Krisen überwinden“.

Guterres ist Generalsekretär der UN. Als  Mitglied des „World Economic Forum Global Agenda Council on Humanitarian Assistance“ hat er Texte mit so schönen Titeln wie „A New Business Model for Humanitarian Assistance?“ mitgeschrieben, zu deutsch: „Ein neues Geschäftsmodell für humanitäre Hilfe?“ Wie der Titel schon andeutet, geht es unter anderem darum, wie man den privaten Sektor über seine Rolle als Spender hinaus am Wiederaufbau nach Katastrophen mehr verdienen lassen kann.

Angela Merkel wurde früh vom Weltwirtschaftsforum als Young Global Leader entdeckt und gefördert, ebenso wie Emmanuel Macron. Ursula von der Leyern kennen wir als EU-Kommissionspräsidentin, der Belgier Charles Michel ist EU-Ratspräsident und der senegalesische Präsident Macky Sall darf den globalen Süden an den Tisch bringen, damit die Runde wenigstens ein bisschen multilateral aussieht.

Beim digitalen Davos Agenda Event des Weltwirtschaftsforums vom 26.-29.1. waren von der Leyen, Macron und Merkel die ersten drei der auf der Website des Forums präsentierten zehn Keynote-Speaker, Guterres war der achte. Macky Sall ist im Newsletter des Forums von dem Event mit einem langen Autorenbeitrag vertreten, in dem er die Covid-19-Strategie seiner Regierung preisen darf.

Ein Sprecher des Weltwirtschaftsforums sagte auf Anfrage es gebe „keinerlei Zusammenhang“ des gemeinsamen Papiers der sechs „mit dem Weltwirtschaftsforum und / oder unserem Davos Agenda Event“.

Sei das wie es sei. Jetzt also nochmal zusammengefasst für den Plebs: „Multilateralismus für die Massen“ heißt in zynisch anmutender Offenherzigkeit (übersetzt) der Weblink unter dem das Werk bei Projekt Syndicate abrufbar ist. Project Syndicate ist ein vom Milliardär und weltweiten Demokratisierungsunterstützer George Soros finanziertes Publikationsorgan, über das die Botschaften der Mächtigen an Zeitungen in aller Welt verbreitet werden, an diejenigen in Entwicklungsländern umsonst.

Gemeinsam erfolglos gegen die Übel der Menschheit

Der Project-Syndicate-Beitrag fängt an mit „… Millenniumserklärung … gemeinsame Ziele …. multilaterale Ordnung …  Hunger und extreme Armut, Umweltzerstörung, Krankheiten, wirtschaftliche Erschütterungen und Konfliktprävention …  2015 UN-Agenda 2030  …“, dann wird eingeräumt, dass alles, was man in diesen Zusammenhängen bisher getan und vereinbart hat, allenfalls ein bisschen geklappt hat. Und jetzt auch noch Corona! Jetzt müssen wir es aber unbedingt multilateral und diesmal richtig machen, lautet die Botschaft „für die Massen“:

„Wir glauben, dass diese pandemische Krise eine Gelegenheit sein kann, durch effiziente Zusammenarbeit, Solidarität und Koordination wieder einen Konsens über eine internationale Ordnung zu erzielen – eine Ordnung, die auf Multilateralismus und Rechtsstaatlichkeit beruht.“

Die Covid-19-Krise als die seit Generationen größte Bewährungsprobe für die weltweite Solidarität erinnert die sechs daran, dass angesichts einer Pandemie unser eigener Gesundheitsschutz nur so stark sei wie das schwächste Glied in der globalen Kette.

Die Pandemie erfordere einen beschleunigten und breiteren Zugang zu Tests, Behandlungen und Impfstoffen. In diesem Zusammenhang unterstützen die sechs uneingeschränkt die Plattform ACT-Accelerator, die im April von der WHO und den G-20-Partnern auf den Weg gebracht wurde, die (wer auch immer) stärker politisch und finanziell unterstützt werden soll.

Freie Übersetzung:

„Wir denken überhaupt nicht daran, die in lästiger Hartnäckigkeit von Südafrika und Indien vorgetragene Forderung (heute sogar offiziell bei der Welthandelsorgaistion als Antrag) zu unterstützen und den Patentschutz für Covid-Impfstoffe und -Medikamente auszusetzen, damit diese auch den Menschen in den ärmeren Ländern zugute kommen können. Unsere Freunde beim Weltwirtschaftsforum und unsere eigenen Pharmakonzerne, die an extrem hohe Gewinnmargen gewöhnt sind, würden uns ganz schön den Marsch blasen, wenn wir so einen Präzedenzfall zuließen. Dann wären wir immer wieder mit der Forderung konfrontiert, den doch so einträglichen Patentschutz für unsere Konzerne aufzuheben oder zu lockern. Das könnte irgendwann sogar – Gott behüts – dazu führen, dass die ärmeren Länder ihren technologischen Rückstand teilweise aufholen und selber Dinge produzieren, die sie bisher von uns teuer kaufen. Nein, da geben wir lieber ein bisschen Geld, damit die ganz armen Länder wenigstens die kleinen Mengen Impfstoffe, die wir nicht für unsere eigene Bevölkerung gesichert haben, vergünstigt oder umsonst bekommen.‘

Außerdem fordern die sechs „den freien Fluss von Daten zwischen Partnern und die freiwillige Lizenzierung geistigen Eigentums.“ Freiwillig ist das Schlüsselwort.

„Langfristig“ brauche man zudem eine „unabhängige und umfassende Evaluierung unserer Krisenreaktion“, damit man aus dieser Pandemie die notwendigen Lehren ziehen und uns besser auf die nächste vorbereiten könne.

Übersetzung:

„Es ist Krise und wir sind uns alle selbst die Nächsten. Punkt. Langfristig, (politischer Ausdruck für „wenn wir nicht mehr im Amt sind“) sind wir durchaus bereit, das zuzugestehen. Lasst und also jetzt mit eurer fruchtlosen kurzfristigen Kritik in Ruhe.‘

Es geht weiter mit Umweltthemen: „… Notlage … UN-Klimakonferenz in Glasgow … nachhaltiger gestalten … ehrgeizige Verpflichtungen zur CO2-Neutralität…“ Alle Regierungen, Unternehmen, Städte und Finanzinstitutionen sollten jetzt der globalen Koalition zur Reduzierung der CO2-Emissionen auf netto null beitreten, wie sie das Pariser Klimaabkommen vorsieht – und konkrete Pläne und Maßnahmen entwickeln, fordern die sechs.

Übersetzung:

„Nehmt Euch ein Beispiel am weltgrößten Finanzinvestor Blackrock, der für manche seiner Fonds äußerst ehrgeizige CO2-Ziele aufstellt und entsprechende Brief an Vorstandschefs schreibt, während er mit anderen Fonds die größten Verschmutzer und Klimasünder finanziert. Macht mit beim großen Öko-Bluff „Klimaneutralität“, der es uns und unseren Konzernen erlaubt, den Massen eine grüne Fassade zu zeigen, ohne dass es der Bilanz schadet.‘

Klimaneutralität: Ein dreister Ökobluff

Dann wird die Wirtschaftskrise bedauert und in vielen Worten die zunehmende Kluft zwischen arm und reich, immer verdünnt und gleichgesetzt mit dem Geschlechter-Gleichberechtigungsproblem: „In vielen Ländern ist die Kluft zwischen Arm und Reich untragbar geworden; Frauen sind immer noch nicht gleichberechtigt, und viele Menschen müssen von den Vorteilen der Globalisierung überzeugt werden.“

Dann wird es interessant. Der Weltwirtschaft aus der Krise zu helfen, die Millionen verhungern und verarmen lässt, passiert nur unter der Nebenbedingung, dass dabei die Globalisierung in Gang zu halten ist:

„Während wir unseren Volkswirtschaften helfen, die schwerste Rezession seit 1945 zu überwinden, bleibt unsere Kernpriorität die Gewährleistung eines regelbasierten freien Handels.“

„Regelbasierter freier Handel“, heißt Handel nach den Regeln der Reichen Länder und ihrer Konzerne, unter voller Wahrung ausufernder Rechte auf sehr langfristigen Schutz patentierten geistigen Eigentums und der Möglichkeiten der Konzerne dort keine Steuern zu bezahlen, wo sie ihre Geschäfte machen. Er schließt entwicklungspolitisch begründete Handels- und Kapitalverkehrskontrollen oder Präferenzen für heimische Produzenten aus.

Man müsse sicherstellen, dass der globale Aufschwung jeden erreicht, durch Stärkung der Unterstützung für Entwicklungsländer, insbesondere in Afrika: „Dabei sind bestehende Partnerschaften wie die G-20-Initiative „Compact with Africa“ und ihre gemeinsamen Bemühungen mit dem Pariser Club im Rahmen der Initiative zur Aussetzung des Schuldendienstes zu nutzen und auszubauen.“

Übersetzung:

Ja, wir lassen die Entwicklungsländer und Afrika mit ihren Problemen allein, aber wir reden wenigstens davon, ihnen zu helfen. Zum Beispiel reden wir wieder über den unter deutscher G20-Präsidentschaft groß verkündeten und danach vergessenen und finanziell nicht bestückten „Compact with Africa“, mit dem wir ohnehin nur die Bedingungen für ausländische Investoren dort verbessern wollten. Und wir preisen die Aktivitäten des Pariser Clubs der staatlichen Gläubiger, der bereit ist, den uneinbringlichen Schuldendienst von Staaten, die besonders unter der Covid-Krise leiden, vorübergehend auszusetzen.

Silicon Valley als Nothelfer

Den letzten und wohl wichtigsten Teil ihres Beitrags widmen die sechs der Propagana für das Silicon Valley, etwa so:

„Das Aufkommen neuer Technologien ist ein großer Vorteil für den Fortschritt und die soziale Integration: Sie trugen zur Offenheit und Resilienz von Menschen und Gesellschaften, Volkswirtschaften und Staaten bei und erwiesen sich in der Pandemie zugleich als lebensrettend. Doch fast die Hälfte der Weltbevölkerung – und mehr als die Hälfte aller Frauen und Mädchen auf der Welt – ist weiterhin offline und kann diese Vorteile nicht nutzen.“

Es ist also zur Krisenbewältigung eine der Top-Prioritäten der EU-Kommissionschefin, des Generalsekretärs der UN und der Regierungschefs von Deutschland, Frankreich, den Konzernen des Silicon Valley dabei zu helfen, die ganze Welt an ihre Systeme anzuschließen, um mit deren Daten noch mehr Gewinn zu machen und noch mehr Macht auszuüben.

Weil aber die Macht neuer Technologien auch missbraucht werden könne, für Freiheitseinschränkungen, Hetze und Straftaten, müsse man „einschlägige Akteure in eine wirksame Regulierung des Internets einbeziehen, um eine sichere, freie und offene digitale Umgebung zu schaffen“. Es müsse sichergestellt werden, „dass Datenströme in einem vertrauenswürdigen Umfeld fließen“. Mit anderen Worten: Die Massen und ihre Regierenden in Afrika und andernorts sollen genug Vertrauen bekommen oder behalten, dass sie dem anschwellenden Abfluss ihrer Daten ins Silicon Valley und der Macht über sie, die sich dadurch dort ansammelt, ohne Widerstand zuschauen.

Es folgt ein Plädoyer für „integrativen Pluralismus“ zur Bewältigung der Krise und Probleme der Menschheit und danach eine Erläuterung, was damit gemeint ist, nämlich Veranstaltungen wie das „Pariser Friedensforum“, die dazu dienten, „diese Herausforderungen mit einer klaren Zukunftsvision zu bewältigen.“ Führungspersönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Religion und anderen Bereichen seien eingeladen, sich an diesem globalen Gedankenaustausch zu beteiligen. Das klingt wie die Global Governance des Stakeholder Kapitalismus nach Klaus Schwab und tatsächlich liest man in einem werblich anmutenden Artikel auf Wikipedia über das „Pariser Friedensforum“ im ersten Absatz den aufschlussreichen Satz:

„Das Pariser Friedensforum vervollständigt die bestehende Weltagenda multilateraler Zusammenkünfte, indem es eine spezielle Veranstaltung für Fragen der globalen Governance schafft, so wie wirtschaftliche und finanzielle Fragen auf dem Weltwirtschaftsforum von Davos und Sicherheitsfragen auf der Münchner Sicherheitskonferenz behandelt werden.“

Das also ist mit multilateraler global Governance gemeint, Weltwirtschaftsforum, Münchner Sicherheitskonferenz und jetzt noch das Pariser Friedensforum. Veranstaltungen, bei denen globale Konzerne der IT-, Rüstungs- und sonstigen Industrie Gelegenheit bekommen, ihre Globalisierungs-Anliegen den Regierungschefs und den Entscheidungsträgern der transnationalen Institutionen nahezubringen – alles weitab von jeder Aufsicht durch gewählte Volksvertreter und ohne jede Rechenschaft diesen gegenüber. Das ist ja schließlich das Hauptanliegen der Global Governance: stabile Leitplanken für das Tun der demokratisch kontrollierten und legitimierten Institutionen zu errichten.

Zum Steuerungskomitee des Pariser Friedensforums gehören Wikipedia zufolge der Direktor des Global Governance-Programms des Council on Foreign Relations und der Präsident der Open Society Stiftung von George Soros.

Englische Version des Blogbeitrags

Der Original-Text auf Englisch: Multilateral Cooperation for Global Recovery

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