Das Grundgesetz als Schmierzettel beim Parteiengeschacher

21. 03. 2025 | Henry Mattheß | Die kürzliche Änderung des Grundgesetzes zeigt einmal mehr, dass Deutschland keine Demokratie im Sinne von Volkssouveräntität ist, sondern ein von einer Parteienoligarchie beherrschtes Land. Friedrich Merz, der unbedingt Kanzler werden will, und seine Union feilschen mit SPD und Grünen um ein Schuldenpaket von Hunderten Milliarden Euro. Als Ergebnis der Kungelei ändern diese Parteien in einer Blitzaktion mit der alten Bundestagsmehrheit das Grundgesetz. Schwer getäuschte Wähler sind zum Zuschauen verdammt.

Diese beispiellose parlamentarische Erpressungs- und Bestechungsfarce war nur möglich, weil die Parteien einen exklusiven Zugriff auf das Grundgesetz besitzen. Das Volk dagegen hat keinerlei direkte Verfügungsgewalt über seinen eigenen grundlegenden Gesellschaftsvertrag. Dieser kann aber von den Parteien jederzeit nach eigenem Belieben geändert werden. Das Volk hat weder ein Initiativrecht zur Änderung des Grundgesetzes, noch ist seine Zustimmung bei einer Änderung der Verfassung durch die Parteien vorgeschrieben.

Diesen bizarren Zustand trotzdem als Demokratie zu bezeichnen, zeugt von Unverständnis des Prinzips Volkssouveränität, auf das sich das Grundgesetz bezieht: „Alle Macht geht vom Volke aus.“ Ein Volk, das keine direkte Verfügungsgewalt über seine Verfassung hat, ist nicht souverän. In einer wirklichen Demokratie müssen Grundgesetzänderungen auch aus dem Volk heraus einleitbar sein und immer zwingend von diesem bestätigt werden, bevor sie Rechtskraft erlangen können. Grundsätzlich muss gelten: Keine Grundgesetzänderung ohne bestätigenden Volksentscheid (obligatorisches Verfassungsreferendum), wie das in vielen Verfassungen anderer Länder, aber auch in Hessen und Bayern festgeschrieben ist.

Der dagegen oft reflexartig bemühte Verweis auf eine „repräsentative Demokratie“ in Deutschland verkennt, dass eine ausschließlich repräsentative Demokratie, ohne die Möglichkeit direkter Abstimmungen in Sachfragen, ein Widerspruch in sich ist. Ein ausschließlich repräsentatives System kann nicht demokratisch sein, wenn die Macht nur am Wahltag bei den Wählern liegt und schon am nächsten Tag wieder ausschließlich bei den Parlamentsabgeordneten der Parteien. Abgeordnete werden in einer ausschließlich repräsentativen Demokratie mit der Wahl machtpolitisch zu Übergeordneten ihrer Wähler erhoben, obwohl sie nur deren Angestellte sind.

Das Volk muss den Bundestag auflösen und Neuwahlen herbeiführen können

Genauso unhaltbar wie fehlende Volksentscheide bei Grundgesetzänderungen, ist das fehlende Recht, einen Volksentscheid über eine vorzeitige Auflösung des Bundestags herbeiführen zu können. Dass nur die Einsicht des Bundeskanzlers die Vertrauensfrage zu stellen, eine vorzeitige Auflösung bewirken kann, stellt den Satz ‚Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus‘ auf den Kopf. Der Bundestag muss auch durch Volksabstimmung jederzeit auflösbar sein, so wie es in Bayern für den Landtag möglich ist.

Fazit

Das politische System Deutschlands hat sich mit dem Grundgesetzgeschacher von Dienstag einmal mehr als Parteienoligarchie erwiesen, als eine Herrschaft der Wenigen. Gestützt von rund 1,2 Millionen Parteimitgliedern, was nicht mehr als zwei Prozent der 60 Millionen Wahlberechtigten entspricht, konnte eine Kaste von Berufspolitikern schon drei Wochen nach der Wahl die Weichen für Hunderte Milliarden Euro neuer Schulden stellen und das Grundgesetz mit wesensfremden Staatszielen in eine parteipolitische Kampfschrift der Grünen umschreiben. Getäuschte Wähler können dieses den Wählerwillen missachtende Treiben der Parteien nicht unterbinden, weil das Volk als „Souverän“ in Deutschland seit 75 Jahren nach jeder Wahl vollkommen machtlos ist und deshalb das Wort Demokratie in wesentlichen Dingen als Phrase erlebt.

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