Wie die Wirtschaftsweisen tricksen und täuschen: Teil 2 – Ungleichheit (1)

 Ungleichheit, so sie denn ein größeres Problem wäre, stünde folgender Aufforderung des Sachverständigenrats an die Regierung im Wege, die dem Jahresgutachten 2014/15 den Titel gab: „sollte sie … mehr Vertrauen in Marktprozesse zeigen, statt zunehmend Marktergebnisse festlegen zu wollen, um Verteilungsziele zu erreichen.“ Der Teil dieser Aufforderung, der die Verteilung betrifft, wird im Gutachten mit vier

Argumentationssträngen unterfüttert:

 1 .Die Einkommens-Ungleichheit ist gar nicht so hoch

 2. Sie ist zuletzt nicht gestiegen, zumindest nicht seit Umsetzung der Agenda 2010.

 3. Dass die Vermögen ungleich verteilt sind, ist normal und muss nicht stören.

 4. Die Einkommensungleichheit wird von der Bevölkerung grob falsch eingeschätzt. Nur deshalb ist sie für (mehr?) Umverteilung, auch durch Eingriffe wie den Mindestlohn. Implizite Folgerung: Der Regierung sollte also auf die nur durch Fehlinformation hervorgerufene Vorliebe der Bevölkerung keine Rücksicht nehmen.

 Fangen wir mit dem Beleg für These 4 an, weil er besonders krass und entlarvend ist:

 In dem quellen-, zahlen- und belegarmen Kapitel zur Ungleichheit gibt es hierzu eine interessante Quelle: Niehues 2014. Diese wird nicht nur genannt, ihre These wird kritiklos übernommen, ausgebaut und durch Grafiken prominent präsentiert. Was ist Niehues 2014. Im Literaturverzeichnis findet man: Niehues, J. (2014), Subjektive Ungleichheitswahrnehmung und Umverteilungspräferenzen – Ein internationaler Vergleich, IW-Trends 41, 75-91.

 Kann es denn wahr sein? Der Sachverständigenrat stützt sich für eine zentrale These in seinem Gutachten, die den Titel rechtfertigen soll, auf das, was das arbeitgeberfinanzierte Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zur Angemessenheit der Verteilungsdiskussion herausgefunden zu haben glaubt. Nämlich, dass die Deutschen nur deshalb für Umverteilung sind, weil sie die Ungleichheit maßlos überschätzen, Und das, ohne dass der Leser eine faire Chance hätte, diese Quellenlage zu durchschauen und ohne dass die Befangenheit der Quelle oder die Verlässlichkeit der These in irgend einer Weise kritisch hinterfragt würde. Für eine Diplomarbeit an einer anständigen Uni wäre so ein Vorgehen, wenn es auffiele, wahrscheinlich ein Killer.

 Und inhaltlich: „Dass in Umfragen regelmäßig ein Großteil der deutschen Gesellschaft am unteren Rand der Wohlstandsverteilung verortet wird, widerspricht … der tatsächlichen Verteilung der Haushaltsnettoeinkommen, die den Großteil der Bevölkerung im mittleren Einkommenssegment ausweist“, übernimmt der Rat die These der arbeitgeberfinanzierten Studie.

 Die Deutschen hielten laut der Umfrage mehrheitlich die Gesellschaftsform einer Pyramide für einschlägig, die in der Umfrage so beschrieben wurde, heißt es dort: „Eine Gesellschaft, mit einer kleinen Elite oben, mehr Menschen in der Mitte und den meisten Menschen unten.“ Tatsächlich, so stellt das Institut fest, wäre richtig: „Eine Gesellschaft, in der sich die meisten Menschen in der Mitte befinden.“

  Da die Umfrageteilnehmer aber nicht zu konkreten Einkommensbändern gefragt wurden und auch nicht wussten ob vor oder nach Umverteilung gemeint war, ja nicht einmal überhaupt nach Einkommen gefragt wurden, sondern nach Status, hatte das IW ziemlich große Freiheit bei der Übertragung der Umfrageergebnisse in eine wahrgenommen Einkommensverteilung. Wer weiß, an welchen Betrag die Leute gedacht haben, als sie gefragt wurden, welcher Anteil der Bevölkerung „unten“ ist.

 Trotzdem kommt das gewünschte Ergebnis nicht wirklich heraus, dass die Bevölkerung falsch liege. Deutlich mehr als 30 Prozent der Bevölkerung sind in einer Einkommenskategorie bis 80 Prozent des Medianeinkommens, deutlich unter 30 Prozent sind in der mittleren Schicht von 80 bis 110 Prozent des Median. Danach werden die Besetzungen der Schichten immer kleiner, so wie die Bevölkerung sich das vorstellt.

  Stilisiert sieht das so aus:

 Einkommenspyramide in der Wahrnehmung

 X

 X X X

 X X X X X

 X X X X X X X

 

 Tatsächliche Verteilung:

 X

 X X X

 X X X X X

 X X X X X X

  Hoppla!

 Aber wer ein Ergebnis herauskriegen soll, und sich solche Freiräume geschaffen hat wie Niehues, bekommt es natürlich heraus. Das geht einfach. Sie unterteilt die unterste Gruppe, die ich willkürlich von 0 bis 80% des Medianeinkommens gehen ließ in eine unter 60% und eine von 60 bis 80% und schwupps kommt folgende stilisierte Verteilung heraus:

 X

 X X X

 X X X X X

 X X X X

 X X

 … und schon liegt die Bevölkerung angeblich mit ihrer Einschätzung ganz daneben. Allerdings nur wenn bei knapp 1000 Euro Nettoeinkommen für einen Alleinstehenden die untere Mittelschicht anfängt. Ob die Umfrageteilnehmer das so sahen ist zweifelhaft. Das IW mag meinen, dass jemand der tausend Euro netto verdient, zur Mittelschicht gehört. Ist der Maßstab, dass ein Mittelschichtler eine Familie gründen und vor Armut bewahren können sollte, ist die Antwort wohl nein.

 Dem Sachverständigenrat waren die schon ziemlich intensiv massierten Zahlen in der IW-Studie  offenbar noch nicht deutlich genug. In einer groß herausgestellten Grafik stellt er die wahrgenommene Gesellschaftsform nach dem IW-Papier einer tatsächlichen gegenüber, bei der er die Einkommensschichten am unteren Ende nochmal kleinteiliger einteilt als das IW, nämlich. „Unten“ sind alle, die weniger als 40% des Mediankommens haben, darüber 40 bis 60% und 60 bis 80% und als am stärksten besetzte mittlere Gruppe diejenige von 80 bis 120% des Medianeinkommens.

 Die Grafik der Bevölkerungsschichtung des Rats weicht dadurch tatsächlich noch eindrucksvoller von der angeblichen Vorstellung der Bevölkerung ab als in dem IW-Papier. Die untere Bevölkerungsschicht ist sehr klein, die mittlere sehr groß. Einen Hinweis auf die Umgruppierung gibt der Sachverständigenrat nicht. Man kann die absurden Schichtgrenzen, die er setzt auch nur einer Fußnote der Grafik entnehmen und stellt erst durch Lesen der IW-Studie fest, dass sich die Einkommensschichten unterscheiden.

 Ob es zulässig ist, der von Niehues „berechneten“ wahrgenommenen Bevölkerungspyramide einfach eine ganz anders als bei Nihues eingeteilte „tatsächliche“ Schichtung nach eigenen Berechnung gegenüberzustellen ist äußerst zweifelhaft. Weil aber das ganze Unterfangen bis hierher schon indiskutabel und völlig unwissenschaftlich ist, erlauben Sie mir bitte, diesen Nachweis nicht noch zu führen. Ein Professor, der eine einfache Diplomarbeit zu beurteilen hätte, würde sich die Mühe auch nicht mehr machen. Wenn die Arbeit, die die Sache mit dem Vernebeln und Ignorieren des offenkundigen Interessenkonflikts der Quelle gerade noch überstanden hätte, wäre jetzt endgültig Schluss. Setzen 6!

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