Der Verein für Socialpolitik als Steigbügelhalter der Finanzbranche

Die Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik, des tonangebenden Ökonomenverbands für den deutschsprachigen Raum hat mit einer problematischen Veranstaltung begonnen. Acht Jahre lang, seit Ausbruch der Finanzkrise, hat der Verband Forderungen nach einer Reform der Lehre ignoriert, abgewehrt, oder sich für unzuständig erklärt. Nun legen angelsächsische Ökonomen ein neues, reformiertes Lehrbuch vor, das mit dem Geld und im Auftrag eines Instituts entwickelt wurde, das ausgerechnet von Hedgefonds-Milliardären wie George Soros finanziert wird. Und prompt gibt der Verein dem Thema Reform und dieser speziellen Reforminitiative die große Bühne.

Zu den ersten Veranstaltungen der Jahrestagung am Sonntag gehört ein Workshop, in dem Samuel Bowles und Wendy Carlin ihr neues kostenloses Einführungslehrbuch der VWL in E-Book-Format vorstellen. Es soll bereits an vielen renommierten Universitäten überall in der Welt Verwendung finden. Am Montag diskutieren dann zur besten Zeit im Plenum Bowles und Carlin mit Vertretern des VfS und einem Kritiker des Mainstream darüber, ob es einen Reformbedarf in der Lehre gibt.

Den Auftrag und das Geld für das „Core“ genannte Lehrbuchprojekt gab das Institut for New Economic Thinking (INET), das seinerseits von George Soros und anderen Hedgefonds-Größen sehr, sehr großzügig mit Geld ausgestattet ist. Auf diese Weise haben Angehörige der Finanzbranche, welche die große Krise hervorgerufen hat, die die Reformdiskussion befeuert, die mit Abstand bestfinanzierte und einflussreichste Institution geschaffen, die sich um diese Reform kümmert. Man mag das problematisch finden. Ich habe meine Vermutungen über die Motivation vor einigen Jahren in einem Artikel über das INET als trojanischem Pferd der Finanzbranche geäußert. Heute würde ich viele Fragezeichen, die in diesem Artikel stehen, weglassen.

Nun hat INET also ein wichtiges Etappenziel erreicht, und das erste und einzige reformierte Lehrkonzept mit Chance auf Umsetzung vorgelegt, das Lehrbuch des Core-Projekts. In mainstreamkritischen Kreisen wird es als deutlich besser als existierende Mainstream-Lehrbücher gesehen, aber auch als ein sehr moderater Reformansatz, der im wesentlichen den neoklassischen Mainstream eher absichert als überwindet. Ich finde nach Durchsicht des Lehrbuchs, das trifft es recht gut, auch wenn Samuel Bowles und Wendy Carlin es in einer E-mail-Diskussion verständlicher Weise gar nicht nachvollziehen können, wie man die vielfältigen guten Neuerungen ihres Lehrbuchs derart kleinschreiben kann. Hier gilt wohl, was Jamie Morgan sagt: „Von innerhalb des Mainstream betrachtet, wirken selbst kleine Veränderungen manchmal wie eine Revolution.“

Die Vorgeschichte des Projekts ist bemerkenswert in dieser Hinsicht. Den Auftrag, ein Konzept für eine reformierte Lehre zu entwickeln, bekam von INET zuerst der Keynes-Biograph Robert Skidelsky, der sich jedoch auf seine alten Tage als wohl unvorhergesehen radikal und kritisch gegenüber der Finanzbranche entpuppte. Das von der Finanzbranche finanzierte Institut INET schrieb den Auftrag lieber neu aus und gab ihn Wendy Carlin, von der man zu dieser Zeit bereits wusste, dass sie recht moderate Reformvorstellungen hatte.

Dank der riesigen Geldmittel von INET und des ebenso riesigen weltweiten Einflusses von Soros ist nun gewährleistet, dass es keine durchgreifende Reform der gelehrten Inhalte in der Ökonomenausbildung geben wird. Core markiert den äußeren Rand, dessen, was an Erweiterung des Mainstream künftig eine Chance hat, gehört und umgesetzt zu werden. Und der Verein für Socialpolitik tut sein Bestes, damit das auch im deutschsprachigen Raum so sein wird, ohne je versucht zu haben, eigene Reformvorstellungen zu entwickeln, und bevor er überhaupt eine Diskussion über die Reformnotwendigkeit zugelassen hat.

Nachtrag: Szenen und Gedanken aus dem Workshop

Die VfS-Vorsitzende Monika Schnitzer leitete den Workshop mit Carlin und Bowles ein, indem sie zur Motivation darauf verwies, dass sie und der Verein – unter anderem von mir – immer wieder gefragt worden seien, was die Profession denn aus der Finanzkrise gelernt habe. Als sie von dem neuen Core-Lehrbuch gehört habe, habe sie sich gedacht: Wow, das ist etwas Neues, warum sollen wir nicht diese Diskussion beginnen anhand eines konkreten Vorschlags.

Das widerlegt nicht gerade meine Kritik, dass die Diskussion sehr spät kommt, und man auch bessere Anlässe hätte finden können. Der Versuch, Core als DIE Antwort auf Reformforderungen darzustellen, harmoniert leider auch gar zu sehr mit einem entsprechenden Anspruch von Core. Die umtriebigen Studierenden von der Post-Crash Economics Society in Manchester etwa, sind ziemlich böse darüber, dass Carlin hartnäckig so tut, als beantworte Core deren Forderungen, obwohl Carlin aus Diskussionen sehr genau wisse, das die PCES Core für ein sehr zahmes Reformprojekt hält, das versucht den Mainstream zu stabilisieren, um eine einschneidende Reform zu verhindern.

In der Diskussion lobte ein Professor aus Marburg das Projekt dafür, dass es ein neuer Weg sei, Mainstream-VWL zu lehren und eben keine radikale Umgestaltung. Das fand er toll. Er erntete keinen Widerspruch von Carlin und Bowles. Indirekt gab es vielmehr eine Bestätigung von Bowles. Er sagte, die Core-Leute würden immer wieder gefragt, ob sie nicht das Kind mit dem Bade ausschütten würden. Seine Antwort: „Wir beschützen das Kind vor dem Badewasser.“

Den Mainstream besser lehren und verbreitern, das gelingt den Core-Leuten hervorragend. Diese Einführung in die Ökonomik ist wirklich um vieles besser – sowohl didaktisch, als auch was die Breite der angesprochenen Fragen angeht – als jedes Mainstream-Lehrbuch, das ich kenne.

Ich fand sehr bemerkenswert, dass Carlin und Bowles das INET als Hauptsponsor mit keinem Wort erwähnten. Das INET-Logo tauchte ganz klein und unkommentiert auf einem Dia auf. Stattdessen erweckte Carlin den Eindruck, als sei das Finanzministerium in London der Initiator und Financier.

An Widersprüchen war die Präsentation nicht gerade arm, jedenfalls, wenn man das Core-Lehrbuch schon gelesen hatte. Bowles sagte, es gebe nun einen gemeinsamen Kern der Ökonomik, der sich vom neoklassischen Paradigma deutlich unterscheide. Carlin hatte zuvor dargelegt, wie in Kapitel 3 die „Werkzeuge der Ökonomik“, ihre „überdauernden Konzepte“ dargestellt werden. Was dort in Kapitel 3 dargestellt wird, ist neoklassische Ökonomik in Reinform.

Ich fragte, ob ich richtig liege, dass in dem Buch nicht diskutiert und definiert werde, was der Produktionsfaktor Kapital eigentlich ist. Carlin bestätigte das indirekt in ihrer Antwort, in der sie aufzählte, wo Kapital in dem Buch eine Rolle spielt. Die Frage ist nicht ganz unwichtig, denn es gab eine Cambridge Capital Controversy, in der die Nicht-Neoklassiker gewannen, die sagten, dass man Kapital nicht objektiv messen könne, weil immer eine monetäre Bewertung dahinter liege, die wiederum von Faktoren wie dem Zins abhängt, die im Modell eigentlich anhand der relativen Menge von Kapital und Arbeit erklärt werden sollten. Die Folgerung ist, dass das auch von Core verwendete neoklassische Modell mit den Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital nicht sinnvoll anwendbar ist. Das zu akzeptieren würde aber radikale Änderungen am Lehrstoff bedingen. Da verzichtet man lieber auf die Definition von Kapital.

Resümee: INET hat 20 Ökonomen dafür bezahlt ein neues, kostenloses Lehrbuch zu entwickeln. Es ist keine Revolution, sondern eine moderate Reform. Es ist aber sehr viel besser als die bestehenden Lehrbücher. Der Markt für alternative Lehrbücher ist damit tot. Die Hochschullehrer werden entweder mit den Lehrbüchern weitermachen, die sie jetzt schon benutzen, oder sie werden mit Core arbeiten. Niemand, der die Lehre grundlegend reformieren will, wird mit einem reformorientierten Lehrbuch den Hauch einer Chance haben, gegen das aufwendig erarbeitete und kostenlose Core-Lehrbuch anzustinken. Soros und seine Kollegen haben gewonnen.

Nachtrag 6.9.: Wie der Verein die Diskussion um Lehrreform (nicht) weiterführen will.

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