Gericht spricht Rundfunkanstalten Behördeneigenschaft ab und stoppt Zwangsvollstreckung des Beitrags

Die Rundfunkanstalten suchen sich immer das Beste aus allen Welten aus: geht es um möglichst hohe Gehälter, sind sie staatsfern, geht es um rabiaten Gebühreneinzug, sind sie Behörde, geht es um Rechtsschutz für die Zwangsbeglückten oder Geschäftsinteressen sind sie privates Unternehmen. Das Landgericht Tübingen hat den Südwestrundfunk SWR für dieses selbstherrliche Gebaren in einem aktuellen Beschluss abgewatscht und darüber hinaus die Rundfunksatzungen als  rechtswidrig bezeichnet.

Ein rundfunkbeitragspflichtiger Bürger wehrte sich gegen die Vollstreckung seiner Rundfunkbeitragsschuld nebst Verzugsstrafen und wurde vor dem Amtsgericht Urach zurückgewiesen. Das Landgericht Tübingen gab ihm nun in einer bemerkenswerten Entscheidung vom 16.9. Recht (T 232/16).

Aus zwei Gründen: Erstens bestreitet der Schuldner, die entsprechenden Festsetzungsbescheide bekommen zu haben, und der SWR kann nichts Gegenteiliges beweisen, weil er sie mit einfacher Post geschickt hat. Es gibt zwar eine obrigkeitsstaatliche Vorschrift des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes, wonach bei staatlichen Gläubigern die Zustellungsvermutung gilt, wenn sie Schriftstücke bei der Post aufgeben. Wenn die Post oder ein Staatsangestellter das Schriftstück verschlampt, hat der Untertan Pech gehabt. Dieses Gesetz gilt aber in Baden-Württemberg, anders als in manchen anderen Bundesländern, nicht für die Rundfunkanstalt und das Gericht schloss eine sinngemäße Anwendung aus.

SWR ist keine Behörde und kann nicht vollstrecken

Erheblich interessanter noch ist der zweite Grund. Der SWR sei keine Behörde, und könne deshalb nicht vollstrecken, befand das Gericht. Die Tatsache, dass die Anstalt in einem Rundfunkstaatsvertrag Behörde genannt werde, mache sie noch nicht zu einer solchen, denn sie benehme sich nicht wie eine Behörde, sondern wie ein Unternehmen, nenne sich auch so, und könne aufgrund der grundgesetzlich vorgeschriebenen Staatsferne auch keine Behörde sein.

Dieser Beschluss hat es in sich für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und für die Länder, die sich den im Volk zu Recht verhassten, weil ungerechten Rundfunkbeitrag ausgedacht haben. (Zur Erinnerung, die Zahl der jährlichen Vollstreckungsverfahren geht inzwischen in die Millionen.) Zumeist kassiert die dritte Instanz derart wenig staatstragende Entscheidungen der zweiten Instanz im Berufungsverfahren meist wieder. Aber die Argumente des Tübinger Landgerichts sind doch so überzeugend, dass man das nicht als gegeben nehmen sollte.

Eine Kostprobe:

„Das Vollstreckungsverfahren setzt voraus, dass Bescheide einer Behörde zu vollstrecken sind, auf Ersuchen einer Vollstreckungsbehörde. (Hervorhebungen durchgehend im Original.) … Danach ist eine Behörde eine in den Organismus der Staatsverwaltung eingeordnete, organisatorische Einheit … Typische Merkmale einer Behörde sind … die transparente Regelung wesentlicher Handlungsabläufe, Gestaltungsmöglichkeiten und Eingriffsbefugnisse durch Gesetz, Verordnung oder Satzung. Erforderlich ist zudem, dass das Handeln der Behörde als Verwaltungshandeln erkennbar ist, dass sich Behörde und Behördenmitarbeiter als solche erkennbar verhalten. Die formale Bezeichnung als Behörde – beispielsweise im Staatsvertrag – kann danach nicht zur Begründung einer materiellen Behördeneigenschaft ausreichen, wenn zugleich alle (materiellen) rechtlichen Voraussetzungen und Vorgaben fehlen.“

Das macht das Landgericht unter anderem hieran fest:

style=“padding-left: 30px;“ />em>„Die Gläubigerin tritt nach außen in ihrem Erscheinungsbild nicht als Behörde auf, sondern als Unternehmen. Bereits die Homepage www.swr.de ist mit „Unternehmen“ überschrieben, von einer Behörde ist nicht die Rede. Die Rubrik „Der SWR“ führt als Menüpunkt „Unternehmen“, nicht „Behörde“ auf. Die Unterseite Unternehmen bzw. Organisation weist einen Geschäftsleiter und eine Geschäftsleitung aus, ein Management. Eine Behörde oder ein Behördenleiter sind nicht angegeben, statt dessen – behördenuntypisch – unternehmerische Beteiligungen.“</em></p> <p>Das ist bei weitem nicht alles, was das Gericht moniert. Es fehlt an behördentypischer Ausgestaltung, was sich etwa darin zeigt, dass die Gehälter, insbesondere der Intendanten höher sind, als sie sonst sein könnten, wenn das öffentliche Besoldungsrecht gelten würde. „Die Bezüge des Intendanten übersteigen diejenigen von sämtlichen Behördenleitern, selbst diejenigen eines Ministerpräsidenten oder Kanzlers, erheblich.“ Die Angestellten der Rundfunkanstalten stehen nicht im öffentlichen Dienst. Und weiter:</p> <p style=“padding-left: 30px;“><em>„Eine Behörde wird nie im Kernbereich ihrer A“fgaben gewerblich tätig, so aber die Gläubigerin (Werbezeitenverkauf). Einer Behörde ist die Annahme Gelder Dritter auch in Form von „Sponsoring“ oder Produktplatzierung streng untersagt. Bei den Beitragsrechnungen wird der Unternehmensname nicht einmal erwähnt, auch hier ist nicht von einer Behörde die Rede.“</em></p> <p>Hinzu kommt, dass die Rundfunkanstalten ihre Zahlungsaufforderungen nicht wie eine Behörde als Verwaltungsakte erlassen, gegen die man als Belasteter Rechtsmittel einlegen könnte, sondern als einfache Zahlungsaufforderungen, so wie ein Unternhmen, gegen die man sich erst wehren kann, wenn der Rundfunk Verzug feststellt, mit Verzugsstrafen reagiert und daraufhin einen Feststellungsbescheid erlassen hat.</p> <p>Dann kommt noch ganz starker Tobak:</p> <p style=“padding-left: 30px;“><em>„Gegen die Behördeneigenschaft spricht entscheidend auch die „usgestaltung der Satzung der Gläubigerin, die weder gesetzlichen noch rechtsstaatlichen Voraussetzungen gerecht wird.“</em></p> <p>Mit dieser strengen Wortwahl bewertet das Gericht die Satzungsvorschrift, wonach unabhängig vom Willen des Zahlungspflichtigen Zahlungen immer mit der ältesten offenen Forderung verrechnet werden. Dafür gebe es im Rundfunkstaatsvertrag keine Ermächtigung und diese Regelung verstoße gegen Artikel 2 des Grundgesetzes. Warum, das begründet das Gericht mit folgendem Beispiel:</p> <p style=“padding-left: 30px;“><em>„Der Schuldner zahlt aus welchen Gründen auch immer, beispielsweise vorübe“gehendem Geldmangel, ein Quartal nicht. In der Folge werden Säumniszuschläge und Mahngebühr festgesetzt, womit die Schuld für dieses Quartal bereits um ca. 20 % ansteigt. In der Folgezeit ist der Schuldner wieder zu Zahlung der laufenden Beiträge imstande und zahlt auf die laufenden Beitragsforderungen wieder quartalsweise. Nun greift § 13 der Satzung: Entgegen der Erklärung des Schuldners wird der Betrag nicht auf die laufende Beitragsschuld verrechnet, sondern auf das längst vergangene, offene Quartal. Dies hat zur Folge, dass wegen der Säumniszuschläge zunächst nicht einmal das ganze Quartal bezahlt wird, vielmehr auch vom nächsten laufenden Quartalsbeitrag noch Teile abgezogen werden. Damit stehen dann bereits wieder zwei laufende Quartale offen, mit der Folge erneuter Säumniszuschläge und Mahngebühren. Trotz laufender Zahlung hat der Schuldner keine Möglichkeit mehr, als in jedem neuen Quartal in Säumnis zu geraten, neue Rückstandsbescheide und Vollstreckungsersuchen auszulösen. Die Subjektseigenschaft wird ihm genommen, er wird zum Objekt eines lebenslangen Vollstreckungsverfahrens. Mit der Behördeneigenschaft ist weder das Überschreiten der Satzungsermächtigung noch das Aushebeln rechtsstaatlich und grundrechtlich gebotener Tilgungsbestimmungsrechte vereinbar. Die fehlende – aber bei Behörden zwingende – Gesetzestreue zeigt sich zudem an der Aufforderung auf ihrer Beitragsseite, auch die Beiträge für Zeiten nach Insolvenzverfahrenseröffnung zu zahlen …“</em></p> <p>Die Staatsferne nach dem Grundgesetz macht die Behördeneigenschaft unmöglich, weil:</p> <p style=“padding-left: 30px;“ /><em />„Der Rundfunk steht selbst als Träger des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG mithin in einer Gegenpositio“ zum Staat. Er ist um der Gewährleistung seiner eigenen Freiheit willen aus diesem ausgegliedert und kann insoweit nicht a“s Teil der staatlichen Organisation betrachtet werden.“</em></p> <p>Das Gericht hielte es für vertretbar, wenn eine vom Rundfunk getrennte und als Behörde ausgestaltete und handelnde Einzugsstelle den Gebühreneinzug übernehmen würde. Aber das ist bei dem nicht rechtsfähigen und als Unternehmen auftretenden „Beitragsservice“ der Rundfunkanstalten in keiner Weise der Fall.</p> <p>Das Landgericht Tübingen formuliert – nicht zum ersten Mal – mit seinem Beschluss die Gründe für den weit verbreiteten extremen Unwillen gegen den als sehr ungerecht empfundenen Rundfunkbeitrag und das als selbsherrlich und obrigkeitsstaatlich empfundene Gebaren der Gebühreneintreiber. Bleibt zu hoffen, dass sich das irgendwann auch bei den höheren Instanzen durchsetzt, die bisher allzu oft in falsch verstandenem staatstragenden Pragmatismus mit ihren Urteilen dem Rechtsempfinden normaler Menschen Hohn sprechen und sie zu Objekten staatlicher Willkür degradieren helfen. Es ist der Ärger darüber, der so viele Menschen zu so radikalen Gegnern des Rundfunkbeitrags und in der Folge leider auch des öffentlich-rechtlichen Rundfunks werden lässt, selbst wenn sie nicht zu den  (nicht wenigen) gehören, für die der Beitrag eine erhebliche Belastung ist.  Die Länder und die Rundfunkanstalten täten gut daran, die Wut der Menschen ernst zu nehmen, bevor sie sich irgendwann mit Landesregierungen mit AfD-Beteiligung konfrontiert sehen. Dann könnte es zu spät sein.</p> <p><strong>In eigener Sache:</strong> Damit der Hessische Rundfunk nicht wieder auf die Idee kommt, diesen Blogbeitrag umgehend dem Verwaltungsgericht Frankfurt zu schicken, um zu beweisen, dass meine Klage auf Barzahlung des Rundfunkbeitrags nur ein Trick sei, um den Rundfunkanstalten zu schaden und gegen den Rundfunkbeitrag zu opponieren, will ich nochmal klarstellen: Meine Klage, die am 31.10. in Frankfurt verhandelt wird, zielt darauf ab, mein Recht durchzusetzen, mit dem einzigen gesetzlichen Zahlungsmittel zu bezahlen, weil ich dessen Zurückdrängung als Bedrohung meiner Freiheit und Privatsphäre betrachte. Zum Gegner des Rundfunkbeitrags (nicht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks) wurde ich erst, nachdem ich mich im Zuge dieser Auseinandersetzung näher mit dieser verkappten Kopfsteuer beschäftigte. Ziel meiner Klage ist jedoch nicht die Abschaffung des Rundfunkbeitrags, sondern ausschließlich, dass die Rundfunkanstalten ihre gesetzeswidrige Weigerung aufgeben, das gesetzliche Zahlungsmittel anzunehmen.</p> <p><strong>Korrekturhinweis (29.9.):</strong> In der ersten Fassung war von einem „Urteil“ die Rede. Dies habe ich in „Beschluss“ geän“ert. Der Unterschied ist eher rechtsformaler Natur. Dank an @EviSell.</p>““

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