Der Wirtschaftsredakteur von Spiegel-Online, David Böcking, hat am Tag nach der Anti-TTIP-Demo in Hannover per Twitter auf meinen Vorwurf der manipulativen Berichterstattung reagiert. Böcking, der an der Berichterstattung zu Hannover nicht beteiligt gewesen zu sein scheint, fragte mich, ob auch ein Handelsblatt-Video, in dem ebenfalls nur von „Tausenden“ Demonstranten die Rede ist, Manipulation sei. Die Antwort war ein klares Nein.
Die beiden Videos sind journalistenschulgeeignet. Man kann am Vergleich des, wie ich finde, sehr guten und objektiven Videos auf Handelsblatt Online und des Videos auf Spiegel Online (Spon) schön die Manipulationsmöglichkeiten zeigen, die sich im Journalismus bieten. (Ich arbeite hauptberuflich für das Handelsblatt. Meine Texte auf diesem Blog stellen jedoch ausschließlich meine Privatmeinung dar.)
Ich hatte unter anderem moniert, dass in der Überschrift des (bis heute nicht aktualisierten) Berichts auf der Spon-Startseite nur von Tausenden Demonstranten die Rede war und im zugehörigen Video eine Polizei-Schätzung von 16.000 eingeblendet war. Im Handelsblatt-Video ist zwar in der Unterzeile ebenfalls von Tausenden die Rede, aber früh im Bericht wird, wie Böcking selbst einräumt, die Zahl von 90.000 Demonstranten nach Angaben der Organisatoren genannt, sowie die „mindestens 35.000, die die Polizei genannt habe. Dagegen wird im Spon-Video nur die angebliche Polizei-Angabe von 16.000 Demonstranten eingeblendet, und zwar unkorrigiert auch noch am nächsten Tag, an dem das Video immer noch als Beigabe zu neuen Berichten herhalten musste. Dabei stand im Spon-Bericht auf der Startseite, die Polizei habe die Teilnehmerzahl schon zu Veranstaltungsbeginn auf 25.000 geschätzt. David Böcking erklärt den Widerspruch nicht, und auch nicht die unterbliebene Aktualisierung, sondern twittert nur: „16.000 = 1. Schätzung, spätere Beiträge hatten auch höhere Zahlen. Völlig normal bei Demos.“ Dumm nur: die höchste Schätzung, die ich am Veranstaltungstag bei Spon fand, war in einem späteren (ebenfalls manipulativen) Video, in dem von „über 30.000“ Teilnehmern die Rede war. Wenn schon die Polizei von mindestens 35.000 Demonstranten spricht, ist das wiederum eine Untertreibung. Wichtiger aber ist, dass die 25.000 von Veranstaltungsbeginn bis zum nächsten Tag im Haupttext auf Spon stehen blieben und dort bis zum nächsten Tag keine höhere Zahl genannt wurde.
Sehr erhellend ist auch der Vergleich der beiden Videos. HB Online startet mit einer Frontalansicht des Demonstrationszugs und zeigt Transparente, den Zug und Bilder der abschließenden Kundgebung aus verschiedenen Perspektiven einschließlich totalen, sodass man das Gefühl hat, gut abschätzen zu können, wie groß die Veranstaltung war.
Spon zeigt – bis zum nächsten Tag – eine offenkundig in der Anfangszeit aufgenommene Filmsequenz von nur einer Stelle. Die Teilnehmer scheinen sich noch zu sammeln, es sind nicht allzu viele. Irgendwo wird geredet, man hört die Rede schwach im Hintergrund. Die Bilder sind langweilig, die Veranstaltung wirkt traurig.
Im (deutlich längeren) HB-Online-Video werden Kritiker von den Grünen und Attac interviewt und wird einigermaßen ausführlich vom Sprecher gesagt, worum es den Demonstranten geht. Nichts dergleichen bei Spon. Am Ende kommen bei HB-online zur Ausgewogenheit auch Merkel und Obama in Film-Einspielungen pro-TTIP zu Wort.
Fazit: Der Beitrag auf HB-online ist ein Musterbeispiel für serösen Video-Journalismus. Der Video-Beitrag auf Spon und die ganze Berichterstattung dort am Demonstrationstag sind ein Musterbeispiel für manipulativen Journalismus.
Wie Spiegel Online (wieder) Nachrichten manipuliert um Politik für TTIP zu machen