Nach dem Spiegel jetzt auch die FAZ: Sozialstaat ist voll Nazi

16. o7. 2018 | Mit einem noch perfideren Text als dem von Spiegel-Online-Kolumnist Jakob Augstein hat der Wirtschafts-Ressortleiter der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung offengelegt, worum es beim allgemeinen Populismus-Bashing geht: Um Diskreditierung und Abbau des Sozialstaats.

Mit Augsteins Text habe ich mich nicht bloggend beschäftigt, weil das die Nachdenkseiten unter dem Titel „AfD-Wahlkämpfer der Woche: Jakob Augstein“ treffend und zur Genüge getan haben. Das linke Aushängeschild (oder Feigenblatt) des Spiegel schrieb im Untertitel seiner Spiegel-Online-Kolumne vom 9. Juli:

„Durch Einwanderung könnte Deutschland zum neuen, besseren Amerika werden. Wir müssten uns nur von lieben Gewohnheiten verabschieden – zum Beispiel vom Sozialstaat, wie wir ihn kennen.“

Das war keine verfälschende Zuspitzung von anderen, wie es bei Titeln ja manchmal vorkommt. Das vertrat er in seiner Kolumne „Ein deutscher Traum“ explizit so. These: Offene Grenzen vertragen sich nicht mit dem Sozialstaat. Also weg mit dem Sozialstaat.

Nur sechs Tage später kommt die FAS mit einem Aufmacher des Wirtschaftsteils von Ressortleiter Rainer Hank unter dem Titel „Nationalsozial“, bzw. auf FAZ.net „Nationalsoziale Alternative“ in dem dieser das Gleiche von sich gibt, nicht ganz so offen, aber dafür wortreicher und voller infamer Verleumdungen und perfider Verdrehungen. Vorbild sind wieder die USA:

„Man kann offene Grenzen haben oder einen üppigen Wohlfahrtsstaat, aber keinesfalls beides zusammen, das war dem Chicagoer Ökonomen Milton Friedman schon 1978 bewusst. Amerika hat sich für viel Einwanderung entschieden, nimmt dafür aber weniger Sozialstaat in Kauf.“

So schreibt Hank in der fünften und letzten Spalte seines Textes. Er übernimmt damit klar die Einschätzung, dass offene Grenzen für alle mit einem Abbau des Sozialstaats einhergehen müssen. Vorher hat er vier Spalten lang durch selektive Auswahl von Aussagen einzelner Politiker die AfD  zur „Partei der sozialen Gerechtigkeit“ stilisiert, die das nur offiziell noch nicht sei, aber faktisch eigentlich schon. Damit treibt er die üblich gewordene Masche auf die Spitze, alle in der Bevölkerung weithin vertretenen Positionen und Wünsche, die von der großen schwarz-rot-grünen Koalition nicht (mehr) angemessen vertreten werden, als AfD-nah und damit unanständig zu brandmarken. Das trifft jetzt also auch schon den Sozialstaat zur Gänze. Er ist AfD-Position und damit Bäh. Das ist wenigstens konsequent.

Bescheidene Forderungen wie die Stabilisierung des Standard-Rentenniveaus bei 50 Prozent, weit unter dem österreichischen Niveau, werden ebenso als Populismus abqualifiziert, wie die Kritik an der Riester-Rente, mit der sich erwiesener Maßen nur die Finanzbranche staatlich subventioniert die Taschen vollgemacht hat. Diese Kritik ist nicht nur populistisch, sie ist sogar populistisch-antikapitalistisch, ebenso wie Forderungen nach Begrenzung der Leiharbeit und Rückdrehen der Hartz-Gesetze, die man auch von jedem aufrechten Sozialdemokraten hören kann. Was an Zuständen antikapitalistisch sein soll, mit denen der bundesdeutsche Kapitalismus jahrzehntelang hervorragend gefahren ist, versucht der Chef-Wirtschaftsexperte der einflussreichen Zeitung nicht einmal ansatzweise zu erklären.

Nebenher wird noch die angekündigte linke Sammlungsbewegung um Sahra Wagenknecht  im Schnellverfahren mit Nazi-Wurzeln versehen, weil sie die von Hank bevorzugte Wahl der USA ablehnt, und lieber den Sozialstaat bewahren als die Grenzen für alle öffnen wolle:

„Ihre Wurzeln hat sie in Deutschland im sogenannten Tat-Kreis der dreißiger Jahre und beim linken Flügel der NSDAP, die sich das Ziel eines deutschen Sozialismus auf die Fahnen geschrieben haben.“

Voll Nazi also. Es ist schon ungewöhnlich, dass sich damit der FAS-Ressortleiter implizit der grotesk übersteigerten Kritik der Linksterroristen und ihrer Unterstützer aus früheren Zeiten anschließt, wonach die Bundesrepublik ein im Kern faschistischer Staat war. Denn sie hat ja bis vor kurzem im allgemeinen Konsens die Grenzen geschützt und den Sozialstaat verteidigt.

Dass Hanks Text so extrem daherkommt, wenn man ihn durchdenkt, liegt an der totalitär-neoliberalen Grundeinstellung des Autors. Für ihn kann es keine vernünftige Alternative zum Kapitalismus angelsächsisch-neoliberaler Prägung geben. Interessengegensätze werden einfach weggeleugnet. Wer nicht einsieht, dass der neoliberale Kapitalismus das einzig Wahre ist, ist dumm, Populist, Faschist oder Schnorrer.

Mit diesem Text hat Hank zweifellos Augstein als Top-Wahlkämpfer der AfD überflügelt. Aber was stören aufrechte Neoliberale schon ein paar Prozent mehr für die AfD, wenn sie dafür den Sozialstaat leichter abbauen können, weil keiner ihn mehr verteidigen will, aus Angst als Populist oder gar Nazi abgestempelt zu werden.

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