Die Kritik der Bundesbank an 100%-Geld ist pure Lobbyarbeit für die Banken

In ihrem Monatsbericht April hat die Bundesbank darüber aufgeklärt, dass die übliche Lehrbucherklärung des Geldschöpfungsprozesses falsch ist. Außerdem hat sie sich mit der Reformidee des 100-%-Geldes auseinandergesetzt und lehnt diese ab – mit schwachen bis falschen Argumenten, die das Interesse der Geschäftsbanken bedienen.

In einem ersten Blogbeitrag zu dem Monatsberichtsaufsatz hatte ich gestern beschrieben, wie die Geldschöpfung durch Geschäftsbanken funktioniert. Wem das nicht vertraut ist, dem empfehle ich jenen Blogbeitrag zuerst zu lesen, zumindest dessen ersten Teil.

Drei Jahre nach der Bank von England hat auch die Bundesbank eingesehen, dass sie sich mit den eng verwandten Geldreform-Vorschlägen 100%-Geld und Vollgeld nur wirksam auseinandersetzen kann, wenn sie das von ihr bisher gern gesehene Missverständnis aufklärt, dass Banken Zentralbankgeld und/oder Einlagen brauchen, um Kredit zu vergeben, und dass nur die Zentralbank Geld aus dem Nichts schafft. Die meisten Menschen finden es nämlich skandalös, wenn sie erfahren, dass die Geschäftsbanken das Geld, das sie gegen Zins verleihen, sich gar nicht besorgen müssen, sondern einfach aus dem Nichts produzieren. Bei der Welt hält man das sogar auch nach der entsprechenden Erläuterung durch die Bundesbank für eine gefährliche Verschwörungstheorie, mit deren Übernahme die Bundesbank an unserem Geldsystem rüttle. Wenn man bei den Menschen, die die Wahrheit erfahren – es werden immer mehr – nicht alle Glaubwürdigkeit verlieren will, muss man der Geldschöpfung durch die Banken den Ruch des geheim gehaltenen Skandalons nehmen und sie als etwas vermeintlich völlig Selbstverständliches erklären. Das hat die Bundesbank in ihrem Monatsbericht in Angriff genommen.

In einem längeren Anhang hat sie sich dann – nicht zufällig – gleich der Entzauberung der Reformidee des 100%-Geldes gewidmet. Die Geldschöpfungsmöglichkeit der Geschäftsbanken werde als eine wesentliche Ursache für schädliche Kreditzyklen oder sogenannte „Boom-Bust-Zyklen“ gesehen, schreibt sie zutreffend. Man denke dabei an die Zeit bis zum Ausbruch der Großen Finanzkrise 2007. In den USA und Teilen Europas hatten die Banken ihre Vergabe von Immobilienkrediten mit immer höheren Raten gesteigert. Das hatte immer mehr Geld in Umlauf gebracht und gleichzeitig die Immobilienpreise in die Höhe getrieben, was die weitere Kreditvergabe erleichterte. Gleichzeitig kurbelte es die Wirtschaft an, was die Immobilienpreise und die Kreditvergabe weiter antrieb. Als die Immobilienpreise exorbitante Höhen erklommen hatten und nicht mehr genug neue Kreditnehmer aufzutreiben waren, um dieses hohe Niveau noch zu steigern, oder wenigstens zu halten, ging das Ganze in den Rückwärtsgang. Die Preise brachen ein, die Konsumenten waren überschuldet, die Banken waren pleite und mussten vom Steuerzahler gerettet werden. In Europa hat sich daraus eine hartnäckige Staatsschuldenkrise entwickelt.

Reformvorschlag aus den 1930er Jahren

Der Vorschlag, den Banken die Möglichkeit zur eigenständigen Geldschöpfung zu nehmen, indem sie verpflichtet werden, alle Einlagen mit 100% Zentralbankgeld zu hinterlegen, haben führende US-Ökonomen bereits in der auf ganz ähnliche Weise entstandenen Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre gemacht. Ein eng verwandter Vorschlag ist das Vollgeld, das in der Schweiz demnächst zur Abstimmung gestellt wird und in Deutschland von einer Initiative namens „Monetative“ vertreten wird. Mit Vollgeld befasst sich die Bundesbank nicht ausdrücklich.

Die Bundesbank setzt den Tenor, indem sie schreibt:

Wie dargelegt, besteht eine zentrale Dienstleistung gewinnmaximierender Geschäftsbanken darin, über die Vergabe von Krediten Sichtguthaben (Buchgeld) bereitzustellen.

Was viele Leute als ungerechtfertigtes Privileg empfinden, das Recht, zum eigenen Nutzen Geld aus dem Nichts zu schaffen, bezeichnet die Bundesbank als Dienstleistung. Ganz ehrlich, wenn man mich ließe, wäre ich bereit, diese Dienstleistung umsonst zu erbringen. Ich würde sogar noch dafür bezahlen, dass ich das Recht bekomme, Geld zu drucken. Die Bundesbank hat die „-bank“ nicht etwa im Namen, weil sie so gern gegen die kommerziellen Interessen der Banken eintritt. Darüber muss man sich im Klaren sein.

Obschon Banken im Rahmen ihres Kreditgeschäfts in vergleichsweise illiquide Projekte oder Vermögenstitel investieren, stellen sie liquide und grundsätzlich verzinsliche Vermögenstitel in Form von Sichteinlagen bereit (aus Sicht der Bank sind dies Verbindlichkeiten), die eine gleichmäßigere Rendite versprechen als andere Anlageformen.

Das ist fast schon possierlich schönfärberisch. Die Giroguthaben sind zwar „grundsätzlich verzinslich“, im Sinne von, der Bank steht es, anders als vor einigen Jahrzehnten, frei, sie zu verzinsen. Die Zinsen liegen aber selbst zu normalen Zeiten meist nahe Null und versprechen nur deshalb eine „gleichmäßige Rendite“. Die Liquidität dieser Sichteinlagen ist etwas, was nicht die Banken geschaffen haben, sondern was der Staat ermöglicht, indem er Kurzfristschulden von Banken wie Geld behandelt und annimmt, und indem er für diese Schulden der Banken auf vielfältige Weise garantiert. Weiter im Bundesbank-Text:

Solange die Liquiditätsrisiken der einzelnen Einleger, die bei der Bank Sichteinlagen halten, nicht perfekt korrelieren, erlaubt dies den Banken, die Ressourcen (und Risiken) zu bündeln, sodass sie im Ergebnis nur einen vergleichsweise geringen Anteil an liquiden Mitteln als Reserve vorhalten müssen und den Großteil der Finanzierungsmittel in illiquide, dafür aber höher verzinsliche Vermögenstitel investieren können.

Übersetzt: Die Banken versprechen jederzeitige sofortige Rückzahlbarkeit ihrer Kurzfristschulden gegenüber den Einlegern (in Bargeld) und verlassen sich darauf, dass immer nur wenige davon Gebrauch machen. Deshalb können sie ihre, im Gegenzug mit der Schaffung der Giro-Einlagen erworbenen Vermögenswerte langfristig festlegen und so höhere Zinsen bekommen. Das heißt „Fristentransformation“. Dass das auch ein Problem ist, räumt die Bundesbank ein:

Allerdings (steht dem) das Risiko eines Liquiditätsproblems gegenüber, falls Banken zurückgeforderte Einlagen nicht zurückzahlen können: Wenn mehr Einleger als erwartet ihre Sichtguthaben abziehen – nicht, weil sie unerwartet Liquidität benötigen, sondern weil sie erwarten, dass andere Einleger ihre Guthaben abziehen und sie daher einen Zusammenbruch der Bank befürchten –, kann diese Form der Koordinierung zwischen den Konsumenten zu einem „Run“ auf Banken führen

Dann untersuchen die Bundesbank-Autoren – vermeintlich – welche Konsequenzen eine Anhebung des Reservesatzes auf 100% hätte? Sie tun das, und das ist der Trick, „im gegenwärtigen System“. Das heißt, sie gehen davon aus, dass die Zentralbank den Reservesatz zwar auf 100% anhebt, aber sonst nichts ändert – eine gänzlich abseitige Idee. Unter dieser Prämisse kommt die Bundesbank zu dem sehr überraschenden, aber korrekten Ergebnis, dass auch ein geforderter Reservesatz von 100% nichts an der Geldschöpfungsmöglichkeit der Banken ändern würde.

Alles hängt an der Mindestreserveerfüllungsperiode

Das ist korrekt, wenn die Zentralbank weiterhin den für eine bestimmte Mindestreserveerfüllungsperiode ermittelten Bedarf der Banken immer vor Ende dieser Periode durch Zentralbankgeldkredite deckt – und wenn sie für diese Zentralbankgeldkredite keinen höheren Zins verlangt, als die Banken von der Zentralbank für die hinterlegte Mindestreserve bekommen. Dann kostet die Banken die Mindestreserve nichts, und sie können diese in beliebiger Höhe bei der Zentralbank abrufen. Das wäre ein Arrangement, das der Intention des 100%-Geldes diametral entgegenliefe. Darin können die Banken tatsächlich nach Belieben Kredite vergeben und sich im Nachhinein kostenlos von der Zentralbank das nötige Zentralbankgeld in gleicher Höhe besorgen.

Es ist wahr, dass dieses für die Banken extrem günstige Arrangement den bisherigen Zustand- abgesehen von der Höhe des Mindestreservesatzes – recht gut beschreibt. Ihn in einem 100%-Geld-System aufrecht zu erhalten wäre leicht erkennbar widersinnig. Es wäre auch bei 100% Reservesatz weit weniger notwendig als bei einem Prozent, alle Liquiditätsanforderungen der Banken mit zu befriedigen. Wenn heute am Ende der Mindestreserveperiode den Banken zehn Milliarden Euro Zentralbankguthaben fehlen, um ihre Mindestreservepflicht zu erfüllen, und die Zentralbank würde diese nicht bereitstellen, dann müssten bis zu einer Billion Euro Kredit zurückgeführt werden, um das Mindestreservesoll zu erfüllen. Das hätte dramatische Konsequenzen für die Wirtschaft. Wenn der Mindestreservesatz 100% beträgt, sind nur 10 Milliarden Euro Kredit betroffen. Das tut außer der betreffenden Bank kaum jemand weh.

Abhilfe ist einfach

Es gibt eine einfache Lösung um das von der Bundesbank beschriebene Problem zu beheben: Die Mindestreserve-Erfüllungsperiode ist kürzer zu gestalten als das Intervall in dem die Zentralbank den Banken die Möglichkeit gibt, sich Zentralbankgeld (zu normalen Zinssätzen) zu leihen. Sagen wir, die Mindestreserveerfüllungsperiode sei eine Woche und die Zentralbank biete alle zwei Wochen Zentralbankgeld an. Eine Bank, die kein überschüssiges Zentralbankgeld hat, kann dann nur Kredit in dem Maße vergeben, in dem sie sich von anderen Banken am Geldmarkt Zentralbankgeld leihen kann, oder sie muss der Zentralbank Strafzinsen für Sonderliquidität zahlen. Wenn die anderen Banken auch kein Zentralbankgeld übrig haben, muss eine andere Bank ihr Kreditvolumen und damit Einlagenvolumen zurückfahren, damit sie am Geldmarkt Zentralbankgeld abgeben kann. Die Geldmenge kann also unter der Woche nicht oder nur gegen Strafzinsen an die Notenbank erhöht werden. Erst wenn die Zentralbank wieder zusätzliches Zentralbankgeld in Umlauf bringt, können die Banken in diesem Volumen die Kreditmenge erhöhen. Wie rigide oder locker man die Begrenzung gestalten will, lässt sich leicht mit der Höhe des Strafzinses für Sonderliquidität steuern.

Man sieht: das unerwartete Ergebnis der Bundesbank steht und fällt mit einer zweckwidrigen Gestaltung der Mindestreserveerfüllungsperiode. Wenn das die Funktion erfüllen soll, Verwirrung unter den (potentiellen) Befürwortern einer Reform zu stiften, ist es wirksam, redlich wäre eine solche Argumentationsführung aber nicht.

Es geht also doch

Wenn allerdings zusätzliche institutionelle Voraussetzungen und Regulierungen geschaffen werden, gibt die Bundesbank dann doch ohne nähere Erläuterung zu, dann funktioniert es, wenn auch angeblich schlecht:

Die Kreditabteilung könnte in einem solchen System zusätzliche Kredite nur noch dann vergeben, wenn sie ihr Eigenkapital erhöht, Erträge aus dem Kreditgeschäft erwirtschaftet oder Passiva in Form von Ersparnissen akquiriert, die in ihrer Fristigkeit weitgehend den Krediten auf der Aktivseite der Bankbilanz entsprechen. Demzufolge würde die Kreditabteilung quasi keine Fristentransformation durchführen und könnte daher eine zentrale Funktion des Bankensektors nicht erfüllen. Ein solches Finanzsystem ohne Fristentransformation dürfte mit Wohlfahrtseinbußen einhergehen.

Falsch. Das „quasi“ im Zitat soll wohl einräumen, dass das Gesagte so nicht stimmt. Die Banken können weiterhin Fristentransformation durchführen. Wenn sie per Zinsangebot Kunden dazu bewegen, Giro-Einlagen in längerfristige Einlagen umzuwandeln, die nicht mindestreservepflichtig sind, dann wird in diesem Umfang Zentralbankgeld frei. In gleichem Umfang kann die Bank Kredit vergeben, und zwar, wenn sie will, mit deutlich längerer Fristigkeit als die Einlage des Sparkunden. Das Spargeld kann zum Beispiel auf zwei Jahre festgelegt sein, der Kredit kann auf zehn Jahre oder 30 Jahre befristet sein.

Wenn man das als Problem und nicht als Vorteil empfände, könnte man die Fristentransformation unterbinden, aber das ist nicht – jedenfalls nicht notwendigerweise – Teil des 100%-Geld-Vorschlags. Diesem kommt es nur darauf an, dasjenige Geld, das für den Zahlungsverkehr gedacht ist, und im Zuge eines Bankrun schnell abgezogen werden kann, zu schützen. Wer einer Bank als Sparkundin bewusst Kredit gibt, muss weiterhin die Solvenz dieser Bank einschätzen.

In die richtige Richtung deutet die falsche Bundesbank-Aussage nur dahingehend, dass die Fristentransformation weniger extrem sein kann, wenn man den Einlegern nicht mehr ohne Deckung versprechen kann, ihr Geld könne grenzenlos und jederzeit abgehoben werden.

Weniger Fristentransformation nötig

Unterschlagen wird aber, dass man bei weitem nicht so viel Fristentransformation braucht, wenn die Zentralbank längerfristiges Geld ins System einspeist. Sie kann die Kredite von Zentralbankgeld an die Banken längerfristig vergeben, wie sie es krisenbedingt seit einigen Jahren schon tut. Wenn sie statt über die Banken das Geld in Umlauf bringt, indem sie es dem Staat oder den Bürgern zur Verfügung stellt, oder indem sie Wertpapiere kauft, hat dieses Zentralbankgeld sogar unendliche Fristigkeit. Es muss also kein Mangel an längerfristigen Mitteln herrschen, selbst wenn die Banken weniger Fristentransformation betreiben.

Für Sparer gibt es tatsächlich das Problem, auf das die Bundesbank hinweist, dass sie ihre Liquidität knapper kalkulieren müssen, wenn sie längerfristig angelegtes Geld nicht mehr so leicht für den Zahlungsverkehr verfügbar machen können. Denn es muss den Banken untersagt werden, Sparern, die sich längerfristig festgelegt haben, ihr Guthaben ohne Nachteil auszuzahlen. Sonst umgehen Banken und Sparer gemeinsam die Mindestreserveverpflichtung durch nur scheinbar längerfristige Anlagen. Wenn die Sparer aber ihr Geld unwiderruflich festgelegt haben, stehen sie dumm da, wenn sie unvorhergesehen Geld brauchen. Bisher wird das vermieden, indem einfach allen versprochen wird, sie könnten jederzeit auf ihr Geld zugreifen, mit dem Risiko, dass es eine Bankenkrise gibt, wenn zu viele das nutzen wollen.

Es gibt aber jede Menge alternative Arrangements, die eine Liquiditätsversicherung für Sparer erreichen könnten. Das einfachste ist, dass die Sparer festgelegtes Geld gegen einen moderaten Strafzins abrufen können, außer wenn die Bundesbank oder eine andere befugte Stelle einen Bankrun diagnostiziert und derartige vorfällige Freigaben untersagt hat. Auf diese Weise würde eine destabilisierender Massenabzug von längerfristigen Sparguthaben vermieden, aber die Absicherung gegen unvorhergesehenen Liquiditätsbedarf der Einzelnen wäre gegeben.

Variable Mindestkapitalregeln für Banken sind keine Alternative

Die Bundesbank stellt dann unter Rückgriff auf Rechenmodelle, in denen die Auswirkungen des 100%-Geldes untersucht wurden, fest:

Der erwünschte Stabilisierungseffekt (…) stellt sich per se nicht allein durch die Umstellung auf eine 100%-Reserve ein, sondern zeigt sich (…) erst im Gefolge einer zusätzlich eingeführten makroprudenziellen Regel, die eine antizyklische Anpassung der Eigenkapitalquote der Banken erfordert.

Zu deutsch: Man braucht eine Regel, wonach die Banken mehr Eigenkapital vorhalten müssen, wenn ein Kreditboom diagnostiziert wird. Das soll sicherstellen, dass die Konjunktur durch die Kreditvergabe nicht destabilisiert wird. Habe man diese Regel, brauche es kein 100%-Geld.

Das ist irreführend bis falsch. Erst einmal wird die Wirksamkeit von Mindestkapitalvorschriften im bisherigen System maßlos überschätzt. Die Regelwerke Basel I, Basel II iund Basel III sind allesamt gescheitert und konnten Kreditblasen nicht verhindern. Das können sie nämlich schon theoretisch nicht, weil ein Bankensystem das Geld schaffen kann, sich auch jede benötigte Menge Eigenkapital selbst schaffen kann. Während der Finanzkrise hat das eine Schweizer Großbank getan, indem sie einfach einem Scheich Kredit gab, der das Geld als Eigenkapital bei ihr einlegte. So einfach geht das normalerweise aus rechtlichen Gründen nicht. Aber mit ein oder zwei Zwischenstationen geht es immer. Wenn die Banken mit kräftiger Kreditvergabe zu einer Hochkonjunktur mit steigenden Aktienpreisen und steigenden eigenen Gewinnen beitragen, ist es für sie gar kein Problem, einen Teil des zusätzlich geschaffenen Geldes per Kapitalerhöhung als Eigenkapital anzuziehen.

Das bedeutet: Im 100%-Geld-System können Eigenkapitalvorschriften viel eher die Kreditvergabe bremsen und verstetigen als im derzeitigen System. Denn dann können die Banken das benötigte Eigenkapital nicht einfach selbst schaffen.

Die Bundesbank überschätzt auch massiv die Wirksamkeit von Regeln, die die Eigenkapitalanforderungen an Banken abhängig von der gesamtwirtschaftlichen Lage variabel machen. Zum einen sind die Aufschläge, die für Boomphasen vorgesehen sind, recht bescheiden. Ist die Obergrenze für den zusätzlichen Kapitalbedarf erreicht, ist es mit der Wirksamkeit auch schon zu Ende, während der Kreditboom weitergeht. Außerdem wurde noch kein vernünftiger Anknüpfungspunkt gefunden. Wenn ich nicht zwischenzeitliche Änderungen verpasst habe, wird am BIP-Wachstum angesetzt. Das kann den Abschwung verstärkende Wirkungen haben. Das BIP-Wachstum reagiert nämlich mit Verzögerung auf das Kreditwachstum und wird noch dazu erst mit Monaten Verzögerung verlässlich bekannt. Wenn der Kreditzyklus seinen Höherpunkt bereits überschritten hat und womöglich scharf in den Rückwärtsgang wechselt, wäre eine sofortige Lockerung notwendig. Stattdessen werden die Anforderungen an das Eigenkapital noch weiter verschärft, weil das BIP weiter wächst, und wenn das BIP nach unten dreht, wird das erst mit Monaten Verzögerung bekannt.

Makroprudenzielle Eigenkapitalregeln stellen nach derzeitigem Stand also nicht im Entferntesten die Wunderwaffe dar, als die sie die Bundesbank präsentiert.

Recht hat die Bundesbank, wenn sie im Fazit schreibt:

Es wäre verfehlt, anzunehmen, dass die Einschränkung der Geldschöpfung für einen Teil des Finanzsystems (Sektor „Sichtguthaben“) für sich genommen bereits genügt, um das gesamte Finanzsystem widerstandsfähig zu machen.

Als Argument um eine Geldreform abzulehnen ist das etwa so treffend wie die Feststellung, dass ein Porsche als Fortbewegungsmittel auch nicht besser sei als ein Kleinwagen, weil er genausowenig fliegen kann und man zum Fliegen ein Flugzeug brauche.

Vollgeld vs. 100%-Geld

Mit Vollgeld hat sich die Bundebank – entgegen einiger Presseberichte – wie erwähnt nicht befasst. Vollgeld basiert im Gegensatz zu 100%-Geld nicht auf vollständiger Deckung von Giro-Guthaben durch Zentralbankgeld, sondern es hebt den Unterschied zwischen beiden auf. Giroguthaben werden durch Änderung ihrer Rechtsnatur nicht mehr als Kredit an die Bank behandelt, sondern als Vermögen des Einlegers, welches die Bank nur verwahrt. Das ist so wie Anteile an Investmentfonds auch im Besitz des Anlegers bleiben und für die Anleger nur verwahrt werden. Geht die Fondgesellschaft pleite, bleiben diese in Besitz der zugrundeliegenden Werte. Zentralbankgeld (Guthaben bei der Zentralbank) und Bargeld sind in diesem System nur andere Erscheinungsformen des gleichen Geldes. Die Bank hat nicht das Recht, einem Konto Geld gutzuschreiben, das nicht von einem anderen Konto abgebucht wird. Denn das Geld auf den Konten ist ja nicht eine Forderung an die Bank, sondern ein Anspruch an die Gesamtgesellschaft, die dafür Werte hergibt.

Wie beim 100%-Geld muss es bei Vollgeld eine Abgrenzung von Zahlungsverkehrskonten und Sparkonten geben. Das Geld auf ersteren ist Eigentum der Einlegerin, das auf Sparkonten ist ein Kredit an die Bank. Wenn die Banken es den Kunden einfach machen würden, auf Sparkonten angelegtes Geld für den Zahlungsverkehr zu verwenden, würde die Vollgeld-Eigenschaft von Zahlungsverkehrskonten ausgehebelt.

Das (konstruierte) Argument der Bundesbank gegen 100%-Geld, wonach es für sich genommen die Geldschöpfung durch Banken gar nicht verhindere, trifft beim Vollgeld ganz offenkundig nicht zu. Fristentransformation ist auch beim Vollgeld in Grenzen möglich. Im Großen und Ganzen handelt es sich um dieselbe Reform wie 100%-Geld, mit ganz ähnlichen Vorteilen und Schwierigkeiten.

Vollgeld, 100%-Geld und Bargeld

Vollgeld oder 100%-Geld wäre eine Reform, die genau in die Gegenrichtung der derzeit betriebenen Bargeldzurückdrängung geht. Letztere zielt darauf ab, das von den Geschäftsbanken geschaffene Geld zum einzig verfügbaren zu machen, und die Banken der Verpflichtung zu entheben, dafür etwas Werthaltiges zu versprechen. Ersteres macht stattdessen  das sichere staatliche Geld zur Norm und weitet das Bargeldprinzip auf Giralgeld aus. Dass die Bargeldzurückdrängung im Interesse der Banken ist, ist offensichtlich. Warum sie eine Reform in die Gegenrichtung gar nicht mögen, sollte ähnlich offensichtlich sein.

Teil 1: Die Bundesbank versucht über Geldschöpfung aus dem Nichts aufzuklären – vergeblich

Dossier zum Geld

[2.5.17]

 

Print Friendly, PDF & Email