Berufungsbegründung im Verfahren Häring gg. Hessischen Rundfunk (Teil 2)

f.) Die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichtes wirft mit ihrer Normauslegung nicht nur die bereits beschriebenen methodologischen Probleme auf, sondern sie berührt zugleich die Frage, woraus das Gericht erster Instanz seine Befugnis zu einer derartigen Kernberichtigung der gesetzlichen Regelung ableiten wollte oder könnte. In dieser Hinsicht erinnert die Entscheidung an den vergleichbaren Versuch des Reichsgerichtes vom 28. November 1923 (RGZ 107, 78ff.), das auch seinerzeit wörtlich kategorische Geldrecht des Gesetzgebers durch interpretatorische Auslegungsmethoden zu ‚verbessern‘.

Jenes Urteil beherrscht die einschlägige geldrechtliche Debatte bis heute und kann demgemäß auch vorliegend nicht unbeachtet bleiben. Aus der Zusammenfassung von Bernd Rüthers (Die unbegrenzte Auslegung, 6. Auflage, Tübingen, 2005, dort Seite 64 ff.) ist für den vorliegenden Kontext zunächst dies festzuhalten:

[Es folgt ein langes Zitat mit Beschreibung des damaligen Falles und Kommentierung, das hier aus urheberrechtlichen Gründen nur in Auszügen widergegeben wird. Es wird auf die oben angegebene Quelle verwiesen.]

„Das Reichsgericht gab den Grundsatz ‚Mark gleich Mark‘ auf in der … Entscheidung vom 28. November 1923. Zur Kennzeichnung des Zeitpunktes, in dem das Reichsgericht sich zu seiner Aufwertungsentscheidung durchrang, sei daran erinnert, daß eine Goldmark im November 1923 mit 522 Milliarden Papiermark gehandelt wurde; im Dezember war der Preis auf eine Billion Papiermark gestiegen. Bis dahin war der Grundsatz ‚Mark gleich Mark‘ für einseitige Geldschulden gültig geblieben. … Das Reichsgericht bejahte damit die Befugnis des Richters zur Festsetzung eines neuen Wechselkurses. … Grundlage und Anhaltspunkt der Entscheidung im positiven Recht war wiederum § 242 BGB. Das Urteil geht davon aus, durch den Geldwertverfall sei ein Widerstreit entstanden zwischen den Währungsvorschriften einerseits und den Erfüllungsanforderungen an den Schuldner nach Treu und Glauben andererseits. Dabei müsse der das Rechtsleben beherrschende § 242 BGB den Vorrang haben. …… Das Reichsgericht hätte nach Feststellung der Lücke zunächst erörtern müssen, ob deren Ausfüllung in diesem Fall Aufgabe der Rechtsprechung sein konnte oder ob nur der Gesetzgeber befugt war, hier neues Recht zu schaffen. … Wenden wir uns der Frage nach der Befugnis des Richters zur Aufwertung zu. Die rechtspolitische Situation beim Erlaß des Urteiles gibt diesem eine besondere methodische wie verfassungsrechtliche Nuance. … Jedermann, auch der erkennende Senat, wußte, daß der Gesetzgeber plante, die Aufwertung gesetzlich zu regeln, diesen Plan allerdings immer wieder aufgeschoben hatte. …“

Die Parallelen zum vorliegenden Streit liegen auf der Hand: Wiederum wird von der Rechtsprechung ein im Rahmen der grammatikalischen Auslegung unzweifelhafter gesetzlicher Wortlaut im Ergebnis für irgend materiell unrichtig gehalten. Wiederum postuliert ein Gericht eine Lücke im Gesetz, die es durch Auslegung zu füllen gelte. Wiederum wird unter bloßem Blick auf ein typisiertes Individualrechtsverhältnis in den gesetzgeberischen Gesamtkontext des Geldsystems eingegriffen. Wiederum fehlt die Erörterung der Frage, ob – im Falle des tatsächlichen Vorliegens einer Lücke – nicht primär (nur) der Gesetzgeber kompetenzrechtlich berufen wäre, diesen „Mangel“ zu beheben. Wiederum wird die nicht aufgeworfene Frage faktisch durch richterliche Selbstzuweisung der dann angemaßten Gestaltungskompetenz beantwortet. Im Ergebnis wird das Verwaltungsgericht damit selbst zum Gesetzgeber, wendet ein parlamentarisches Gesetz gegen den methodisch aufdeckbaren Willen des historischen „D-Mark“- und aktuellen „Euro“-Gesetzgebers nicht an, vollzieht eine gesetzesvereitelnde Kernberichtigung und verschweigt sogar noch wieder die wesentlich tragenden Begründungserwägungen seiner Argumentation. Mit dem anerkannten Topos des „judicial self restraint“ ist dieses richterliche Vorgehen ebensowenig zu vereinbaren wie mit dem Grundsatz der Bindung des Richters an Recht und Gesetz.

(…)

V.

Daß die Rundfunkanstalten mit ihren Beitragssatzungen nicht zu der von dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main rechtsirrig angenommenen teleologischen Reduktion eines förmlichen Bundesgesetzes befugt waren, folgt neben allem Gesagten insbesondere auch aus der von dem Gericht nicht weiter erörterten, fehlenden Ermächtigungsgrundlage.

1.) Bereits in der ursprünglichen Klagebegründung vom 18. August 2015 hatte der Kläger (dort Blatt 2 f.) im einzelnen zu der hier streitgegenständlichen Gesetzes- und Satzungssituation vorgetragen. Rechtsgrundlage für die Erhebung von Rundfunkbeiträgen an sich ist der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV), dem das Land Hessen durch Gesetz zugestimmt hat. Die konkrete Höhe des Rundfunkbeitrages folgt aus dem Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag, geändert durch den Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag. Die Beklagte ist für das Land Hessen durch § 9 II RBStV ermächtigt worden, die Einzelheiten des Verfahrens zur Leistung des Rundfunkbeitrages durch Satzung zu regeln. Der Rundfunkrat der Beklagten hatte daraufhin am 24. August 2012 die mit dem 1. Januar 2013 in Kraft getretene „Satzung des Hessischen Rundfunks über das Verfahren zur Leistung der Rundfunkbeiträge“ erlassen. Über die chronologisch ordnungsgemäße Genehmigung dieser Satzung durch die Hessische Staatskanzlei und deren Veröffentlichung hat das Verwaltungsgericht – trotz Bestreitens des Klägers – pflichtwidrig Beweis nicht erhoben. Die Anordnung der „bargeldlosen“ Zahlung folgt aus § 10 I der Rundfunkbeitragssatzung.

Ebenfalls bereits in der Klagebegründung vom 18. August 2015 (dort Seiten 6 f.) war auf die formale Rechtswidrigkeit der Rundfunkbeitragssatzung mangels ordnungsgemäßer Ermächtigung und die fehlende Ausfüllung dieser Ermächtigung nach Maßgabe des dort gesetzten Rahmens hingewiesen worden. Auf die diesbezüglichen Ausführungen kann zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen werden. Auch mit diesen Rechtsfragen hat sich die hier angefochtene Entscheidung – die dieserhalb bekanntlich die Berufung zugelassen hat – inhaltlich nicht auseinandersetzt.

2.) Der Rundfunkstaatsvertrag als Ermächtigungsnorm selbst spricht an keiner einzigen Stelle von „Zahlung“ oder „Geldleistung“. Die den Anstalten landesgesetzlich erteilte Befugnis zum beitragerhebenden Satzungserlaß beschränkt sich vielmehr ausschließlich auf die Regelung zu Einzelheiten – wörtlich – des „Verfahrens“:

„Wie eine hoheitlich-einseitig auferlegte Geldleistungsverpflichtung zu erfüllen ist (und damit zum Erlöschen der Schuld führt bzw. andernfalls weitere, negative Folgen wie etwa Säumniszuschläge auslöst), ist schwerlich eine Frage des bei der Beitragserhebung einzuhaltenden ‚Verfahrens‘, sondern ein Umstand, der unmittelbar zur Beendigung des Schuldverhältnisses führen soll, so daß nicht allein Leistungs- bzw. Zahlungsort im Hinblick auf eine angemessene Risikoverteilung zwischen Schuldner und Gläubiger einseitig bestimmt sein müssen …, sondern auch die gebotene oder zulässige Zahlungsweise, zumal wenn sie die Verwendung von gesetzlichen Zahlungsmitteln zur Erfüllung einer (in Euro-Währung den nominierten und im Inland zu zahlenden) Geldschuld nicht generell oder doch in bestimmten Fällen als Option belässt, sondern dies gänzlich ausschließt.“

(Ludwig Gramlich, Zahlungsformen und -modalitäten im Lichte des Geld- und Währungsrechtes – am Beispiel des Rundfunkbeitrages, K & R 2015, 637 [639, li. Sp.])

3.) Der Beklagte hat als Behörde kein eigenes Rechtssetzungsrecht, sondern er ist in seiner Funktion als Satzungsgeber auf die Setzung derivativen Rechtes beschränkt. Alles, was er regelt, muß ihm von dem vorrangig gesetzgebenden Ermächtigungsgeber gestattet sein. Die ermächtigende Instanz kann sich ihrer Gesetzgebungskompetenz nicht entäußern. Die Rechtssetzung durch die Exekutive hat stets Ausnahmecharakter. Sie muß sich deswegen eng in dem ihr gesteckten Ermächtigungsrahmen halten. Zu diesem Verständnis der Bindung des Satzungsgebers in die Grenzen der ihm erteilten Befugnisse gehört zentral die hinreichende Bestimmtheit der Ermächtigung als Mittel zur Herstellung von Rechtssicherheit.

Eine Befugnis der Beklagten, den Regelungsgehalt des § 14 I S. 2 BBankG auszuhebeln oder ihn teilweise außer Kraft zu setzen, findet sich an keiner Stelle des ermächtigenden Staatsvertrages. Hat aber der ermächtigende Gesetzgeber eine solche Befugnis für den behördlichen Satzungsgeber schon selbst nicht eröffnet, so kommt die Begründung einer solchen Rechtsmacht durch die Judikative qua methodischer Normerweiterung auch schon

In einem Urteil vom 16. Oktober 2013 hat das Bundesverwaltungsgericht (8 CN 1.12) insoweit ausgesprochen:

„Eine Vorschrift entspricht nur dann rechtsstaatlichen Grundsätzen, wenn und soweit sich aus ihr mit ausreichender Bestimmbarkeit ermitteln lässt, was von den pflichtigen Personen verlangt wird. Vom Normgeber wird verlangt, die Rechtsvorschriften so genau zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (BVerfG, Beschluss vom 18. Mai 2004 a.a.O. S. 396; BVerwG, Urteil vom 1. Dezember 2005 – BVerwG 10 C 4.04 – NVwZ 2006, 589). Die Notwendigkeit der Auslegung einer Begriffsbestimmung nimmt der Norm noch nicht die Bestimmtheit. Es genügt, wenn die Betroffenen die Rechtslage anhand objektiver Kriterien erkennen und ihr Verhalten danach ausrichten können (BVerfG, Beschlüsse vom 22. Juni 1977 – 1 BvR 799/76 – BVerfGE 45, 400 <420> und vom 18. Mai 1988 – 2 BvR 579/84 – BVerfGE 78, 205 <212>; BVerwG, Urteil vom 16. Juni 1994 – BVerwG 4 C 2.94 – BVerwGE 96, 110 <111> = Buchholz 406.401 § 18 BNatSchG Nr. 3).“

Daß die den Staatsvertrag abschließenden Parteien von dem Bürger – mithin auch den hiesigen Kläger – hätten verlangen wollen, daß er auf seine Rechte aus § 14 I S. 2 BBankG zur Tilgung von Geldschulden mit Bargeld teilweise verzichte, läßt sich dem Staatsvertrag nicht ansatzweise entnehmen.

VI.

Der juristische Leser des Urteiles aus Frankfurt am Main vom 31. Oktober 2016 erkennt in Anbetracht der dortigen Argumentation unzweifelhaft eines: Die Richter standen neben der materiell-rechtlichen Problematik ebenso vor der schwierigen Entscheidung, entweder in faktischer Staatsräson die einmal gegebene Verwaltungsstruktur des Rundfunkbeitrages irgendwie gutzuheißen oder aber das etablierte juristische Handwerk unserer Rechtsordnung widerspruchsfrei und prinzipientreu anzuwenden. Vor genau dieser Frage steht zwangsläufig jeder Richter, der mit der – auch vorliegend zentral entscheidungsrelevanten – Frage nach der Bedeutung des Bargeldes und dem Regelungsgehalt des § 14 I S. 2 BBankG im Lichte der Rundfunkbeitragssatzung konfrontiert ist. Ein jeder Richter muß also entscheiden, welche Bindung für ihn die stärkere ist; die zu staatspraktischer Faktizität oder die zu unserer Gesamtrechtordnung mit ihrer gesamten Dogmatik. Die Bindung an das Recht mag in solchen Fällen mit persönlichen Überzeugungen oder allgemeinen Anschauungen kollidieren; sie aber ist es, auf der die nachhaltige Funktionsfähigkeit einer Rechtsordnung und die der sie schützenden dritten Gewalt unausweichlich fußen. Gerade der Verwaltungsgerichtsbarkeit und ihren Richtern ist diesbezüglich eine tragende Verantwortung auferlegt, wie nicht nur die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Düsseldorf Az. 2 L 2866/16 exemplarisch belegt, indem sie der strengen methodischen Folgerichtigkeit richtigerweise den Vorrang vor allgemeinpolitisch weithin für richtig Gehaltenem einräumt.

Daß die Rundfunkbeitragssatzung vorliegend das Tor zur exklusiven Nutzung von Giralgeld (auch „Buchgeld“ genannt, vgl. die Definition bei Palandt-Grüneberg, 2017, § 245 BGB Rn 4) öffnen will, macht diese Schwierigkeit umso größer. Denn ausgerechnet dieses Giralgeld als Geld sui generis, geschöpft von Privatinstitutionen mit kreditinstitutioneller Betriebsgestattung, bereitet zunehmend größte juristische Schwierigkeiten. Niemand Geringeres als der emeritierte Strafrechtsprofessor Michael Köhler aus Hamburg hat – in Zusammenarbeit mit dem angesehenen Bonner Bankenrechtler Johannes Köndgen und der Richterin am OLG i. R. Marlene Brockstedt – zu der im Mai 2013 bei Duncker & Humblot erschienenen „Festschrift für Wolfgang Frisch zum 70. Geburtstag“ seinen bemerkenswerten Aufsatz „Humes Dilemma – oder: Was ist Geld?“ beigetragen. An so etablierter Stelle – weit abseits also von dunklen Verschwörungstheorien, zweifelhafter „Reichsbügerdiskussion“ o. dgl. – formuliert Köhler:

„Das Geldschöpfungs-Privileg der Banken hat keine Grundlage im geltenden Recht. Eine prinzipien- und verfassungsorientierte Gesetzgebung wird es daher klarstellend aufheben.“

Auch diese Problematik gehört unausweichlich in den vorliegenden Zusammenhang. Wer dem Rundfunk mit teleologischen Reduktionen, hinkenden Analogien, systemwidrigen Extensionen oder ähnlichen juristischen Halbheiten die Möglichkeit schafft oder erhält, die bundesgesetzliche Bedeutung des Bargeldes zu relativieren (die, wie auch vorliegend dargelegt, weiland nicht ohne Grund auch von eigenen Expertengremien der Europäischen Union nach Erörterung ausdrücklich für den Euro übernommen worden war), der leistet dem Zerfall des Geldwesens, ob er es will oder nicht, massiv Vorschub. Um es nochmals zu betonen: Diese Diskussion wird nicht unter Sektierern oder Verschwörungstheoretikern geführt, sondern im Zentrum ausgesuchtester Kreise der juristischen Elite unserer Rechtsordnung. Mitautor der genannten Festschrift für Wolfgang Frisch zum 70. Geburtstag ist immerhin auch der amtierende Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Andreas Voßkuhle. Es erscheint nicht plausibel, daß der Verlag ihn und/oder er selbst sich publizierend in unmittelbare Nähe dieser Thematik begeben hätte, wenn nicht auch er das Problem sähe.

(Gebauer)

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht

26. Januar 2017

Siehe auch: Juristischer Fachaufsatz zerpflückt Urteil des VG Frankfurt zugunsten des Hessischen Rundfunks

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