Der Reihe nach (keine vollständige Auflistung, Details auf Nachfrage):
- Zu Beginn wurde das Ziel ausgegeben den Anstieg zu verlangsamen, um die Intensivabteilungen der Krankenhäuser nicht zu überfordern (Flatten the curve). Gemessen werden sollte das Wachstum an der Verdopplungszeit der Anzahl der Infizierten. Zuerst sollte die 10 Tage überschreiten, dann musste noch länger gedehnt werden. Verdopplungszeit 14 Tage wurde der Maßstab.
- Dann tauchte plötzlich die Reproduktionszahl R in aller Munde als Maßstab auf: Wie viele Personen steckt ein Infizierter an? Anfänglich war das Ziel 1, dann unter 1, letzte Woche wurde vom RKI-Vizepräsidenten sogar mal ungefähr 0,2 genannt, gestern (28.4.) auch „möglichst niedrig“. Berechnen kann man R sowieso nicht. Außerdem wurde die Schätzmethode Mitte April auch noch gewechselt.
- Seit letzter Woche ist die absolute Zahl der gemeldeten Fälle (wegen möglicher Einzelfallverfolgung durch die Gesundheitsämter) plötzlich die wichtigste Größe. Genannte Grenzen bisher: ein paar hundert, unter 1000, möglichst niedrig.
Das ist kein vertrauenswürdiger Umgang mit der Bereitschaft fast aller, sich stark einzuschränken.
Gelingt es in normalen Zeiten mit einer genannten statistischen Maßzahl Eindruck zu erwecken, ist jetzt die Zahl der Wissenden zu groß. Wechselt dann kurz vor der Erfüllung plötzlich das Kriterium und das gleich mehrfach, sinkt die Bereitschaft massive Freiheitseinschränkungen weiter zu respektieren.
Im Interesse der Vermeidung einer zweiten Ansteckungswelle und im Interesse der Demokratie: Seid ehrlich! Entwickelt ein Bündel von Kriterien an denen wir die Vorboten einer zweiten Welle erkennen können, wenn es sie denn geben sollte. Die traurige Entwicklung in Singapur mit Ihrer neuen Welle geben Hinweise, die letzten gut sechs Wochen Erfahrung in Deutschland müssen genutzt werden. Und wenn Ihr keine prüfbaren Kriterien findet, kommuniziert das ehrlich und treibt nicht wieder die nächste „Sau“ durch das Dorf!
Meine Liste über den fürchterlichen Umgang mit statistischen Daten ist noch lang und kann gerne für einen Hintergrundartikel oder ein Interview abgerufen werden. Aber auch da bitte Ehrlichkeit zur Quelle.
Vor dem Abschluss: Schuld ist nicht der Überbringer der Botschaft von unglaubwürdigem Vorgehen. Gerne helfen wir bei der Vermeidung weiterer Fehler. Bisher wurden entsprechende Angebote leider kommentarlos ausgeschlagen.
Zur RKI-Pressekonferenz von Dienstag 28. April
Nachdem über mehrere Wochen vom RKI die Reproduktionsrate R stark ins Zentrum der Betrachtung geschoben wurde, die Berechnung oder besser gesagt Schätz-Methode erneuert wurde, hatten viele Journalisten dazu Nachfragen. Und dann kam die medial beachtete Kehrtwende, die sich seit einer Woche anbahnte.
Ausschnitte vom Ende der Konferenz, geäußert durch Prof. Wieler: „öffentlich nicht immer ausschließlich auf R konzentrieren“, „eine Reihe anderer Werte betrachten“ (sinngemäß zitiert). So weit, so klug. Aber dann wortwörtlich: „ganz wichtige, die Anzahl der Neuinfektionen pro Tag“ und damit hatte er schon wieder eine neue Größe in den Mittelpunkt gestellt. Fast genauso verlief vor Wochen der Wechsel von den Wachstumsraten der registrierten Fälle zur Reproduktionsrate R.
Für viele Journalisten kam der gestern erstmalig von Präsident Wieler ausgesprochene Wechsel dann doch zu plötzlich und wurde erstaunt berichtet.
Orginaltitel
„Wechselnde Corona-Kriterien, Beschreibung und Ausblick – Hinweis Nummer 64 von Bosbach/Korff („Lügen mit Zahlen“, „Die Zahlentrickser„)“
Alternative Lesart (Hinweis von N.H.)
Wer das gleiche Thema in zustimmenden Tenor behandelt lesen möchte, sei auf diesen Beitrag auf ntv.de vom 27. April verwiesen:
„Fälle, Verdopplung, Reproduktion. Warum die Corona-Kennzahl ständig wechselt„