Philipp Heimberger. Infolge der Finanzkrise 2007/2008 schnellten die Arbeitslosenquoten in Europa in die Höhe. Als die Arbeitslosigkeit in zahlreichen europäischen Ländern für eine längere Zeit erhöht blieb, kristallisierte sich bald eine dominante Interpretation heraus: Die erhöhte Arbeitslosigkeit müsse durch „Strukturreformen“ der Arbeitsmarktinstitutionen abgebaut werden. Dazu zählte maßgeblich eine Lockerung von Beschäftigungsschutzbestimmungen, die es Unternehmen zu geringeren Kosten ermöglichen sollte, Arbeitskräfte zu entlassen.
Insbesondere in Südeuropa kam es nach der Finanzkrise zur Umsetzung weitreichender Deregulierungsmaßnahmen an den Arbeitsmärkten. Die spanische Regierung lockerte etwa die Schutzvorschriften für Arbeitsverträge deutlich, wie es auch von europäischer Seite gefordert worden war: Weniger strikter Beschäftigungsschutz werde die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und ihre Einstellungsneigung erhöhen und so Arbeitslosigkeit senken, war die Verheißung.
Die Konzentration auf Deregulierung des Arbeitsmarktes in der Zeit nach der Finanzkrise war jedoch nicht ganz neu. Schon Anfang der 1990er-Jahre lancierte die OECD ihre Jobstrategie. Auch der Internationale Währungsfonds und die Europäische Zentralbank forderten flexiblere Arbeitsgesetze ein.
Theoretisch sind die Auswirkungen von Beschäftigungsschutz nicht eindeutig. Einerseits sagen einfache Standard-Wettbewerbsmodelle voraus, dass strikte Bestimmungen die Arbeitslosigkeit erhöhen: ArbeitgeberInnen zögerten, ArbeitnehmerInnen einzustellen, weil sie befürchteten, dass sie diese nicht leicht wieder entlassen können.
Andererseits können strikte Schutzvorschriften den Erhalt von Arbeitsplätzen aber auch fördern, wenn Unternehmen bei einem vorübergehenden Nachfragerückgang deshalb weniger MitarbeiterInnen entlassen.
Entlassungshürden erhöhen Arbeitslosigkeit nicht
In einer Studie, die ich im November veröffentlicht habe, zeige ich, dass die Fokussierung auf Beschäftigungsschutz als Ursache für gestiegene Arbeitslosenquoten durch die praktische Erfahrung nicht gedeckt ist. Die wissenschaftliche Literatur liefert mehr als 850 Untersuchungsergebnisse zur Wirkung von Schutzbestimmungen auf Arbeitslosenquoten. Nur wenige Studien legen den Schluss nahe, dass strikterer Beschäftigungsschutz zu höherer Arbeitslosigkeit führt.
Der Großteil der Schätzungen bestätigt das jedoch nicht: Die präzisesten empirischen Ergebnisse liegen nahe bei null, und auch der geschätzte Durchschnittseffekt von strikterem Beschäftigungsschutz auf die Arbeitslosigkeit über alle Studien hinweg ist null.
Wenn wirtschaftspolitische Initiativen in der Zeit nach Corona darauf abzielen sollten, durch eine Lockerung des Beschäftigungsschutzes die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, ist deshalb eine kritische Haltung angezeigt. Ein Abbau von Schutzvorschriften bei Arbeitsverträgen mag zu sinkenden Kosten für Unternehmen führen und in eine politische Agenda der zunehmenden Prekarisierung von arbeitenden Menschen passen. Er ist jedoch kein Mittel zur Senkung von Arbeitslosigkeit.
Philipp Heimberger ist Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche und am Institut für die Gesamtanalyse der Wirtschaft, Linz.