Der Trend, auf das Smartphone ganz oder zeitweise zu verzichten, ist definitiv erst in zarten Anfängen. Dagegen ist der Leidensdruck der Smartphone-Nutzer, der ihm zugrundeliegt, bereits sehr weit verbreitet und gut dokumentiert.
So ist laut Gallup-Umfragen der Anteil der erwachsenen US-Amerikaner, die die Frage bejahen, ob sie zu viel Zeit mit ihrem Smartphone verbringen, zwischen 2015 und 2022 von 39 auf 58% gestiegen. Mehr als die Hälfte sieht sich also als mindestens ein bisschen Smartphone-süchtig. Bei den 18- bis 29-Jährigen sind es sogar vier Fünftel, die nach eigener Einschätzung zu viel an dem kleinen Bildschirm hängen. Auch in meiner Gruppe der 50- bis 64-jährigen Männer liegt der Anteil derer, die sich als süchtig empfinden, in den USA bereits über 50%. Nur die Frauen über 50 haben noch einen Anteil von über der Hälfte, die ihre Smartphone-Nutzung als gedeihlich betrachten.
Hill berichtet in der New York Times unter dem Titel „A Practical Guide to Quitting Your Smartphone“ vom Schubladenhersteller Fabuwood an der Ostküste, der ein Smartphoneverbot in Sitzungsräumen einführte, Mitarbeitern einfache Mobiltelefone bezahlt, wenn Sie auf das Smartphone verzichten, und diese anhält bei der Arbeit Smartphones weggepackt zu lassen.
Sitzungen seien dadurch viel besser und kreativer geworden. Achtzig Mitarbeiter hätten das bezahlte Umstiegsangebot angenommen, die Produktivität sei gestiegen, vor allem weil diejenigen, die zuvor exzessiv Smartphones genutzt hätten, produktiver wurden.
Viele Mitarbeiter empfänden die Hilfe bei der Eindämmung ihrer Smartphone-Übernutzung als wohltuend, heißt es in dem Bericht.
Hill zitiert Zuschriften von Fabuwood-Mitarbeitern und anderen Lesern, die ihrer Einschätzung aus dem ersten Bericht in der Zeitung entschieden widersprechen, dass längerfristiger Smartphone-Verzicht kaum möglich sei. Langfristige Mobiltelefonierer aller Altersklassen hätten ihr berichtet, dass ihre Beziehungen zu Partnern und zu Kindern dadurch besser geworden seien und sie sich gesünder und glücklicher fühlten.
Einige Zitate:
„“Dass wir nicht mehr ständig über Messaging-Apps erreichbar sind, hat die Qualität unserer Zeit miteinander verbessert. Wir haben mehr, woüber wir reden können.“
„Ich gehe meinen Hobbys konsequenter nach. Ich lese in der U-Bahn. Ich spreche mehr mit meinem Mann. Ich fühle nicht den erdrückenden Druck, alles sofort wissen und das perfekte Wort online sagen zu müssen.“
„Ich habe es satt, von einem Stück Technik versklavt zu werden, das mir und meinen Kindern die Aufmerksamkeit geraubt hat. Die Jahre der Kindererziehung sind kurz. Deine Kinder brauchen DICH.“
Die Empfehlung Hills entspricht dem, womit ich gut fahre: Ein ausgeschaltetes Smartphone in Reserve halten, für Fälle, in denen es ohne nicht mehr oder kaum noch geht.
Auch in Sachen Smartphonezwang ist der Trend in den USA schon weiter fortgeschritten als bei uns, lässt sich aus den Berichten über Probleme mit der Smartphone-Freiheit ablesen, über die Hill berichtet. Parkgebühren kann man oft nur noch mit dem Smartphone bezahlen, Zugang zu Veranstaltungen ist oft nur noch per QR-Code möglich. Restaurants haben keine gedruckten Speisekarten mehr.
Wenn es hierzulande allerdings Dumbphones oder im Marketing-Sprech Feature Phones mit Features wie in den USA gäbe, bräuchte ich das Smartphone in Reserve kaum noch. Es gibt dort große Auswahl, bis hin zu Telefonen, die praktisch Smartphones ohne soziale Medien sind.
Aber auch in Deutschland gibt es einfache Telefone mit mindestens rudimentärer Navigation, Internetzugang, MP3-Playern, Radio, etc. Einen Überblick findet man z.B. bei PCWelt.
Wer auch meint, zu viel Zeit mit dem Gerät statt mit Menschen oder mit sich selbst zu verbringen: einfach mal ausprobieren mit einem Smartphone-freien Februar. Freunde und Familie informieren und das Ding ausschalten und nur mitnehmen, wenn man es wirklich absehbar dringend benötigen könnte. Mindestens die Erfahrung, wie abhängig wir uns von diesen Geräten schon haben machen lassen, werden sie von diesem Experiment mitnehmen.