Kurze Rezension von „Econocracy“ und „Zur Pluralität der volkswirtschaftlichen Lehre in Deutschland“

Die Frage der Queen, warum niemand die Finanzkrise kommen sah, löste bei den Ökonomieprofessoren Europas eine Welle von Selbstzweifeln und Seelenforschung aus. Doch diese Phase währte nur kurz. Seit Jahren herrscht in der Forschung wieder Normalität, und gelehrt wird wie ehedem. Das ist die übereinstimmend Diagnose eines Forscherteams der Universität Kassel, das die volkswirtschaftliche Lehre in Deutschland untersucht hat, und der Post Crash Economics Society an der Universität Manchester in ihrem Buch „Econocracy„.

Kritische Studierende und Lehrende, die sich im Netzwerk Plurale Ökonomik zusammengeschlossen haben, wollen sich nicht damit abfinden, dass das, was an der Uni gelehrt wird und das, was in der Realität zu beobachten ist, wenig miteinander zu tun haben. Sie haben eine Forschergruppe aus Kassel beauftragt, die Einstellungen des Lehrpersonals und die Inhalte der Lehre zu erforschen. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung bezahlte die Rechnung. Das Ergebnis ist die Studie von Frank Beckenbach, Maria Daskalakis und David Hofmann „Zur Pluralität der volkswirtschaftlichen Lehre in Deutschland„. Und in Manchester hat die Post Crash Economics Society mit sehr prominenter Unterstützung mit dem Buch „Econocracy“ eine eigene, sehr ausführliche Analyse erstellt.

Andrew Haldane, Chefvolkswirt der Bank von England, diagnostiziert in seinem Vorwort zur Manchester-Studie anhand des Brexit-Votums und der Finanzkrise einen schweren Reputations- und Realitätsverlust der Volkswirtschaftslehre. Das britische Votum für den EU-Austritt sei gegen den Rat der großen Mehrheit der professionellen Ökonomen erfolgt. „Wenn es je einen Kampf zwischen Ökonokratie und Demokratie gab, dann war es das“, schreibt Haldane.

Monokultur der Methoden

„Diese Episode macht deutlich, welche Wegstrecke die Ökonomik zurücklegen muss, um die Köpfe der Menschen zurückzugewinnen, von den Herzen ganz zu schweigen“, schließt Haldane. Er führt diese Entfremdung unter anderem auf das Versagen der Ökonomen vor der Finanzkrise zurück. „Unsere Modelle und unsere Sprache haben eine überdimensionierte Rolle in der Gesellschaft gespielt.“

Ökonomik sei zu sehr eine methodologische Monokultur geworden und habe mathematische Eleganz über praktische Relevanz gestellt.

„Der Mangel an intellektueller Vielfalt kam unseren Berufsstand teuer zu stehen, als sein einziges Anbauprodukt während der Finanzkrise eine spektakuläre Missernte erbrachte.“

Ob es die von Haldane diagnostizierte Monokultur in der Lehre gibt – sowohl im Urteil der Lehrenden als auch in den Lehrplänen und Texten – , das wollte die deutsche Forschergruppe um den Kasseler Umwelt- und Verhaltensökonomen Frank Beckenbach herausfinden. Das Dreierteam befragte Hochschullehrer von 54 Universitäten. Diese beschrieben das von ihnen Gelehrte mehrheitlich mit Begriffen aus der Denkschule der sogenannten Neoklassik: Es handelt der Homo oeconomicus. Ihm wird Rationalität unterstellt, er soll den Zielen Maximierung und Effizienz folgen. Das Konzept des Gleichgewichts, in dem die Pläne aller Beteiligten aufgehen und niemand etwas ändern möchte, ist zentral.

Zwar stellt das Forscherteam eine recht große Offenheit der Lehrenden für Veränderungen fest. Etwa die Hälfte hält die Forderungen der kritischen Studenten nach mehr Vielfalt und Realitätsnähe für mindestens teilweise berechtigt. Ähnlich viele würden Erkenntnisse anderer Disziplinen und andere ökonomische Sichtweisen einfließen lassen. Allerdings seien die Lehrpläne schon mit Pflichtelementen aus der Neoklassik und der Mathematik so voll, dass kaum Zeit für anderes bleibe. Außerdem fehle Personal, um ausgetretene Pfade verlassen zu können.

Die starke Konzentration der Gelehrten auf den neoklassischen Mainstream stellen Beckenbach, Daskalakis und  Hoffman auch in den Lehrmaterialien, den Lehrbüchern und den Modulbeschreibungen der Unis fest. Dort werde Ökonomik oft sogar weitgehend mit dem neoklassischen Ansatz gleichgesetzt.

Die Diagnose der Studentengruppe aus Manchester, die die Lehrpläne britischer Universitäten untersucht hat, deckt sich weitgehend mit jener der Kasseler Forscher. „Die Studenten mögen sich wundern, warum es nötig ist, das Studium der Wirtschaft so sehr von der Wirklichkeit loszulösen“, schreiben sie. „Aber sie müssen lernen, diese Parallelwelt zu bewohnen, wenn sie eine Chance haben wollen, ihre Prüfungen zu bestehen.“

Die internationale Vereinheitlichung der Bachelor-Lehrpläne im Zuge des „Bologna-Prozesses“ habe zu einer thematischen und methodischen Einengung geführt, analysieren Beckenbach und sein Team. Sie sehen dadurch sogar die grundgesetzlich garantierte Freiheit der Professoren in der Lehre bedroht.

Auf Leistung getrimmt

Die Fakultäten würden immer stärker auf „Leistung“ getrimmt, diagnostizieren beide Teams. Wobei Leistung ganz überwiegend an der Zahl der Veröffentlichungen in den vermeintlich besten Fachzeitschriften gemessen wird. Sie brauchen also wissenschaftliches Personal, das in den Feinheiten der theoretischen Modellwelt zu Hause ist. Und auch die Autoren der Lehrbücher sehen ihre Aufgabe vor allem darin, Studierenden das Denken in abstrakten Modellwelten nahezubringen.

Die Orientierung der Lehre an der Forschung und die damit zusammenhängende starke Mathematisierung führen für Beckenbach „zu einer Ablösung von den Ausbildungsinteressen der Studierenden, die nicht an der Universität verbleiben wollen“. Er spricht von einem Ausbildungsversagen und Verschwendung von Ressourcen. Die Manchester-Gruppe drückt das aus Studentenerfahrung so aus:

„Wir klammerten uns an den Glauben, dass wir ein Rahmenwerk lernten, das wir vielleicht im nächsten Kurs oder im nächsten Jahr auf die wirkliche Welt würden anwenden können. Erst als wir das halbe Studium hinter uns hatten, merkten wir, dass wir umsonst warteten.“

Zu den noch relativ leicht praktikablen Vorschlägen der Manchester-Gruppe gehört, die Lehrmaterialien und Kurse nach Problemstellungen aus der realen Welt zu strukturieren, also etwa Entwicklung, Arbeitslosigkeit etc. Das böte dann Anknüpfungspunkte für die Integration von Wissen aus anderen Disziplinen und würde es nahelegen, verschiedene ökonomische Ansätze zum selben Thema zu behandeln. Auch die Vorschläge, wegen der Ressourcenknappheit fortgeschrittenen Studierenden eine Rolle in der Lehre zu geben und neue Medien einzusetzen, um kooperatives Lernen zu ermöglichen, sind nicht wirklich radikal. Aber die Manchester-Gruppe erlaubt sich auch, von einer Gesellschaft von Bürgerökonomen zu träumen.

Beckenbach und sein Team bleiben dagegen mit ihren Vorschlägen erdverbunden.  Sie wollen höhere Freiheitsgrade in der Lehre durch Verringerung des Pflichtteils, zusätzliche Angebote von Fächern wie Wirtschafts- und Dogmengeschichte und vor allem eine Rücknahme der starken Standardisierung der Lehrinhalte.

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