Postfaktisches aus dem Wahrheitsministerium

11. 12. 2016 | Facebook, Twitter, YouTube und Microsoft haben gerade auf Drängen von Berlin, Brüssel und Washington die Grundlage für umfassende Internet-Zensur gelegt. Stiftungen und Institute arbeiten an den schwarzen Listen und die Öffentlichkeit wird mit einem Trommelfeuer aus Fake-News-Hysterie und angeblichen Putin-Hacks auf die Zensurnotwendigkeit eingeschworen. Für kritische Geister wird es sehr eng, wie damals, 1984.

Fake News, postfaktisches Zeitalter und die russische Manipulation von Meinungen und Wahlen sind derzeit offenbar unser Hauptproblem. Und die Internetgiganten wie Facebook und Twitter sind mit schuld daran, weil sie nicht genug „filtern“, was sie verbreiten. Das ist die Erzählung und der Vorwurf aus Berlin, Brüssel und Washington. Dem wollten sich die Kritisierten natürlich nicht verschließen. Für Diktaturen haben sie schließlich auf deren Wunsch auch schon Zensurmöglichkeiten geschaffen, um im Geschäft bleiben zu dürfen. Warum dann nicht für demokratische Regierungen. Und so haben YouTube, Facebook, Twitter und Microsoft am 5. Dezember die organisatorische Grundlage geschaffen für eine wirksame und umfassende Zensur der sozialen Medien. Sie haben eine gemeinsame Datenbank für „extremistische Inhalte“ vereinbart. Wer seine Äußerungen von Twitter (oder einem der anderen drei) als „extrem“ markiert bekommt, kann bald sicher sein, dass er sie in keinem großen sozialen Medium mehr äußern kann.

Jemand ärgert mit dem, was er veröffentlicht, die heimische oder eine fremde Regierung. Wenn diese die  Möglichkeit hat, direkt oder indirekt, bei Twitter oder YouTube oder Facebook oder Microsoft anzuregen, dass man die Inhalte dieser Person als extremistisch einstufen sollte, dann ist künftig Schluss damit. Es muss auch keiner erfahren, wer den Blockade-Marker gesetzt hat, und warum und auf wessen Anregung. Es ist heute schon fast unmöglich, darauf von Facebook eine Antwort zu bekommen. Künftig weiß man nicht einmal mehr, welcher der völlig intransparenten Internet-Giganten es war. Einen Tweet von Wikileaks retweeten oder auf Facebook weiterverbreiten? Vergessen Sie es. Das wird wohl bald nicht mehr möglich sein. Die immer wieder sehr interessanten Beiträge auf der Finanzwebsite Zero-Hedge, die jüngst auf einer von der Washington Post beworbenen schwarzen Liste russischer Propagandasites auftauchte, wird – soweit ich weiß – schon von einigen großen Banken für ihre Mitarbeiter gesperrt. Demnächst ist sie vielleicht für alle gesperrt, wenn jemand sie als extrem einstuft.

Zur Begründung für ihre Zensurdatenbank haben die vier großen Internet-Türsteher erst einmal nur von extremistischen und terroristischen Inhalten gesprochen. Denn dagegen kann ja eigentlich keiner was haben. Aber das ist Augenwischerei. Der Datenbank ist es egal, ob die darin aufgeführten Äußerungen und Personen terroristisch, extremistisch, extrem oder nur lästig sind. Und die Unternehmen legen niemand Rechenschaft darüber ab, wen sie dort aufführen und auf wessen Anregung.

Faktenfreie PR-Kampagne

In diesem Zusammenhang sollte man die bizarre PR-Kampagne sehen, die derzeit über die westliche Welt ausgerollt wird, mit Fake-News-Hysterie, angeblich postfaktischem Zeitalter, schwarzen Listen von putinhörigen Politikern, von Russland gesteuerten Medien und Organisationen, und mit einer Unzahl von Wörtern und Ausdrücken, die man nicht mehr verwenden darf, weil sie angeblich demokratiefeindlich oder Hassrede seien. Die CSU schließt sogar aus der aktuellen Medienkampagne um angebliche russische Wahlbeeinflussung über das Internet mit Fake News, es müsse ein Straftatbestand der Desinformation eingeführt werden. Um es nochmal kurz zu resümieren: wir sollen glauben, dass das Internet, das vom US-Militär entwickelt wurde, und die sozialen Medien, die von im Heimatland der NSA ansässigen US-Unternehmen in enger Tuchfühlung mit der NSA organisiert werden, nach Belieben aus Moskau manipuliert werden können und die NSA hilflos zuschauen muss.

Schwarze Listen aus Washington …

Geschrieben habe ich schon darüber, wie der sehr einflussreiche Atlantic Council in Washington eine „Studie“ veröffentlicht hat, in der u.a. Sigmar Gabriel, Alexander Gauland und Sahra Wagenknecht als Einflussagenten des Kreml enttarnt werden. Der Atlantic Council fordert, die EU solle „zivilgesellschaftliche Organisationen“ dafür bezahlen und notfalls auch neue gründen, die Leute mit nicht genehmen Meinungen aufspüren, diffamieren und denunzieren. Auch darüber, wie die Washington Post unmittelbar danach auf ihrer Seite Eins eine Schwarze Liste von über 200 angeblichen Putin-Propagandaorganen beworben hat, schrieb ich bereits. Auf der von der völlig obskuren Gruppe namens PropOrNot erstellten Liste steht das Who-is-who der kritischen Internetmedien. Die politische Richtung ist egal. Was sie eint, ist das veröffentlichen unerwünschter Informationen und kritischer Meinungen.

… und aus Brüssel

Hinzu gesellt sich eine „Studie“ des von großen internationalen Konzernen finanzierten Brüsseler Instituts European Centre for International Political Economy ( ECIPE) mit dem Titel „Manufacturing Discontent: The Rise to Power of Anti-TTIP Groups“. Sie stellt fest, dass Organisationen wie Campact und Attac mittels „täuschender Kommunikation“ die Menschen aufgestachelt hätten, ihre angeborene Liebe für Investoren-Schiedsgerichte und gentechnisch veränderte Lebensmittel zu vergessen und massenhaft gegen TTIP auf die Straße zu gehen. Diese Initiativen seien wahrscheinlich von Moskau finanziert und gesteuert worden. Das ECIPE leitet daraus die Forderung ab, die EU-Kommission müsse durchsetzen, dass alle Organisationen, die EU-Geld erhalten, sich ausschließlich entsprechend der offiziellen Linie der EU-Kommission äußern und betätigen.

Das Institut macht sich dabei nicht einmal die Mühe, Falschbehauptungen der TTIP-Gegner nachzuweisen oder nur aufzuzählen. Dass Russland wahrscheinlich dahinter steht, schließt es daraus, dass Campact Spenden unter 5000 Euro nicht einzeln auflistet. (Auf der ECIPE-Website sucht man vergebens nach Informationen über die Financiers dieses Instituts.) Nur damit Sie jetzt nicht denken, ECIPE sei ein unwichtiger Haufen von Diletanten: Das Steering Committee bilden ein ehemaliger Vizegeneralsdirektor der Welthandelsorganisation, ein früherer Chef der Vorgängerinstitution GATT, ein schwedischer Ex-Minister und der Vorsitzende der Pariser Eliteuni Sciences Po.(Nachtrag: Kommentierte Übersetzungen von Passagen des ECIPE-Papiers bei Maskenfall.)

Der Weg in die Internetzensur wird auch in Berlin bereitet

Und wir? Wir schreiten auf diesem derart grobschlächtig freigehauenen Weg voran in Richtung umfassende Zensur abweichender Meinungen. Berlin fährt – angeführt von Justizminister Heiko Maas und mit Unterstützung einer staatlich finanzierten Stiftung, die von einem Geheimdienstchef beaufsichtigt wird – eine Initiative gegen Hassrede im Internet. Diese schließt „demokratiefeindliche Hassrede“ ein. Man muss also niemand beleidigen, rassistisch oder antisemitisch argumentieren, um aufs Radar zu kommen. Es reicht, wenn man im Sinne von Atlantic Council, PropOrNot oder ECIPE Demokratiefeindliches von sich gibt, also Äußerungen, die geeignet sind, das Vertrauen in das Führungspersonal oder die Funktionsfähigkeit der Demokratie zu untergraben. Handreichungen dafür, was auf den Index soll, gibt es schon reichlich, etwa hier beim NDR. So musste sich dieser Tage der Medienwissenschaftler Uwe Krüger von der Autorin des verlinkten NDR-Beitrags vorhalten lassen, er verbreite rechte Propaganda. Sein Vergehen: Er hatte über medienkritische Äußerungen des Papstes unter Verwendung des Begriffs „Lückenpresse“ berichtet, ohne diesen in Anführungszeichen zu setzen. Von Begriffen, die Kritik an den etablierten Medien ausdrücken, hat man sich zu distanzieren, wenn man schon darüber schreibt, lautet die Botschaft.

„Altparteien, Politdarsteller, Eliten, Bankster, Lückenpresse, Drohnenmorde, Sondergerichte für Investoren, Flüchtlingskrise“, die Liste der Begriffe, die als demokratiefeindliche Pauschalkritik, Fake News oder Hassrede eingestuft werden können, ist beliebig nach rechts und links erweiterbar – und sie wird beständig erweitert. Denn es müssen ja, wenn die Leute auf ähnliche Begriffe ausweichen, um ihre Kritik zu äußern, in einem dynamischen Prozess auch diese Begriffe indexiert werden.

Für die Jüngeren und Naiveren hat der Bayerische Rundfunk seit kurzem eine Medien-Gebrauchsanleitung namens „So geht Medien“ im Internet, aus der man unter anderem lernen kann, wie man „Verschwörungstheorien“ entlarvt. Dort wird eine fatal an PropOrNot erinnernde Gruppe namens Der goldene Aluhut als Erkenntnisquelle propagiert. Auf deren Seiten kann man allerdings trotz aller Versprechungen des BR lange suchen, bevor man faktengeschwängerte Widerlegungen von „Verschwörungstheorien“ findet. Stattdessen gibt es vor Verachtung triefende Angriffe auf Friedensmahnwachen (Wahnwichtel) und ihre Teilnehmer.

Postfaktisches aus dem Wahrheitsministerium

Bestens passend zu dieser Kampagne hat jetzt auch noch die halbamtliche Gesellschaft für deutsche Sprache „postfaktisch“ zum Wort des Jahres gekürt, in willfähriger Nachahmung der Oxford University Press, die „Post-Truth“ zum Wort des Jahres gekürt hat. „Post-Truth“! Klingt das nur für mich nach Orwellschem Neusprech, wie in „Wahrheitsministerium“ aus dem Roman „1984“?

„Immer größere Bevölkerungsschichten sind in ihrem Widerwillen gegen ‚die da oben‘ bereit, Tatsachen zu ignorieren und sogar offensichtliche Lügen bereitwillig zu akzeptieren.“

So erläutert die Sprachgesellschaft ihre Wahl. Damit meint sie offenbar nicht die inexistenten Massenvernichtungswaffen von Saddam Hussein, die den Irak-Krieg begründeten, oder die unbewiesenen Kriegsverbrechen des posthum in Den Haag weitgehend entlasteten früheren jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic, die die Bombardierung Serbiens begründeten. Das waren ja alles Lügen, die von „denen da oben“ kamen. Gemeint ist wahrscheinlich auch nicht die halbe Milliarde Dollar, die der Pentagon nach einem Bericht des Schweizer „Zeitpunkt“ der PR-Firma Bell Pottinger für das Fälschen von Terroristenfilmen für Propagandazwecke bezahlte. Und gemeint sind auch nicht die vielstimmigen, beleglosen und oft furchtbar unplausiblen „Informationen“  über von Putin gesteuerte Internetmedien und Politiker. Felix Serrao bringt in der FAZ auf den Punkt, worum es stattdessen geht:

„Postfaktisch: Das klingt erst mal lustig. Doch hinter dem Begriff steckt eine intolerante, ja demagogische Absicht: Wer einmal öffentlich als irrational gebrandmarkt ist, den muss keiner mehr ernst nehmen. Ist der „Populist“ – um einen weiteren Kampfbegriff unserer Zeit zu nehmen – nach Ansicht seiner Kritiker immerhin noch absichtsvoll böse, ist der postfaktische Mensch nur noch absichtslos blöde. Das mag für die Ausschlusskomitees des Zeitgeists bequem sein. Für die demokratische Kultur ist diese Haltung Gift.“

Es geht bei dieser Kampagne darum, Kritiker der herrschenden Verhältnisse, von links wie von rechts, zum Schweigen zu bringen. Erst indem man alle Begriffe, mit denen sie ihre Kritik ausdrücken könnten, für unanständig erklärt. Dann muss man sich nicht mehr mit ihren Argumenten auseinandersetzen, sondern nur noch mit ihrer Sprache. Weil das auf Dauer nicht reicht, geht man nun einen Schritt weiter. Man setzt die Begriffe auf den Index und macht ihre Verbreitung nach und nach unmöglich. Und wer sich zu sehr in die Nähe solcher Argumente und Begriffe begibt, kommt irgendwann auch auf den Index von YouTube, Facebook, Twitter, Microsoft und natürlich Google … einfach weg, verschwunden, ganz ohne Gewalt. Dann herrscht wieder Frieden im Land, wie damals „1984“.

Nachtrag (12.12) zum Werbeboykott gegen Tichys Einblick und Achse des Guten:

Neben der Moralkeule und der Zensurandrohung gibt es noch ein drittes Mittel, um unliebsame Stimmen und Medien zum Schweigen zu bringen: den Boykottaufruf. Dieses Mittel wendet nach Darstellung von Dirk Maxeiner vom Blog Achse des Guten derzeit ein hochrangiger Manager der großen Werbeagentur Scholz & Friends gegen Tichys Einblick und die Achse des Guten an. Diesen kündigen plötzlich sehr viele bisherige Werbekunden die Buchungen, nachdem dieser Werbemanager den Unternehmen nahegelegt hat, ihre Blacklists entsprechend zu aktualisieren. Auf diesen können Unternehmen gegenüber den Agenturen angeben, wo ihre Werbung auf keinen Fall erscheinen soll. Scholz & Friends hat auch die Bundesregierung als Kunden. Die politische Ausrichtung beider betroffenen Medien ist dezidiert nicht meine, und ein wichtiger Blogger der Achse des Guten, Henryk Broder, ist selbst ein gefürchteter Kampagnenführer und Zerstörer von Reputationen. Trotzdem bestätigt dieser Vorgang meine schlimmsten Befürchtungen darüber, mit welcher antidemokratischen Konsequenz derzeit versucht wird, alle Meinungen jenseits einer engen „Mitte“ zu neutralisieren. Das macht wenig Hoffnung, dass die neugeschaffenen weitreichenden Zensurmöglichkeiten lange ungenutzt bleiben.

Leseempfehlungen:

Ratgeber: Alles was Sie jetzt über Fake News wissen müssen“ 🙂

Putin zieht mit Sexmobs in den hybriden Krieg gegen Deutschland„, insbesondere die Auflistung der von Bild zitierten Experten am Ende des Artikels.

Dossier: McCarthy reloaded

Netzpolitik.org: „Zensurdatenbank der großen Internetunternehmen könnte zum Overblocking führen

Da geht’s hin: „China: Zensur in neuer Dimension

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