Ina Praetorius: Hausputz ist kein Hobby – Wann kommt die unbezahlte Care-Arbeit ins BIP?

19. 12. 2020 |  Der größte Wirtschaftssektor, die unbezahlte Care-Arbeit, wird im Bruttosozialprodukt nicht berücksichtigt. Ist eine ökonomische Theorie denkbar, bei der das anders ist, fragt die evangelische Theologin und Kritikerin der Mainstream Volkswirtschaftslehre, Ina Praetorius in diesem Gastbeitrag.

Ina Praetorius.* Die einen steigen auf Berge, die anderen züchten Rosen, mein liebstes Hobby ist es, mit Ökonomieprofessoren zu diskutieren. Am 24. April 2016 habe ich zum Beispiel an einen geschrieben, der im Ökonomenranking der „NZZ“ schon länger ziemlich gut abschneidet.

Ein- oder zweimal war er der zweitwichtigste Ökonom der Schweiz, nach Ernst Fehr. Ich fragte ihn: Warum kommt der größte Wirtschaftssektor, die unbezahlte Care-Arbeit, nicht im Bruttosozialprodukt vor und auch selten im Wirtschaftsteil der Zeitung?

Anders als Ernst Fehr, der mir in vier Jahren erst einen einzigen Satz gemailt hat, ist dieser Herr Professor ein aufgeschlossener Mensch. Ich bekam also Antwort: Ja, sicher gebe es außermarktliche Tätigkeiten, schrieb er mir, und sie trügen auch zur Wertschöpfung bei.

Selbstverständlich steige die gesellschaftliche Wohlfahrt, wenn Menschen in ihrer Freizeit schlafen oder essen oder ihr Haus putzen. Das sei aber kein Grund, diese Tätigkeiten zum Gegenstandsbereich der Ökonomie zu zählen. Denn von der statistischen Erfassung zur staatlichen Kontrolle sei es nur ein kleiner Schritt, weshalb er mir die Gegenfrage stellen wolle, ob ich denn bereit sei, für meinen Mittagsschlaf Steuern zu zahlen.

Was mir an der Antwort dieses Herrn gefällt, ist ihre Aufrichtigkeit. Ich hatte zwar schon vermutet, dass Ökonomen von all dem, was sich außerhalb des Geldkreislaufs abspielt, wenig wissen (wollen), weshalb sie keinen Unterschied sehen zwischen Hausputz und Schlaf. Aber das hatte mir noch keiner so deutlich gesagt.

Die meisten hatten sich entweder meinen Fragen entzogen, oder sie waren peinlich berührt gewesen, womöglich weil ihnen dämmerte, dass es nicht logisch ist, auf den ersten Seiten wirtschaftswissenschaftlicher Lehrbücher die Ökonomie als Lehre von der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse zu definieren, ab Seite zwei dann aber nur über Kaufen und Verkaufen zu reden.

Ich war deshalb froh, dass endlich ein Ökonom mir kurz und bündig erklärte, welche Annahmen er seiner Lehr- und Forschungstätigkeit zugrunde legt: Was Geld einbringt, ist Gegenstand der Wirtschaftswissenschaft, befriedigt also per Definition Bedürfnisse. Was außerhalb des Geldkreislaufs stattfindet, ist eine amorphe Masse von diversen (Nicht-)Tätigkeiten, die man sich besser nicht genauer anschaut, weil man sonst vielleicht mehr Steuern zahlen muss.

Was ist der Unterschied zwischen Schlafen und Putzen? Schlafen macht wach, Putzen macht müde. Schlafen regeneriert, Putzen ist Arbeit, die das menschliche Bedürfnis nach einer sauberen und geordneten Umgebung befriedigt. Ist eine ökonomische Theorie denkbar, die solche Unterschiede auch zwischen außermarktlichen Tätigkeiten erkennt und anerkennt? Wem käme eine solche Ökonomie zugute? Oder anders gefragt: Wem kommt die derzeitige Ökonomie zugute?

Frauenarbeit ist Liebesdienst

Was Frauen zu Hause tun, nennt man nicht Arbeit, sondern „familiäre Verpflichtungen“ oder kurz „Liebe“. Diese Ideologie wirkt sich angenehm kostensenkend für die männlich geprägte Wirtschaft aus. Das zeigt ein Beispiel.

Am 17. Oktober 2019 sendete das Schweizer Fernsehen eine Reportage mit dem Titel „Pflegekosten – die Armutsfalle“. Gezeigt wurden zunächst Senioren und Seniorinnen, die für Pflegeleistungen in Heimen staatliche Transferleistungen beziehen. Danach ein hochbetagter Mann, der trotz einer starken Gehbehinderung noch in der eigenen Wohnung wohnt.

Das Heim sei für ihn „keine Option“, sagt er, obwohl er seit Jahren pflegebedürftig sei. Ein einziger kurzer Satz aus dem Off erklärt seine für die Gesellschaft vorbildlich kostensparende Lebensform: Die Ehefrau pflegt ihn, vor allem in der Nacht.

Eine aufmerksame Zuschauerin reichte bei der Ombudsstelle des Senders Beschwerde gegen die Reportage ein: Die unbezahlten Pflegeleistungen der Ehefrau seien nicht sichtbar geworden, kritisiert die Beschwerdeführerin, weshalb das Gebot der Sachgerechtigkeit durch die Sendung nicht erfüllt sei.

Wie man aus den im Einzelnen bezifferten Pflegekosten im Heim habe entnehmen können, sei die gratis zu Hause erbrachte Pflege für deren Empfänger beziehungsweise für den Staat massiv kostensparend. Eine sachgerechte Darstellung der ökonomischen Situation der Seniorinnen und Senioren hätte daher auch die Pflegeleistungen der Ehefrau beziffern müssen. Offizielle Zahlen zur Wertschöpfung durch unbezahlte Haushaltsproduktion liefere das Bundesamt für Statistik schließlich schon seit 1997.

Der Ombudsmann wies die Beanstandung ab. In seiner Begründung argumentiert er, eine Bemessung der Leistung der Ehefrau wäre „zu kompliziert“ geworden, zumal es in der Sendung um ein anderes Thema gegangen sei, nämlich nicht um die Betreuung Pflegebedürftiger durch Angehörige, sondern um die Frage der Pflegekosten.

Es störe ihn zwar auch, dass „diese wichtige Person“ nur kurz erwähnt und nicht befragt worden sei. Laut Auskunft der Redaktion habe die Frau es aber abgelehnt, selbst gefilmt zu werden. Die Beschwerdeführerin zog mit ihrer Beanstandung an die „Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen“ weiter. Auch diese lehnte die Beschwerde ab.

Arbeit ist aber Arbeit, egal, ob sie zu Hause gratis oder im Pflegeheim gegen Lohn erbracht wird. Diese plausible Einschätzung könnten Ökonomen und Ökonominnen, Medienschaffende und deren Kontrollinstanzen unterstützen, statt die interessengeleitete Ideologie vom liebenswürdig kostensenkenden Geschlecht zugunsten diverser Profiteure durch weitere Jahrhunderte zu schleppen.

*Ina Praetorius ist evangelische Theologin und Autorin von „Wirtschaft ist Care“.

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