Die unerhörte Selbstkrönung der Sahra W. – Anatomie einer Umdeutung

Sahra Wagenknecht nutzt ihre Talkshow-Popularität aus, um sich ohne Rücksicht auf den Zeitplan des Parteivorstands selbst als Spitzenkandidatin der Linken zu nominieren. Gegen diese parteischädigende Egomanie regt sich Widerstand aufrechter Parteifunktionäre. Das erfahren wir beinahe gleichlautend aus allen Medien, von der linken Junge Welt bis zu Spiegel Online. Mit den tatsächlichen Abläufen hat das ganz wenig zu tun. Wie konnten nur fast alle Medien gleichzeitig so versagen? Eine Spurensuche.

Was war geschehen? Am Montag den 26. September fand turnusmäßig eine Beratung des geschäftsführenden Parteivorstands der Linkspartei mit den Landesprechern statt. Thema sollte laut Einladung die Auswertung der jüngsten Landtagswahlen sein. Eine Woche zuvor war, wie in diversen Medien berichtet, die Wahlkampfstrategie von Geschäftsführer Matthias Höhn im Parteivorstand abgelehnt worden. Die Wahlkampfstrategie für die Bundestagswahl wurde deshalb, für die Teilnehmer wenig überraschend, von der Parteivorsitzenden Katja Kipping in der Sitzung ebenfalls angesprochen. In der damit eng verwandten Kandidatenfrage hatte der Landesvorstand Rheinland-Pfalz sich auf die Paarung Wagenknecht, Bartsch festgelegt, und damit ein erstes Pflöckchen eingerammt. Auch dieses Thema rief Kipping auf. Die Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch waren eingeladen und anwesend, was die Parteivorsitzenden Kipping und Rixinger den Teilnehmern mit Blick auf die Debatte der Wahlkampfstrategie erklärten. Kipping legte dar, es gäbe verschiedene in Frage kommende Varianten für die Spitzenkandidatur, neben der Duo Bartsch-Wageknecht auch ein Viererteam zusammen mit den beiden Parteivorsitzenden Kipping und Rixinger und das Duo Wagenknecht-Kipping. Wagenknecht und Bartsch erklärten sich daraufhin zur Kandidatur bereit, schlossen aber die Vierer-Variante kategorisch aus. Diese Variante habe sich schon einmal, beim Wahldebakel der PDS 2002 als untauglich erwiesen.

Soweit der Ablauf, der sich Anhand von Beschreibungen von Teilnehmern und später sicherlich auch des Protokolls nachzeichnen lässt. Aus dem Wagenknecht-Lager ist zudem zu hören, dass Kipping und Rixinger zu diesem Zeitpunkt aufgrund vorheriger Aussprache bekannt gewesen sei, dass Wagenknecht und Bartsch die Vierervariante entschieden ablehnen.

Und das machten die renommierten (Online-)Medien daraus?

Medien im Kampagnenmodus

Den Auftakt machten zwei Tage nach der Sitzung, am Mittwochnachmittag, Matthias Meisner auf Tagesspiegel.de (veröffentlich auch auf Zeit.de) und Wolf Wiedmann-Schmidt auf Spiegel Online. Meissners Artikel ist überschrieben mit „Wagenknecht bringt sich als Spitzenkandidatin ins Gespräch“. Das entspricht weder dem Ablauf von Montag, noch ist es eine sinnvolle Aussage. Denn es ist allgemein schon lange klar, dass Wagenknecht gesetzt ist. Außerdem hat auf dem Treffen, um das es geht, Katja Kipping lauter Varianten mit Wagenknecht als Spitzenkandidatin zur Diskussion gestellt. Es kann also keine Rede davon sein, dass Wagenknecht sich selbst  ins Gespräch gebracht habe. Der Artikel hat die Unterzeile: „Die Parteilinke will 2017 als Spitzenkandidatin in den Bundestagwahlkampf ziehen. Die Führung der Linken fühlt sich von der Fraktionschefin überrumpelt.“ Und dann eine verdrehte Geschichte von der egomanen Wagenknecht, die am Montag die Parteivorsitzenden überrumpelt habe, und sich als Spitzenkandidatin ins Gespräch gebracht habe, obwohl diese Frage gar nicht auf der Tagesordnung gestanden habe. Damit habe sie aus Sicht wichtiger aber ungenannter Parteifunktionäre die Vorsitzenden brüskiert. Es gibt kein inhaltliches oder explizites Indiz dafür, dass der Journalismus-Regel gefolgt wurde, in derartigen Streitfragen beide Seiten zu hören. Wagenknecht jedenfalls sagt auf Anfrage, sie sei nicht kontaktiert worden. (Es habe sie in dieser Sache überhaupt nur ein einziger Journalist kontaktiert.) Es kommen nur die Kritiker zu Wort und nur die offenbar von diesen verbreitete irreführende Darstellung des Ablaufs wird widergegeben. Auf Twitter bringt Meisner seine irreführende Einordnung ganz knapp auf den Punkt: „Sahra #Wagenknecht überrumpelt @dieLinke – und beansprucht die Spitzenkandidatur bei der #btw17 für sich.“

Spiegel Online kommt mit dem Titel: „Wagenknecht und Bartsch stellen die Machtfrage: Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch wollen Spitzenkandidaten der Linken werden – und zwar nur als Duo. Damit überrumpeln die Fraktionschefs die Parteiführung.“ Autor Wolf Wiedmann-Schmidt fabuliert:

„Eigentlich wollte die Partei sich bis zum Januar Zeit lassen, um eine Lösung zu präsentieren. Doch nun haben Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch eine Entscheidung forciert. Am Montagnachmittag tauchten die beiden Fraktionsvorsitzenden überraschend bei einem Treffen der Landeschefs und des geschäftsführenden Bundesvorstands in der Parteizentrale in Berlin-Mitte auf. Es ging um die vergangenen Landtagswahlen und eine mögliche Wahlkampfstrategie für die Bundestagswahl 2017 – und irgendwann tauchte die Frage auf: Wer wird Spitzenkandidat?“ (Hervorhebungen N.H.)

Mit dem letzten Satz verrät der Autor, dass die irreführende Darstellung der ersten Sätze absichtsvoll ist: „Irgendwann tauchte die Frage auf …“ Wer warf diese Frage auf. Das ist ganz entscheidend für den Tenor des Artikels, denn wenn die Parteivorsitzende Kipping die Frage aufgeworfen haben sollte, wie es tatsächlich der Fall war, dann wäre schwer der Artikeltenor durchzuhalten, dass die beiden angeblichen Übeltäter den Vorstand überrumpelt haben. Also lässt man die Frage lieber einfach so aus dem Nichts „auftauchen“. Wenn seine wagenknechtfeindlichen Quellen dem Autor nicht verraten haben sollten, wer die Frage aufbrachte, dann hätte er unbedingt im Wagenknecht-Lager nachfragen müssen. Er lässt uns nicht wissen, ober er das getan hat. Wenn er es getan hat, dann hat er einfach ignoriert, was er von dort hörte und ausschließlich die Schilderung und Sichtweise der Gegenseite berücksichtigt.

Die Überrumpelungsthese unterfüttert er weiter mit der Formulierung: „tauchten überraschend auf“. Das verwundert, wenn man weiß, dass die beiden eingeladen waren. Es ist zwar denkbar, dass sie öfter mal eingeladen wurden, aber nicht erschienen. Dann war ihr Erscheinen vielleicht wirklich überraschend gewesen, aber nicht im suggerierten Sinne, dass hier zwei Leute auf eine Sitzung gingen, wo sie nichts zu suchen hatten, um einen ungehörigen Vorstoß in eigener Sache zu unternehmen.

Bartsch und Wagenknecht seien „vorgeprescht“ und hätten deutlich gemacht, dass sie für die seit Monaten in der Linkspartei diskutierte Viererlösung mit Kipping und Rixinger nicht zur Verfügung stünden. Das sei „nicht bei allen“ in der Partei gut angekommen, von „Erpressung“ und “Selbstkrönung“ sei die Rede gewesen, schreibt der Autor ohne Namen zu nennen und schließt mit: „Nun haben Wagenknecht und Bartsch versucht, Fakten zu schaffen – und ihre Parteiführung damit überrumpelt. Denn eigentlich hätte die das Vorschlagsrecht.“

Wieder eine irreführende Formulierung, denn die Parteiführung in Person von Katja Kipping hat ja von ihrem Vorschlagsrecht Gebrauch gemacht und Wagenknecht und Bartsch haben nur darauf reagiert. Von wegen vorgeprescht und Vorschlagsrecht in Frage gestellt. Annähernd sinnvoll wäre der Vorwurf nur, wenn man unterstellte, dass diejenigen, denen der Vorstand die Kandidatur anträgt, kein Recht hätten mitzusprechen oder abzulehnen, aber dann wären ganz andere Formulierungen angebracht gewesen.

Defilee der Wagenknecht-Kritiker bei der Funke-Gruppe

Besonders wild treibt es auch die Mediengruppe Funke (Der Westen), die ausschließlich Wagenknecht-Kritiker zitiert, mit Formulierungen, die nur dann treffend erscheinen, wenn man – entsprechend dem Spin der berichtenden Medien – fälschlicher Weise davon ausgeht, dass Wagenknecht und Bartsch vorgeprescht sind und das Thema Spitzenkandidatur aufgebracht haben. Davon später mehr.

DPA verweigert sich dem Spin

Die Nachrichtenagentur DPA brachte am Mittwochabend mit Verweis auf Tagesanzeiger.de und Spiegel Online einen Bericht, der den besonderen Spin der beiden Zeitungsberichte nicht transportiert. Vielmehr ist korrekt von einem Streit zwischen Parteichefs und Fraktionschefs die Rede und – ohne kommentierende Einordnung – davon, dass Bartsch und Wagenknecht sich zu einer Kandidatur bereit erklärt hätten, aber die Viererlösung ablehnten. Die Nähe zur Realität mag damit zu tun haben, dass die Agentur mit Bartsch geredet hat, der sich zwar mit Äußerungen zurückhält, aber den Fragenden sicherlich über den tatsächlichen Ablauf aufgeklärt hat, wenn das nötig gewesen sein sollte. Später in der Nacht zum Donnerstag bringt die Agentur noch kommentarlos die Zitate von Wagenknecht-Kritikern, die die Mediengruppe-Funke eingesammelt hat.

 AFP trägt die Umdeutungskampagne in die Breite

Am Morgen des Donnerstag kommt die Nachrichtenagentur AFP mit ihrer Geschichte. Sie geht es ganz anders an als DPA. „Widerstand gegen Spitzenkandidatur von Wagenknecht und Bartsch bei Bundestagswahl“ heißt der Titel und der Untertitel: “ Brandenburger Landeschef spricht von ‚Selbstkrönung.'“ Wagenknecht und Bartsch hätten nach Medienberichten die Spitzenkandidatur für sich reklamiert, heißt es zur Unterfütterung des Selbstkrönungsvorwurfs und am Ende, nach dem Defilee kritischer Zitate aus den Medien der Funke-Gruppe und anderen: „Ursprünglich wollte die Linke erst im Januar entscheiden, wer bei der Bundestagswahl in der ersten Reihe antritt.“

Auch wenn es nicht ausdrücklich gesagt wird, läuft alles an dem Agentur-Artikel auf die falsche Schlussfolgerung hinaus, dass Wagenknecht und Bartsch die Initiative ergriffen und vorzeitig die Spitzenkandidatur reklamiert haben. Und genau so findet diese verzerrte Darstellung der Ereignisse Eingang in eine Vielzahl von Medien, die nicht selber recherchieren, bis hin zur Zeitung Junge Welt, die der Linkspartei sehr nahe steht. Diese erzählt die gleiche falsche Geschichte; im Wesentlichen aus dritter Hand, gestützt auf eine AFP-Meldung, die sich wiederum auf „Medienberichte“ stützt, sowie auf eine einzige eigene ungenannte wagenknechtkritische Quelle. Selbst diese Zeitung hat offenbar keinen Draht zu Wagenknecht oder Bartsch, um die Gegenseite zu hören. Zeit.de betitelt ein agenturgestütztes Stück mit den einseitigen Zitaten der Wagenknecht-Kritiker aus den Funke-Medien sogar mit „Linkspartei empört über Wagenknechts Selbstkrönung“, als wäre die ganze Partei in Aufruhr und empört, und nicht einige Funktionäre aus dem Kipping-Lager.

Spiegel Online legt nach

 In einem am Donnerstagnachmittag auf Spiegel Online veröffentlichten, in kommentierendem Ton verfassten Beitrag mit dem Titel „Macht oder nichts“ lässt Kevin Hagen die Leser immerhin wissen, dass Kipping selbst das Thema Spitzenkandidatur „als Tagesordnungspunkt drei“ aufgerufen habe. Obwohl das in Gegensatz zur Darstellung in Meissners Stück auf Tagesspiegel.de und Zeit.de steht, schafft es Hagen unbekümmert, genau den gleichen Tenor über eine angebliche Selbstkrönung auszubreiten. Damit das funktioniert, will Hagen es offenbar nicht übertreiben, mit der Transparenz. Dass Kipping verschiedene Varianten vorgeschlagen hat, alle mit Sahra W. als Kandidatin, lässt er seine Leser wohlweislich nicht wissen, denn das würde ja den schönen Überrumpelungs- und Selbstkrönungstenor stören. Der ist ohnehin etwas wackelig, wo doch der Autor im hinteren Teil des Stücks einräumen muss, dass Wagenknecht schon lange als Spitzenkandidaten unbestritten gesetzt sei. Ein Indiz, dass der Autor wie von journalistischen Grundsätzen gefordert, beide Seiten gehört hat, gibt es nicht.

Einsamer Lichtfleck im Mediendunkel

Nur Neues Deutschland fragt (neben DPA) erkennbar bei Bartsch nach und zitiert sogar dessen (korrekte) Darstellung des Vorgefallenen. Der Artikel ist neben dem der Agentur DPA, der einzige, den ich gefunden habe, der journalistischen Basisanforderungen genügt. Nicht nur fragt Chefredakteur Strohschneider die Gegenseite in dem Konflikt und stellt auch deren Sicht des Ablaufs dar. Trotz erkennbarer Sympathien für die Position der Kritiker zitiert er auch ein paar Unterstützer und versucht, die Gemengelage einigermaßen objektiv darzustellen. Und in der Überschrift hat bei ihm die „Selbstkrönung“ immerhin ein Fragezeichen.

Zwischenresümee

Die zum Teil aktive, zum Teil passive Beteiligung an dieser Umdeutungskampagne ist alles andere als ein Ruhmesblatt für den deutschen Journalismus.

Das Personal des linken Intrigantenstadels

Wer die Strippenzieher hinter dieser gut geplanten Umdeutungskampagne sind, kann man nur vermuten. Aber einige (Des-)Informanten lassen sich immerhin zitieren. Katja Kipping wird im Tagesspiegel-Artikel und von AFP zitiert mit Kritik am angeblichen Vorstoß von Wagenknecht und Bartsch und den Worten: „Fakt ist, das entscheidet bei uns die Partei.“ Man habe die beiden Bewerbungen zur Kenntnis genommen. Nur im Kontext des verfälschenden Tenors, in dem die Medienberichte abgefasst waren, wirkt diese Kritik schlüssig. Die Leser dieser irreführenden Stücke müssen ja denken, Kipping  kritisiere eine ungefragte Eigenbewerbung von Wagenknecht und Bartsch. Aber Kipping war ja dabei und weiß, dass das so nicht stimmt. Für korrekt informierte Leser, die wüssten, dass Kipping selbst nur  Varianten mit Wagenknecht als Kandidatin vorgeschlagen hatte, würde ihre Kritik ziemlich abstrus erscheinen. Beworben als Mitkandidatin hat eher sie sich. Wagenknecht ist ohnehin schon lange gesetzt. Das nährt stark den Verdacht, dass Kipping den verfälschten Kontext kannte, in den ihre Bemerkungen gestellt werden würden. Bei den anderen in den Medien zitierten Kritikern, muss man sich ebenfalls fragen, warum sie die fragenden Journalisten nicht darauf hingewiesen haben, dass Kipping selbst Wagenknecht in verschiedenen Varianten vorgeschlagen hat.  

So kritisierte Brandenburgs Linke-Chef Christian Görke gegenüber der Funke-Gruppe Wagenknecht und Bartsch mit den Worten: „Selbstkrönungen von Spitzenkandidaten sind weder gefragt noch zu diesem frühen Zeitpunkt hilfreich.“ Die Thüringer Linke-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow sagte der Zeitungsgruppe, dass der Parteivorstand das Vorschlagsrecht für die Spitzenkandidatur habe und warb für die Vierer-Lösung. Auf Twitter kommentiert sie zustimmend den irreführenden Tweet Meisners: „Sahra #Wagenknecht überrumpelt @dieLinke – und beansprucht die Spitzenkandidatur bei der #btw17 für sich.“ Die hessische Landtagsfraktionschefin Janine Wissler meinte: „Die Parteivorsitzenden haben das Vorschlagsrecht für die Spitzenkandidatur – und das ist gut so.“

Doch niemand hat dem Vorstand oder den Vorsitzenden das Recht genommen, jemand vorzuschlagen. Kipping hat das in der Sitzung am 26.September ja als Erste getan und sich in zwei Varianten selbst vorgeschlagen, jeweils in Verbindung mit dem Zugpferd Wagenknecht. Notdürftig rechtfertigen könnten die vier ihre sonderbare Kritik nur, wenn sie der Meinung wären, von Vorstand oder Vorsitzenden vorgeschlagene Kandidaten hätten kein Recht, darüber mitzudiskutieren und vor allem, kein Recht auf eine ihnen angetragene Kandidatur zu verzichten.

Auch Fraktions- und Parteivize Caren Lay fordert eher unpassend: „Die Entscheidung darüber, wer Spitzenkandidat wird, liegt bei der Partei.“ Ob damit gemeint ist, dass eine ausgesuchte Kandidatin nicht einmal gefragt werden müsse, ob sie will, ließ auch sie offen. Der bayerische Linke-Chef Ates Gürpinar betonte, dass Inhalt Vorrang haben solle. „Wir sollten erst über Themen reden – und dann die Personalentscheidungen fällen“, sagte er, um sich dann gleich selbst zu widersprechen und für die Viererlösung mit Kipping zu werben.Gürpinar erklärt den scheinbaren Widerspruch auf Anfrage so: „Die Personalvorschläge standen bereits im Raum, deshalb musste ich auf sie eingehen. Ich habe sie jedoch anhand von Inhalten hergeleitet.“

Geringe Auskunftsfreude

Ich habe die (offenen) Wagenknecht Kritiker Kipping, Görke, Hennig-Wellsow, Ley und Gürpinar gefragt, wodurch sie konkret das Vorschlagsrecht der Parteiführung angegriffen sehen und woher der Vorwurf der Selbstkrönung von Frau Wagenknecht rührt, wo doch die Parteiführung in Person von Frau Kipping ihre Vorschläge gemacht hat, und diese allesamt Wagenknecht als Spitzenkandidatin vorsahen. Außerdem fragte ich, ob sie einer von der Parteiführung ausgesuchten Kandidatin das Recht zubilligen würden abzulehnen. Bis Dienstagnacht nahm nur Ates Gürpinar Stellung. Natürlich habe jedes Mitglied das Recht, ein Kandidatur abzulehnen, schrieb er, allerdings habe er Wagenknecht am 26. September gebeten, auch für andere als ihre präferierte Option offen zu sein.

Ich fragte Kipping, ob es nicht eine irreführende Kommentierung sei zu sagen, man habe die Bewerbungen von Wagenknecht und Bartsch zur Kenntnis genommen, ob es sich nicht eher um eine Bewerbung durch Kipping gehandelt habe, da Kipping ja lauter Varianten mit Wagenknecht als Kandidatin vorgeschlagen habe. Anderen Kritikern stellte ich ähnliche Fragen. Es kam bis Dienstagnacht keine Antwort.

Dasselbe gilt für meine Frage, ob Kipping und den anderen Kritikern (bei Gürpinar nicht einschlägig) bewusst gewesen sei, in welchen verzerrten Kontext ihre Kommentare gestellt werden würden, und warum sie die fragenden Journalisten nicht darauf hingewiesen haben, dass Kipping das Thema aufgeworfen und verschiedene Vorschläge mit Wagenknecht als Kandidatin unterbreitet hat.

Hennig-Wellsow fragte ich, ob Kritik am Vorpreschen Wagenknechts bei der Beanspruchung der Bundestagskandidatur, die sie verbreitet hat, nicht die Öffentlichkeit irreführe, dass es dieses Vorpreschen ja gar nicht gegeben habe. Es kam kein Antwort.

Wagenknecht antwortete auf eine Bitte um Stellungnahme, sie wolle diese unselige Diskussion nicht noch weiter anheizen.

Die Anfragen im Einzelnen sind hier dokumentiert.

Kampagnenbegleitende Unterschriftensammlung

Parallel zu den diversen über die Medien verteilten irreführenden Darstellungen und Kommentierungen des Vorgefallenen, sammelten die Kipping-Unterstützer Unterschriften für ein Papier, in dem sie mit viel antirassistischer Rhetorik für das Vierergespann werben. Antirassismus ist eine Kernkompetenz von Kipping. Das am Donnerstag geleakte Papier, das 30 Unterschriften trägt, bildete die Basis für den zweiten Spiegelartikel am gleichen Tag und für weitere Berichte, wonach sich in der Partei Widerstand gegen die freche Wagenknecht forme, nachdem die angeblichen Vorgänge von Montag an die Öffentlichkeit gedrungen sind.

Gürpinar, einer der Mitunterzeichner, bestätigte auf Anfrage, dass das Papier wohl in Zusammenhang mit der Medienberichterstattung stehe. Jedenfalls habe er es erst nach der Berichterstattung in den Medien erhalten und unterschrieben. Wer die Federführung hatte, konnte oder wollte er nicht beantworten.

Ergebnis der Spurensuche

Für mich stellt sich die Sache so dar. Es gibt – völlig legitim – eine starke Fraktion innerhalb der linken Funktionärsriege, die die Ambitionen von Parteichefin Katja Kipping unterstützt, neben Wagenknecht Spitzenkandidatin zu werden. Kippings Hauptproblem ist, dass sie eine umtriebige Gegenspielerin von Sahra Wagenknecht ist, die deshalb wohl keine große Neigung verspürt mit Kipping zusammengeschirrt zu werden. Da Wagenknecht jedoch sehr viel populärer und redegewandter ist als Kipping, braucht Kipping ihre Gegnerin als Zugpferd. Also schickte sie auf der Sitzung mit den Landessprechern am 26. September verschiedene Varianten Wagenknecht/Kipping plus x ins Rennen. Die Ablehnung von Wagenknecht und Bartsch gegen diesen Selbstkrönungsversuch Kippings deutete das Kipping-Lager dann – gar nicht mehr legitim – mithilfe willfähriger Journalisten um in einen Überrumpelungsversuch von Wagenknecht und Bartsch.

 Ziel dieser Desinformationskampagne dürfte es sein, Wagenknecht zu schwächen und auf einen Mitgliedsentscheid zuzusteuern, bei dem die Parteimitglieder über Einzelpersonen statt Spitzenteams abzustimmen haben. Dann wählen die durch verzerrte Information entsprechend eingestimmten Mitglieder vielleicht Kipping hinter Wagenknecht auf Platz zwei.

Änderungshinweis (13.10): Irrtümlich stand der Satz: „Auf Twitter kommentierte sie zustimmend den irreführenden Tweet Meissners …“ in der ersten Fassung hinter einer Stellungnahme von Janine Wissler. Tatsächlich war es nicht Wissler, sondern die einen Satz vorher zitierte Susanne Hennig-Welsow, die Meissners Tweet zustimmend kommentierte. Dies ist nun korrigiert. Der Link führte schon in der ersten Fassung zum Tweet von Susanne Hennig. Eine Falschschreibung des Namens Meisner habe ich ebenfalls korrigiert.

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