Nehmen wir an, es gäbe eine Finanzoligarchie, die dank ihrer riesigen Gewinne über großen politischen Einfluss verfügt. Nehmen wir weiter an, eine solche Finanzoligarchie habe dank einer von ihr durchgesetzten Deregulierung aller Finanzmärkte ihre Geschäfte massiv ausgeweitet. Doch irgendwann in einer nahen oder fernen Zukunft breche ihr kunstvolles Finanzgebäude in sich zusammen, weil sich nicht mehr verbergen lässt, dass die aufgehäuften Ansprüche an die produzierende Wirtschaft nicht zu erfüllen sind. Wenn das einträte, würden sich die führenden Köpfe der Finanzoligarchie vielleicht daran erinnern, dass die Weltwirtschaftskrise
der 1930er Jahre auf ähnliche Weise entstand. Im Verlauf dieser Krise wurden in den USA Gesetze erlassen, die die Finanzoligarchie entmachteten und ihre Gewinne hoch besteuerten. Es sollte Jahrzehnte dauern, bis sie den Zustand der späten 1920er Jahre wiederhergestellt hatte, mit deregulierten Finanzmärkten und sehr niedrigen Steuern auch auf riesige Einkommen und Vermögen.
Die angenommene Finanzoligarchie würde sich dann vielleicht darauf besinnen, dass die Wirtschaftswissenschaft ihre wichtigste und einflussreichste Hilfswissenschaft zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung ist. Um einen erneuten Machtverlust wie damals zu verhindern, würde sie sicherstellen wollen, dass die Wirtschaftswissenschaft weiterhin ihre Rolle spielt. Dazu gehört, die Nützlichkeit wenig regulierter Finanzmärkte nicht grundsätzlich in Frage zu stellen, die Rolle des Geldes und der Finanzoligarchie zu verschleiern und herunterzuspielen und Machtaspekte generell mit einem Tabu zu belegen.
Doch die etablierte Wirtschaftswissenschaft wird durch die Krise des Finanzwesens selbst in eine Glaubwürdigkeitskrise geraten sein. Allzu offensichtlich wird sein, dass sie sich mit den Interessen der Finanzoligarchie gemein gemacht und ihrem Auftrag nicht gerecht geworden ist, den Wohlstand aller zu fördern und wirtschaftliche Katastrophen abzuwenden. Die Studenten werden den Lehrbüchern und ihren Professoren nicht mehr ohne weiteres glauben. Nachwuchswissenschaftler, die noch nicht zu sehr in den alten untauglichen, aber für die Finanzoligarchie sehr nützlichen Theorien und Methoden gefangen sind, werden sich der Frage zuwenden, wie man die Finanzbranche dem Gemeinwohl unterwerfen kann. Das könnte die Fachmeinung und die breite öffentliche Meinung sehr zu Ungunsten der Interessen der Finanzoligarchie beeinflussen. Es wird daher wichtig sein, die klügsten und einflussreichsten Vertreter von Reforminitiativen frühzeitig zu identifizieren und zu neutralisieren.
Den größten Einfluss auf eine Bewegung hat man, wenn man sich an ihre Spitze setzt. Dazu braucht man Geld, Ansehen und Glaubwürdigkeit. Geld hat die angenommene Finanzoligarchie im Überfluss. Sie hat auch viele Vertreter, die aufgrund ihres finanziellen Erfolges großes Ansehen genießen. Der Knackpunkt wird die Glaubwürdigkeit sein. Sie wird einen Vertreter brauchen, der die Deregulierung der Finanzbranche und die hergebrachte Wirtschaftswissenschaft kritisiert und dem man das abnimmt. Das ist relativ leicht zu erreichen, denn das Versagen der Wirtschaftswissenschaft und die verheerenden Wirkungen der Deregulierung werden so offensichtlich sein, dass jeder Insider, der das offen ausspricht, ein hohes Maß an Respekt und Glaubwürdigkeit in der breiten Öffentlichkeit erreicht, ohne ihr etwas zu verraten, was sie nicht ohnehin schon wüsste.
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Nachdem der ausgewählte Vertreter der Finanzoligarchie mit seinen kritischen Thesen einige Monate die Medien durchdrungen und so Glaubwürdigkeit erzielt hat, sollte er ein Institut gründen, das sich der Erneuerung der Wirtschaftswissenschaften verschreibt. Dieses Institut sollte sehr viel Geld bekommen, jedenfalls relativ zu dem, was ansonsten für solche Initiativen zur Verfügung steht. Relativ zu den Jahresgewinnen der Finanzoligarchen wären die nötigen Beträge vernachlässigbar.
Wenn die Finanzoligarchie sich zu so etwas durchringen kann hat sie schon fast die Deutungshoheit darüber erlangt, welchen neuen Methoden und Theorien zukunftsfähig sind und welche als Spinnereinen zu ignorieren sind. Sie könnte sicherstellen, dass nur neue Gedanken sich durchsetzen, die die Macht der Finanzoligarchie nicht bedrohen.
Sie bräuchte dafür allerdings etwas Geduld. Denn zunächst müsste das Institut seine Glaubwürdigkeit ausbauen. Es sollte Leute einstellen, denen die Reform der Wirtschaftswissenschaft ein ehrliches Anliegen ist, denn es ist auf Dauer schwer, das glaubwürdig zu heucheln. Zu Anfang sollte es auch großzügig die profiliertesten wissenschaftlichen Kritiker des Status quo fördern. Deren Glaubwürdigkeit wird sich dadurch auf das Institut übertragen.
Ein zweiter Schwerpunkt müsste es sein, die Besten unter den kritischen Studenten und Jungwissenschaftlern zu identifizieren. Dazu bieten sich attraktive Konferenzen mit den renommiertesten Vertretern des Fachs an, für deren Teilnahme sich die kritische Nachwuchselite bewerben kann. Diese muss also nicht mühsam vor Ort gefunden werden, sondern wird mit großen Honigtöpfen angelockt. Die Bewerber selbst schreiben detailliert auf, was ihre Aktivitäten, Beweggründe und Ziele sind, und liefern Arbeitsproben und persönliche Informationen, die es erlauben, ihr Potential abzuschätzen, den Interessen der Finanzoligarchie zu schaden oder dienlich zu sein. Dazu muss der Honig natürlich hinreichend süß sein. Die jungen Ökonomen sollten einen ersten Geschmack davon bekommen, wie es sich anfühlt, hofiert zu werden und mit wichtigen Menschen zu verkehren. Die Veranstaltungen sollten hochkarätiger und pompöser sein, als alles, was sie sonst kennen. Das erleichtert gleichzeitig die Medienarbeit.
Neben den vielversprechendsten kritischen Jungökonomen sollten zu solchen Veranstaltungen auch Vertreter von Organisationen eingeladen werden, die sich für die Reform der Forschung und Lehre in der Wirtschaftswissenschaft einsetzen. Das schafft ein gutes Klima und erlaubt es, deren Potentiale und Beweggründe abzuschätzen. Um zu vermeiden, dass diese potentiell gefährlichen, konkurrierenden Organisationen unnötig aufgewertet werden, sollte jedoch darauf geachtet werden, dass deren Vertreter strikt nur als Wissenschaftler eingeladen werden, nicht als Vertreter ihrer Organisation. Eine nennenswerte finanzielle Förderung konkurrierenden Organisationen ist als kontraproduktiv zu vermeiden. Die Aufmerksamkeit und die Förderung sollten sich auf Individuen konzentrieren.
Nachdem das Institut sich erfolgreich an der Spitze der Bewegung etabliert hat, müsste möglichst unmerklich die nächste Stufe starten: die Neutralisierung der identifizierten Gefahrenherde.
Dazu würde gehören, die wichtigsten Vertreter der kritischen Strömungen allmählich zu marginalisieren. Einladungen zu den mondänen Treffen und neue Fördergelder sollten zunehmend nur noch an Wissenschaftler gehen, deren Kritik entweder harmlos ist, oder die gar auf neue, originelle Weise den Status quo rechtfertigen. Nach einer Weile sind die Kritiker dann noch stärker marginalisiert als sie es vorher waren. Jetzt werden sie nicht nur vom Mainstream ignoriert, sondern gehören nicht einmal mehr der vom Institut definierten ersten Reihe der Kritiker oder Reformer an.
Unter den Jungwissenschaftlern hat man bis dahin die High Potential identifiziert. Diesen werden Gelegenheiten zu einer exzellenten internationalen Ausbildung und Karriere geboten. Durch die Anforderungen dieser Laufbahn und die Verlockungen der Karriere und des Ruhms werden sie domestiziert.
Verbleibende Graswurzelinitiativen an den Universitäten können bei Bedarf dadurch ausgebremst werden, dass das Institut diesen die potentiellen Mitglieder abgräbt. Eine vielversprechende Methode wäre es, engagierte Jungökonomen für das Institut lokale Stützpunkte aufbauen zu lassen und dort Mitglieder für eine Nachwuchsorganisation zu werben, und zwar bevorzugt an Hochschulen und in Regionen, wo die Graßwurzelinitiativen stark sind.
Mit der so skizzierten Strategie sollte sich sicherstellen lassen, dass es auch nach einer schweren Finanzkrise keine breite Bewegung zur Reform der ökonomischen Forschung und Lehre geben wird, und entsprechend keine wissenschaftliche Basis für eine grundlegend andere Regulierung der Finanzbranche. Denn wer sollte diese ausarbeiten, wenn die Etablierten Ökonomen ebenso wie die sichtbarsten „Reformer“ nur Varianten der alten Lehren vertreten.
Wird dieses trojanische Pferd tatsächlich gebaut?
Die oben als hypothetisch eingeführte Finanzkrise ist eingetreten. Kaum jemand wird auch daran zweifeln, dass es eine mächtige internationale Finanzelite mit extrem tiefen Taschen gibt. Die Frage ist, ob sie so etwas wie die oben skizzierte Strategie zur Sicherung der fortgesetzten Kooperation des ökonomischen Mainstream verfolgt.
Es gibt einen berühmten, extremreichen Hedgefonds-Manager namens George Soros, der sich als Kritiker des ökonomischen Mainstream hervorgetan und diesem eine Mitschuld an der Finanzkrise zugewiesen. Er hat das Institute for New Economic Thinking gegründet und mit 50 Millionen Dollar ausgestattet. Andere Mitglieder der Finanzelite, darunter David Rockefeller, die Carnegie Corporation und der frühere US-Notenbankchef Paul Volcker haben diese Mittel noch auf ein Mehrfaches aufgestockt.
Das sagt allerdings noch nichts über die Intention aus, ebenso wenig wie die unmittelbar folgenden Kriterien, die nicht zu unterscheiden erlauben zwischen einem raffinierten Plan zur Vereitelung grundlegenden Wandels und einem ehrlichen Bestreben, den Wandel zu fördern.
Das Institut hält seit 2010 jährliche Konferenzen ab, bisher in Cambridge, England, Bretton Woods, Berlin und Hong Kong. Im April 2014 tagt es in Toronto. Daran nehmen regelmäßig die etablierten Größen des Fachs teils, jedes Mal auch mehrere Träger des renommierten Nobel-Gedächtnispreises der Bank von Schweden. Die wichtigsten Vertreter kritischer Schulen waren in der Regel zu mindestens einem der Treffen eingeladen, daneben auch führende Vertreter kritischer Organisationen wie der World Economics Association, welcher ich angehöre.
Es gibt eine Young Scholar Initiative des Instituts. Junge Wissenschaftler und Studenten können sich zur Teilnahme an den mondänen Konferenzen bewerben, die jeweils in einem der besten großen Hotels am Ort stattfinden. Für die Auserwählten gibt es außerdem eine Vorkonferenz mit Minikursen von hochkarätigen Wissenschaftlern und der Möglichkeit, eigene Arbeiten zu präsentieren.
Das Institut fördert Forschungsprojekte, die der Institutszielsetzung entsprechen. Zu den Begünstigten der ersten Jahre gehörten viele renommierte Kritiker des ökonomischen Mainstream und der Deregulierung der Finanzbranche, wie zum Beispiel der australische Wissenschaftler Steve Keen.
Ein Indiz für eine nicht 100% konstruktive Haltung des Instituts könnte die Politik gegenüber unabhängig operierenden Reforminitiativen sein, seien sie von Studenten und Nachwuchswissenschaftlern oder von kritischen Professoren gegründet. Diese sind meist finanziell schlecht ausgestattet. Das Institut gewährt für die Projekte dieser unabhängigen Initiativen jedoch nach meiner Kenntnis kaum je nennenswerte finanzielle Unterstützung, ist aber oft durchaus bereit Präsenz zu zeigen und Mittel einzusetzen, um mit dem INET assoziierte Hochkaräter zur Teilnahme zu bewegen.
Wenn das INET wirklich als Instrument gedacht wäre, um gefährliche Reformideen, Reformer und Initiativen zu kontrollieren und domestizieren, dann sollte das über die nächsten (wenigen) Jahre erkennbar werden. Die Reputation ist da. Nun müsste die Marginalisierung der gefährlichen Elemente und die Neutralisierung gefährlicher Initiativen ernsthaft in Angriff genommen werden.
Interessante Fragen in diesem Zusammenhang sind: Driftet die Teilnehmerschaft der Jahrestreffen und die Auswahl dermit Projektstipendien geförderten Wissenschaftler Richtung Mainstream und Richtung weniger radikale Erneuerer? Fördert das Institut Grasswurzelbewegungen an den Universitäten zur Reform der Forschung und Lehre, oder gräbt sie diesen das Wasser ab? Kenner der Szene sollten auch beobachten, was aus den jungen Hoffnungsträgern der Reformbewegung wird, nachdem sie in engen Kontakt zum Institut getreten sind. Nimmt ihr Reformeifer zu, oder wenden sie sich stärker ihrer wissenschaftlichen und sonstigen Karriere zu? Das sind die Kernfragen um zu beurteilen, ob es eher in Richtung Absicherung des Status Quo oder in Richtung Reform geht.
Deutlich zu sehen ist, dass das Institut die Bewegung die es fördert unter Kontrolle haben möchte. Auf der Website des INET heißt es zum Förderprogramm für studentische Veranstaltungen, dass diese der Konversation zwischen den neuen ökonomischen Denkern der Zukunft und denen der Gegenwart dienen sollten. Letztere sind definiert als Empfänger von INET-Forschungsstipendien und andere Mitglieder des Institutsgemeinschaft. Die Studenten müssen die Unterstützung ihrer Universität dokumentieren und mindestens ein Fakultätsmitglied muss an der Veranstaltung beteiligt sein. Das sollte die radikaleren Reformer recht zuverlässig ausschließen. Für die anderen gibt es die Chance auf bis zu 5000 Dollar, „bevorzugt weniger“.
Nach meinen Gesprächen mit Vertretern von unabhängigen reformorientierten Gruppen von Studenten, Jungforschern und Ökonomie-Professoren in Deutschland gelingt es solchen Gruppen kaum je, nennenswerte finanzielle Unterstützung von INET zu erhalten.
Von der 2011 gegründeten World Economics Association (WEA) wurden 2013 einige führende Mitglieder (darunter der Autor) zur INET-Jahrestagung nach Hong Kong eingeladen. Sie bekamen dort Gelegenheit ihre individuellen Forschungsergebnisse zu präsentieren. Die WEA hat weltweit über 12.000 Mitglieder, verlegt drei Online-Fachzeitschriften und veranstaltet Online-Konferenzen. Sie hat sich der Förderung des inhaltlichen und regionalen Pluralismus in der Ökonomie verschrieben. Gespräche über eine finanzielle Unterstützung der WEA oder von WEA-Initiativen durch das INET blieben ergebnislos.
Wie entwickelt sich die INET-Projektförderung? Die Fördersumme ging von jeweils rund sieben Millionen Dollar 2010 und 2011 über 2,7 Millionen Dollar 2012 und 2,1 Millionen Dollar 2013 recht steil nach unten. In den ersten beiden Jahren wurden viele weit vom Mainstream abweichende Forscher und Projekte gefördert. Dagegen liest sich die Liste der 2013 geförderten Forschungsvorhaben ein bisschen wie eine Kombination der Inhaltsverzeichnisse einer wirtschaftshistorischen und einer besseren ökonomischen Fachzeitschrift.
Die ersten sieben Einträge aus der Liste der 2013 geförderten Forschungsprojekte sind:
- Planning Peace: Development Policies in Postwar Europe
- Environment and Dynamics of Regional Innovation
- Becoming “applied,” becoming relevant? Three case studies on the transformation of economics since the mid-sixties
- The Value of Political Connections in Fascist Italy — Stock Market Returns and Corporate Networks
- Safe Assets and the Evolution of Financial Information
- Economics, Psychology and the Joyless Economy: The Biography of Tibor Scitovsky
- Financially Constrained Arbitrage and Cross-Market Contagion
Das Programm der INET-Jahrestagungen, einschließlich der von 2014 in Toronto ist hier zu finden: https://ineteconomics.org/sites/inet.civicactions.net/files/institute_cigi_toronto%202014_PROGRAM_3.3.pdf
Dort kann der interessierte Leser feststellen, ob es eine Tendenz Richtung Mainstream gibt. Da von Beginn an viele der bekanntesten Ökonomen weltweit und Vertreter der Finanzbranche und der Politik dort vortrugen, ist es nicht leicht, eine solche Tendenz mit einem schnellen Blick festzustellen. Mein eigener Eindruck ist, dass es sie gibt.
Resümee
Die Entstehungsgeschichte und das bisherige Wirken des von George Soros und anderen Mitgliedern der Finanzelite gegründete Institute for New Economic Thinking ist kompatibel mit der Hypothese, dass es eine Einrichtung ist, mit der die internationale Finanzoligarchie sich die Kontrolle über die Bewegung zur Reform der Wirtschaftswissenschaften sichern will. Mit gewissen Abstrichen ist sie aber auch kompatibel mit der Gegenhypothese, dass das INET diese Reform im Sinne des Gemeinwohls vorantreiben will. Die Förderpolitik des Instituts und eine deutliche Tendenz in Richtung immer mainstreamnäherer Forschung, die der Autor zu erkennen glaubt, lassen eine intensive und skeptische Beobachtung angeraten erscheinen.
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