Wirtschaftsprofessoren als heimliche Lobbyisten der Versicherungsbranche

Professor Axel Börsch-Supan blickt auf eine lange Karriere als ein mit Geldern der Versicherungswirtschaft „forschender“ Ökonom zurück. Nun durfte er in der Süddeutschen Zeitung zusammen mit einem Kollegen fast ganzseitig „Die fünf großen Irrtümer der Rentendebatte“ entlarven, wie üblich ohne Hinweis auf seine Beziehungen zur Versicherungsbranche. Die FAZ assistiert mit einer windigen Modellrechnung der Arbeitgeber.

Angeblich gibt es in der Rentendebatte fünf große Irrtümer. In einem langen Beitrag, in der Süddeutschen in der Papierausgabe (23.7.) und online erschienen,  gab Professor Axel Börsch-Supan vor, diese zu entkräften, und entlarvte sich dabei wieder einmal als Lobbyist der Versicherungsbranche. (Sein Ko-Autor, der Konstanzer Professor Friedrich Breyer, hat  im Internet sehr wenig über seinen Lebenslauf veröffentlicht. Wir wollen ihn daher mal außen vor lassen.)

Bevor wir uns den Beziehungen des Professor Börsch-Supan zur Versicherungsbranche widmen, die den Lesern vorenthalten werden, wollen wir erst einmal seine über die Maßen schwache Argumentation unter die Lupe nehmen. Er selbst nennt sein Elobarat „eine nüchterne Betrachtung der Tatsachen und der ökonomischen Zusammenhänge“. Nun denn.

Erster Irrtum: Die umlagefinanzierte Rentenversicherung hat dem durchschnittlichen Versicherten eine ordentliche positive Rendite (von etwa drei Prozent im Jahr) beschert, während die Kapitalrendite gegen null tendiert. Damit ist das bestehende Umlagesystem der Kapitaldeckung überlegen, und jegliche Versuche, es zugunsten einer kapitalgedeckten Zusatzversorgung à la Riester einzuschränken, für die Bürger ein Verlustgeschäft.“

Die unhandlich lange Formulierung des vermeintlichen Irrtums ist kein Zufall, musste er ihn doch mit Details ausschmücken, um etwas zum Widerlegen zu haben. Das prägnante und viel eher der allgemeinen Wahrnehmung entsprechende: „Die Riester-Rente war in fast jeder Hinsicht ein Flop“, wäre zu schwer zu widerlegen, und noch dazu besonders peinlich, da Börsch-Supan zu den großen Propagandisten der privaten Vorsorge gehört hat und gehört. Stattdessen wird ungenannten Personen ein sehr spezifischer Irrtum hinsichtlich der Rendite der staatlichen Rente angedichtet. Auf die Riester-Rente und deren nicht gehaltene Versprechungen kann er so gänzlich vermeiden einzugehen, ohne dass es allzu offensichtlich ist.

Den vermeintlichen Irrtum führt er auf einen doppelten Rechenfehler zurück. Weder bestünden alle Einnahmen der Rentenversicherung aus Beiträgen, noch seien alle Ausgaben Rentenzahlungen. Er behauptet, die beiden „Fehler“ addierten sich, dabei heben sie sich gegenseitig auf. Die Rentenversicherung bekommt Zuschüsse aus dem Steueraufkommen, weil sie auch versicherungsfremde Leistungen erbringt.  Soweit sich das gegenseitig aufhebt, beeinträchtigt es den Vergleich von Beitragszahlungen und Altersrente nicht.

Zweiter Irrtum: Durch den Nachhaltigkeitsfaktor sinkt das Rentenniveau in den nächsten Jahrzehnten so stark, dass die Rente für eine großen Anteil der Rentner unter das Grundsicherungsniveau fällt. Damit verliert sie ihre Akzeptanz in der Bevölkerung.“

Der Denkfehler liege darin, dass das Verhältnis von Renten zu Löhnen, nichts über die Kaufkraft der Renten aussage. Der Nachhaltigkeitsfaktor bewirke lediglich, dass die Renten um ungefähr einen halben Prozentpunkt weniger schnell wachsen als die Löhne. Da aber die Löhne erwartbar um mehr als ein halbes Prozent pro Jahr stiegen, würden sich spätere Rentner mit großer Sicherheit mehr von ihrer Rente leisten können als heutige Rentner.

Die Argumentation ist grob irreführend und Börsch-Supan und sein Ko-Autor müssen das wissen. Die Grundsicherung sichert nicht das bare physische Überleben, sondern die würdige Teilhabe am sozialen Leben. Damit ist die Grundsicherung relativ und muss deshalb immer wieder an das allgemeine Lohnniveau angepasst werden. Der zweite Irrtum ist damit alles andere als widerlegt. Er ist kein Irrtum.  

Dritter Irrtum: Dadurch, dass die „Babyboomer“ der 1960er-Jahre demnächst in den Ruhestand gehen, bricht für die Rentenversicherung eine schwierige Phase an. Von 2040 an wird sich die Situation der Rentenversicherung wieder entspannen.“

Keine Ahnung, wer das behauptet hat. Als verbreitete Meinung ist es mir nicht begegnet. Es wirkt auf mich wie ein Strohmann, auf den man gefahrlos einschlagen kann. Und man kann am Ende die Kernaussage unterbringen, dass die Renten unbedingt sinken müssen oder die Lebensarbeitszeit steigen.

Vierter Irrtum: Junge Beitragszahler sind zu Recht skeptisch gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung, weil sie selbst nicht mehr mit ausreichenden Renten rechnen können.“

Die Antwort ist fast bizarr: „Die heute 25- bis 35-Jährigen sollten nicht klagen, sondern darüber nachdenken, ob es nicht besser ist, mehr Kinder zu haben als ihre Eltern.“ Hier wird die Moralkeule hervorgeholt, um Kritik zu desavouieren. Dabei wird selbst Börsch-Supan kaum behaupten wollen, dass es sich auf individueller Ebene materiell lohnt, Kinder zu bekommen. Wer sich diesen Luxus nicht leistet, kann erheblich mehr konsumieren und fürs Alter zurücklegen.

Fünfter Irrtum: Da die deutsche Bevölkerung altert, sollten wir für die Flüchtlingswelle dankbar sein, denn nur Zuwanderung kann einen massiven Anstieg des Beitragssatzes zur Rentenversicherung verhindern.“

Hier wäre wieder interessant, wer diesem angeblichen Irrtum noch aufsitzt. Ich kenne niemand. Wenn es den Irrtum zu Anfang der Flüchtlingswelle gegeben haben mag, so sollten ihn vielfältige Berichte über das geringe durchschnittliche Qualifikationsniveau der Flüchtlinge schon lange ausgeräumt haben.

Im Abspann des Artikels erfährt man: „Axel Börsch-Supan ist Direktor des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik München, Friedrich Breyer ist Professor am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialpolitik der Uni Konstanz.“

Sein Amt als Direktor des Max-Planck-Instituts verdankt Börsch-Supan der Eingliederung seines auf Initiative und mit dem Geld der Versicherungsbranche gegründeten Instituts MEA, das er von Mannheim nach München transferierte. Über dessen Entstehung schreibt ein dankbarer Börsch-Supan in einer Jubiläumsschrift, als einer der „weitsichtigen Sponsoren“ habe der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) neben anderen das Potenzial des Themas demografischer Wandel erkannt, und „in einer innovativen Private Public Partnership die Gründung und das Wachstum des MEA ermöglicht.“

Bei Gründung 2001 stand MEA für „Mannheim Center for the Economics of Aging“, 2011 zog Börsch-Supan mit dem Institut nach München um. Ab da stand M für Munich.  „Die Beibehaltung des Namenskürzels ist programmatisch, denn trotz des Umzugs nach München im Juli 2011 gehen die Forschungsarbeiten des MEA unter dem Dach der Max-Planck-Gesellschaft kontinuierlich weiter“, betonte der Institutsdirektor damals. Waren Vertreter der Versicherungswirtschaft im Vorstand des Mannheimer MEA stark präsent, sind sie es nun im Kuratorium des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik, wo MEA eine von zwei Abteilungen bildet.

Die Ethikregeln von Ökonomenverbänden wie dem Verein für Socialpolitik (VfS) verlangen, „Sachverhalte zu benennen, die auch nur potenziell zu Interessenkonflikten oder Befangenheit des Autors der Autorin führen könnten“. Mir ist noch kein Fachaufsatz oder Zeitungsartikel begegnet, in dem Börsch-Supan seine Beziehungen zur Versicherungsbranche transparent gemacht hätte, was natürlich nicht ausschließt, dass es vielleicht doch irgendwo einen solchen Fall gibt. Börsch-Supans Empfehlungen sind fast immer kompatibel mit den Interessen der Versicherer. Für Kranken- und Rentenversicherer bedeutet eine längere Lebensarbeitszeit, dass sie höhere Beiträge einnehmen. Börsch-Supan war Mitglied der Rürup-Kommission, auf die der Nachhaltigkeitsfaktor zum Bremsen von Rentenerhöhungen und die Rente mit 67 zurückgehen. Seit Februar 2015 ist er Vize-Aufsichtsratschef der Pioneer Investments Kapitalanlagegesellschaft.

Die Frankfurter Allgemeine assistiert am 26. Juli mit einer aktuellen „Modellrechnung“ des arbeitgeberfinanzierten Institut der deutschen Wirtschaft, wonach bis 2041 das Rentenalter auf 73 Jahre steigen müsste, wenn das Rentenniveau und der Rentenbeitragssatz unverändert bleiben sollen. Schon Ende Mai hatte die Zeitung groß über diese (damals) „Studie“ berichtet. aber doppelt hält ja besser. „Das Ergebnis zeige vor allem, dass es faktisch um die Wahl zwischen sinkendem Rentenniveau, höherem Rentenalter und steigender Beitragslast gehe, gibt die Zeitung unwidersprochen die Schlussfolgerung dessen wider, was das Institut selbst ein „Gedankenexperiment“ nennt. „Ein stabiles Rentenniveau bei gleichbleibendem Renteneintrittsalter lässt sich nur zu Lasten der künftigen Erwerbstätigen erreichen“, wird eine IW-Ökonomin zur Verstärkung noch zitiert. Dabei stimmt das alles nur, wenn man alle anderen Reformmöglichkeiten ausschließt oder außer acht lässt, so wie die FAZ und das IW es tun. Wenn man Beamte, Selbständige und Gutverdiener in die staatliche Rentenversicherung einbezöge, so wie Österreich es tut, dann könnte man auch ein sehr viel höheres Rentenniveau ohne exorbitante Beiträge finanzieren, so wie Österreich das tut. Wenn man außerdem noch über althergebrachte, aber aus der Zeit gefallene Errungenschaften wie Hinterbliebenenrente ohne Bedürfnisprüfung nachdenken würde, würde das zusätzlich helfen.

Fazit: So wird routinemäßig das Ansehen der Ökonomen in der Öffentlichkeit als vermeintlich neutrale Sachverständige missbraucht, um Propaganda für die Interessen privater Unternehmen zu machen.

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