24. 07. 2016 | Der ehemalige österreichische Bankvorstand Wolfgang Edelmüller hat in einem Fachaufsatz aufgeschrieben, wie die Notenbanken durch eine sachlogisch konsistente Bilanzierung der Geldbasis ihren Handlungsspielraum deutlich erweitern und die Wirksamkeit ihrer geldpolitischen Maßnahmen erheblich steigern könnten. Das wirft ein schlechtes Licht auf die EZB und auf die Schweizerische Nationalbank.
Edelmüller zeigt in dem Aufsatz „Die verhinderten Möglichkeiten der Geldpolitik“ (Wirtschaft und Gesellschaft, Heft 2, 42. JG, 2016, S. 257-280), dass die derzeitige, allein historisch zu erklärende Bilanzierungspraxis der Zentralbanken der üblichen Bilanzierungslogik widerspricht. Das dient dazu, die Aufdeckung des Geldschöpfungsgewinns mit anschließender Ausschüttung an den Staat zu vermeiden und so das Vermögen zu vermehren, über das allein die Zentralbank verfügen kann, was ihre Macht und Unabhängigkeit gegenüber den Regierungen stärkt.
Dass die Buchung des Banknotenumlaufs als Verbindlichkeit in der Bilanz der EZB ein unsinniger Anachronismus ist, war in diesem Blog schon an verschiedenen Stellen (z.B. hier und hier) zu lesen. Dasselbe gilt für die Buchung der Zentralbankguthaben der Geschäftsbanken als Verbindlichkeit der EZB. Denn für beides haben die Geschäftsbanken nichts von der EZB zu fordern. Sie können nur das eine in das andere umwandeln – so wie man Münzen in Banknoten umtauschen kann, und zurück, ohne dass sich dadurch an der bilanziellen Natur dessen, was man in der Kasse hat, etwas ändert.
Edelmüllers Aufsatz ist jedoch darüber hinaus für alle interessant, die wissen wollen, wie genau die Buchungssätze in einem sachlogisch schlüssigen Buchungssystem aussehen müssten, in dem die Gewinne aus der Geldschöpfung aufgedeckt und ausgeschüttet werden.
Edelmüller erklärt, dass die Kunden-Guthaben auf Girokonten eine echte Verbindlichkeit der Geschäftsbanken darstellen, weil eine Geschäftsbank den Anspruch der Girokonteninhaber auf Verwendung der Guthaben im Zahlungsverkehr oder auf Barauszahlung nur erfüllen kann, wenn eine ausreichende Zentralbankreserve (Bargeld und Zentralbankguthaben) vorgehalten wird. Nur wenn die Geschäftsbanken sich selbst das nötige Zentralbankgeld aus dem Nichts herstellen könnten, wären die Kundenguthaben keine echte Verpflichtung. Da die Banken das nicht können, ist es korrekt, die Guthaben der Kunden als Verbindlichkeit zu buchen.
Es gibt kein Erfüllungsrisiko
Anders bei Zentralbanken, die nach Belieben Zentralbankreserven produzieren können, ebenso wie Bargeld, das sich von den Reserven nur in seiner intrinsischen Form unterscheidet. Das Buchgeld der Zentralbankguthaben kann, wie Edelmüller darlegt, jederzeit auf Anforderung der Geschäftsbanken in Bargeld verwandelt werden. Umgekehrt kann der nicht benötigte Bargeldüberschuss der Geschäftsbanken zu Lasten der Barreserven aus der Verwahrung der Banktresore bei der Zentralbank abgeliefert werden. Ein Erfüllungsrisiko gibt es nicht, weil die Zentralbank sowohl Bargeld als auch Zentralbankreserven jederzeit unbegrenzt herstellen kann. Daraus folgert Edelmüller, dass die unterschiedliche Verbuchung von Bargeld und Zentralbankguthaben (Reserven) in den Bankbilanzen keine Rechtfertigung hat:
„Die Barreserven der Geschäftsbanken stellen liquides Vermögen in reinster Form dar, frei von jeglichem Zahlungsrisiko, weil sie selbst gesetzliches Zahlungsmittel sind. (..) Folgerichtig werden die Barreserven in den Bilanzen der Geschäftsbanken sachlogisch konsistent auf forderungsrisikofreien Kassakonten (aktiven Vermögensbestandskonten) ausgewiesen, analog zu den Bargeldbeständen in den Büchern des Nichtbankensektors. Zentralbankreserven in Form von Zentralbankguthaben werden hingegen bei den Geschäftsbanken auf aktiven Forderungskonten im Kontosoll ausgewiesen und bei der Zentralbank auf passiven Verbindlichkeitskonten im Kontohaben. Dadurch entsteht der Eindruck, dass die Geschäftsbanken ein Risiko bei der Mobilisierung von Forderungen (Verwandlung in Bargeld) gegen die Zentralbank aus Zentralbankguthaben (Forderungsrisiko) und die Zentralbank Verpflichtungen (Bereitstellung von Bargeld) aus den Gutschriften auf den Zentralbankkonten der Geschäftsbanken (Erfüllungsrisiko) haben. Das ist aber nicht der Fall, denn die Zentralbank schuldet den Geschäftsbanken aus den Zentralbankguthaben nichts und die Geschäftsbanken haben aus den Zentralbankguthaben nichts zu fordern, was sie nicht ohnehin schon haben, außer dass sie die intrinsische Form ihrer Zentralbankreserven gemäß (ihrem) Barreservebedarf frei wählen können.“
In früheren Zeiten der physischen Edelmetalldeckung des Zentralbankgeldes hatten die Inhaber von Zentralbankgeld in Form von Geldmünzen, Banknoten und Zentralbankguthaben einen Forderungsanspruch auf den Goldschatzes der Zentralbank. Damals war die Verbuchung des Banknotenumlaufs und der Zentralbankguthaben der Banken als Verbindlichkeit der Zentralbank sachlogisch richtig. Heute nicht mehr. Daher wäre heute „eine sachlogisch konsistente Bilanzierung der gesamten Zentralbankreserve analog der Barreserve (Kassakonten) auf forderungsrisikofreien, aktiven Bestandskonten der Geschäftsbanken (kassakontenähnliche Reservekonten) und auf den Eigenkapitalkonten der Zentralbank angemessen“, schreibt Edelmüller.
Der Geldschöpfungsgewinn ergibt sich aus der Relation zwischen dem betrieblichen Aufwand der Geldschöpfung und dem Wertumfang der hergestellten und in Umlauf gesetzten Geldmenge (Münzen, Banknoten und Zentralbankguthaben). Heute wird der Geldschöpfungsgewinn durch eine substanzlose Gegenbuchung versteckt.
Eine korrekte, im Sinne von sachlogisch angemessene Buchung würde die Einbeziehung der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) der Notenbank in die Verbuchung von Geldschöpfungsprozessen mit sich bringen. Edelmüller zeigt die Buchungssätze anhand des Kaufs von Staatsanleihen durch die Notenbank:
„In der Korrekturversion wird daher die Gutschrift des Erwerbspreises der Staatsanleihe auf einem Zentralbankreserve-Evidenzkonto der depotführenden Geschäftsbank des Wertpapierfonds auf einem Erlöskonto in der GuV der Zentralbank gegengebucht, weil uno actu mit der Bezahlung der erworbenen Staatsanleihe die gesetzlichen Zahlungsmittel von der Zentralbank ohne maßgeblichen Aufwand quasi „aus dem Nichts“ hergestellt werden, um den Anleihenkauf zu finanzieren. Nachdem auf dem Aufwandskonto der GuV der Zentralbank neben einem marginalen Verwaltungsaufwand (= Herstellungsaufwand der Geldschöpfung) für die Transaktionsabwicklung die Vorsorge für das allfällige Kredit- und Marktrisiko der erworbenen Staatsanleihe in Form einer passiven Rückstellung verbucht wurde, errechnet sich die Erlös-Aufwands-Differenz als Gewinnsaldo dieser spezifischenTransaktion in der GuV der Zentralbank. (Dieser wird) als eigenkapitalfähiger Geldschöpfungsgewinn in Form eines Zugangs zum Eigenkapital in der Bilanz ausgewiesen. Der Aktivierung des Nettobuchwertes der Staatsanleihe(Kaufpreis abzüglich Transaktions-und Risikovorsorgekosten) steht ein aus der Gegenbuchung des Gewinnsaldos resultierender Anstieg des Eigenkapitals gegenüber.“
In der Bilanz der depotführenden Geschäftsbank wird die Kaufpreisgutschrift auf dem Zentralbankreserve-Evidenzkonto durch betragsgleiche Zuführung auf dem Zentralbankreservekonto als kassakontoähnlichem aktivem Bestandskonto ausgewiesen und am Girokonto des Wertpapierfonds gutgebracht.
Folgerungen
Edelmüller schließt aus seinen Überlegungen, dass es mit entsprechendem Willen kein Problem für die Zentralbank wäre, frisches Geld dem Staat zur Infrastrukturfinanzierung zukommen zu lassen, sodass es – anders als in der Finanzbranche – tatsächlich die erwünschte Wirkung entfaltet.
Man kann seine Analyse auch übertragen auf die Schweiz, um zu zeigen, wie unsinnig die Argumentation der Notenbank war, sie müsse die Obergrenze für den Frankenkurs aufgeben, weil das Verlustrisiko zu groß wurde. Bei einer vernünftigen Bilanzierung der Devisenkäufe durch die Schweizerische Nationalbank (SNB) mit selbst aus dem Nichts geschaffenen Frankenguthaben, hätte jeder sehen können, dass das Risiko immer strikt kleiner dem Geldschöpfungsgewinn sein musste. Es konnte also nur den Geldschöpfungsgewinn mindern. Dazu hätte die SNB die Devisenkäufe abzüglich einer großzügigen Rücklage für Abwertungen (sagen wir 40 Prozent) und geringer Verwaltungskosten als Geldschöpfungsgewinn in der GuV und als ausschüttungsfähiges Eigenkapital in der Bilanz gebucht. Selbst bei einer späteren Abwertung der erworbenen ausländischen Wertpapiere um 40 Prozent, hätte die SNB immer noch mit Recht einen Geldschpfungsgewinn von 60 Prozent des Wertes der erworbenen Papiere ausgewiesen, und eben keinen Verlust wie nach der derzeitigen Praxis. Anstatt ein tolles Geschäft weiter zu betreiben, das die in Franken flüchtenden Ausländer den Schweizern antrugen, vollzog die SNB eine Kehrwende und führte eine massive Aufwertung des Franken herbei, die die Wirtschaft vor große Probleme stellte.
Wer meint, eine Änderung der Buchführungsprinzipien wäre problematisch, der sei daran erinnert, dass das Verstecken von ausschüttungsfähigen Gewinnen durch die Notenbanken weit über die Verbuchung der Geldschöpfung hinausgeht. So haben die Notenbanken (wie hier beschrieben) den Gewinn aus einer früheren Zuteilung von frischem Geld des Internationalen Währungsfonds (IWF), den Sonderziehungsrechten (SZR) dadurch neutralisiert, dass sie einfach einen passivischen „Ausgleichsposten für Zuteilung von SZR“ erfunden und gegengebucht haben. Es mag damals sinnvoll und wünschenswert gewesen sein, dass dieses Geld nicht gleich als Gewinn an die Regierungen ausgeschüttet wurde. Heute, in Zeiten der Deflation und Nachfrageschwäche, ist es das mit Sicherheit nicht mehr. Es steht den Notenbanken jederzeit völlig frei, diesen Ausgleichsposten aufzulösen und als Gewinn an die Regierungen auszuschütten.
Ganz ähnlich sieht es mit den völlig überhöhten Rückstellungen für Bewertungsverluste bei Gold und anderen Währungsreserven aus. Auch diese könnten jederzeit gesenkt werden. Oder die dadurch neutralisierten früheren Bewertungsgewinne könnten durch entsprechende Marktoperationen realisiert und ausgeschüttet werden. Selbst ohne die ausschüttbaren Gelschöpfungsgewinne, von denen Edelmüller schreibt, handelt es sich hierbei auf Ebene des Euroraums um hohe dreistellige Milliardenbeträge, die jederzeit ausschüttbar wären, wenn die Notenbanken nur wollten.
Die Nachfrageschwäche, die Deflationsgefahr und die Geldknappheit der Staaten sind also gewollt und von den Zentralbanken hausgemacht.