Starker Gegenwind für den digitalen Euro aus Brüssel

4. 11. 2025 | Der Berichterstatter des EU-Parlaments zum digitalen Euro, Fernando Navarrete Rojas, hat dem zuständigen Ausschuss den Entwurf einer Stellungnahme zu den Plänen der EU-Kommission vorgelegt. Darin wird die Kommission aufgefordert, sich zunächst auf einen digitalen Euro für den Geldverkehr zwischen Banken und auf einen Offline-Digitaleuro für das breite Publikum zu konzentrieren. Sinn und Notwendigkeit eines Online-Digitaleuros in Konkurrenz zu vorhandenen privaten Bezahlsystremen werden dagegen angezweifelt.

Das Papier, das mir vorliegt, nimmt Stellung zum Vorschlag der Kommission für eine Verordnung zum digitalen Euro aus dem Jahr 2023. Es betont, dass sich die politische Debatte, der digitale Zahlungsmarkt und die Zahlungstechnologie erheblich weiterentwickelt hätten, seit die Kommission 2020 die Notwendigkeit eines digitalen Euro festgestellt hat. Der Berichterstatter formuliert seine Bedenken so:

„Ein digitaler Euro sollte anhand klar definierter Probleme bewertet und mit den besten verfügbaren Marktalternativen verglichen werden, wobei die Kriterien der Notwendigkeit, Verhältnismäßigkeit und Opportunitätskosten zu berücksichtigen sind.“

Navarrete weist darauf hin, dass andere große Volkswirtschaften sich auf einen digitalen Euro für den Interbankenverkehr konzentrierten, nicht auf einen für das breite Publikum. Als zentrales Problem, das es zu lösen gelte, identifiziert er die Abhängigkeit der europäischen Zahlungsinfrastruktur von ausländischen Anbietern. Gemeint sind vor allem die weltweit dominierenden Kredit- und Debitkartenanbieter Visa und Mastercard.

Dieses Problem ließe sich am besten mit einem Offline-Digitaleuro angehen, so der Entwurf. Dabei handelt es sich um ein auf einem speziellen Gerät, mutmaßlich in Kartenform oder auf einem Smartphone, gespeicherten Guthaben. Mit diesem soll man ohne Internetverbindung bei Händlern bezahlen können soll. Dabei soll es keine zentrale Abwicklungsinstanz geben, sodass eine Ausgestaltung möglich wäre, die anonyme Zahlungen zulässt.

Und als dritter Vorteil stärke ein Offline-Digitaleuro die Widerstandsfähigkeit des Zahlungssystems in außerordentlichen Situationen. Gemeint sind Stromausfälle und Ausfälle des Kommunikationsnetzes und des Zahlungsverkehrssystems. So wie Bargeld könnte man den Offline-Digitaleuro in solchen Situationen weiter nutzen. An verschiedenen Stellen macht der Entwurf des Berichterstatters deutlicher und expliziter als es der Kommissionsentwurf tut, dass es keine zentrale Abwicklungsinstanz für Offline-Zahlungen geben soll. Es soll direkt ein Guthaben von einem Gerät auf ein anderes transferiert werden.

Allerdings soll es auch möglich sein, die Geräte zur Speicherung des Offline-Digitaleuros mit dem Netz zu verbinden, um Guthaben ohne direkten räumlichen Kontakt über eine größere Entfernung zu transferieren. Für diese Fälle müssten kompetente Organisationen noch Regularien erarbeiten, um Geldwäsche auszuschließen.

An der Notwendigkeit eines online nutzbaren digitalen Euro zweifelt der Bericht. Denn es gebe in Mitgliedstaaten weithin akzeptierte heimische Zahlungsverfahren, die die gleichen Zwecke erfüllen könnten. Es sei sinnvoller, solchen Verfahren zu transnationaler Verbreitung zu verhelfen. Sobald die Europäische Zentralbank (EZB) soweit sei, einen Offline-Digitaleuro einzuführen, solle die Kommission prüfen, ob es bis dahin eine europaweite, heimische Bezahllösung für Unternehmen und Haushalte gibt und einen Bericht dazu verfassen. Nur wenn die Antwort negativ sei, solle die EZB den Auftrag bekommen, einen Online-Digitaleuro einzuführen.

Den vorgesehenen Annahmezwang für digitale Euro möchte der Berichterstatter abschwächen. Die Kommission wollte in ihrem Entwurf nur Privatpersonen und „Mikrounternehmen“ davon ausnehmen. Im Entwurf für den Parlamentsausschuss werden stattdessen „kleine Unternehmen“ und außerdem Selbständige ausgenommen.

Zunächst muss sich der Wirtschafts- und Finanzausschuss des Parlaments mit dem Entwurf der Stellungnahme befassen. Wenn er – gegebenenfalls nach Änderungen – dort eine Mehrheit gefunden hat, geht er an das Plenum zur Abstimmung. Das kann noch dauern.

Beurteilung

Die Stellungnahme des Berichterstatters Navarrete wirkt durchgängig, als hätte sie vor allem die Interessen der Finanzbranche im Sinn. Diese ist es insbesondere, die sich über die geplante Konkurrenz für ihre Bezahlsysteme durch einen digitalen Euro ärgert und dagegen opponiert.

Navarrete hat völlig recht, dass es der Kommission und der EZB schwer fällt, plausibel zu machen, welches Problem der digitale Euro löst. Entsprechend haben sie, mit wechselnder Betonung einen ganzen Strauß von Problemen angeboten, denen er angeblich abhelfe. Tatsächlich wäre es viel sinnvoller und einfacher, den bestehenden EU-basierten Bezahlsystemen zum europaweiten Durchbruch zu verhelfen, um von Visa und Mastercard unabhängiger zu werden. Was Navarrete aber nicht erwähnt: es sind Regulierungen durch die Kommission selbst, die es heimischen Anbietern so schwer machen, Visa und Mastercard Marktanteile abzunehmen.

Mutmaßlich als Anti-Bargeld-Maßnahme hat die Kommission mit der zweiten Zahlungsrichtlinie (PSD2) verordnet, dass Händler unterschiedlich hohe Preise von Bezahlkarten nicht als Auf- oder Abschläge an ihre Kunden weitergeben dürfen. Die Kunden haben dadurch keinen Anreiz, die für die Händler relativ teuren Karten der Marktführer durch für diese günstigere Karten von heimischen Konkurrenten zu ersetzen. Dadurch können die Marktführer ihren Vorteil des größten Netzes an Akzeptanzstellen ungebremst ausspielen. Diese Vorschrift müsste zunächst einmal fallen. (Aufschläge für Barzahler verbietet die Regulierung übrigens nicht, nur Abschläge.)

Navarrete spießt die schwache Argumentation für die Notwendigkeit des digitalen Euro bei der Online-Variante zielsicher auf. Was er dann aber dafür ins Feld führt, dass ein Offline-Digitaleuro sinnvoll und sogar notwendig sei, ist irgendetwas zwischen albern und absurd. Die inhaltsleere Floskel, das bringe „den Euro in die digitale Ära, indem es den Bürgern der Union eine Option gäbe, mit Zentralbankgeld ihre täglichen Transaktionen zu begleichen“, könnte man gnädig ignorieren, wenn er beim Online-Digitaleuro nicht so nachdrücklich auf echte Argumente statt leeren Floskeln bestehen würde. Den allermeisten Bürgern wird es herzlich egal sein, welchen abstrakten rechtlichen Status die Euro haben, mit denen sie zahlen.

Geradezu absurd ist sein Argument, der digitale Euro für den Offline-Gebrauch, ein direkter Konkurrent für das Bargeld, mache Europa weniger abhängig von ausländischen Zahlungsanbietern. Bargeld ist eine Zahlungsform, die so unabhängig von ausländischen Anbietern ist, wie es nur geht. Wenn es von einem digitalen Euro verdrängt wird, ist in Sachen Unabhängigkeit nichts gewonnen, sondern viel verloren.

Denn die Bargeld-Infrastruktur ist ohnehin schon bedroht, weil die Bargeldnutzung zurückgeht, begünstigt von bargeldfeindlicher Regulierung. Schon jetzt ist regelmäßig ein zentrales Argument derer, die aufhören Bargeld zu akzeptieren, dass ohnehin nur noch wenige bar bezahlen würden. Je weniger Transaktionen mit Bargeld stattfinden, desto teurer werden Vorhaltung und Betrieb der Bargeld-Infrastruktur bezogen auf die einzelne Transaktion.

Nimmt der Offline-Digitaleuro dem Bargeld – sagen wir – die Hälfte seines derzeitigen Marktanteiles ab, dann ist das das Ende des Bargelds. Nichts garantiert, dass der Offline-Digitaleuro diese Lücke ganz füllen würde. Vieles würde als zusätzlicher Marktanteil zu Visa und Mastercard wandern.

Der Verdacht drängt sich auf, dass der Berichterstatter so viel positiver gegenüber einem Offline-Digitaleuro eingestellt ist, als gegenüber der Online-Variante, weil die private Finanzbranche, für die sein Herz zu schlagen scheint, dem lästigen Bargeld ohnehin an den Kragen will.

Die Forderung nach Anonymität des Bezahlens mit dem Offline-Digitaleuro kann diesen Nachteil nicht annähernd ausgleichen. Zum einen, weil das gleiche Niveau an Schutz der finanziellen Privatsphäre wie beim Bargeld bei einem digitalen Instrument von vorne herein nicht erreichbar ist. Vor allem aber, weil nichts seine Dauerhaftigkeit garantiert. Vielmehr spricht alles dafür, dass dieser Schutz von relativ kurzer Dauer wäre, jedenfalls, sobald das Bargeld als ernsthafte Alternative beseitigt wäre.

So wie EU-Kommission, Regierungen und internationale Organisationen das Bargeld mit feindseliger Regulierung immer weiter zurückgedrängt haben, vor allem unter dem Vorwand der Geldwäschebekämpfung, könnten und würden sie es auch mit dem anonymen Offline-Digitaleuro tun, der ja dem Bargeld möglichst stark gleichen soll. Man stellt ihn unter Geldwäscheverdacht und führt immer striktere Grenzen ein. Man überzieht diejenigen, die den Offline-Euro in größerem Maßstab ohne zusätzliche Kontrollen akzeptieren, mit Steuerprüfungen, bis sie die Lust daran verlieren…

Die Nutzung des Offline-Euro im Netz mit Identitätsprüfung, die möglich sein soll, bietet einen idealen Ansatzpunkt, die Anonymität zu beseitigen. Wenn man es unattraktiv macht, den Offline-Digitaleuro anonym zu akzeptieren, können Händler eine Online-Verbindung beider Geräte herbeiführen und so die Grundlage für eine Identitätsprüfung schaffen. Die Kunden können ihre Börsen für den digitalen Euro dann zwar noch nutzen, aber die Anonymität fällt weg. Ohnehin ist eine möglichst enge Verzahnung des digitalen Euro mit der Europäischen Digitalen Identitätsbrieftasche (EDIW)  vorgesehen. Wenn die Offline-Digitaleuros auf dem Smartphone verwahrt werden, geht die Identitätsprüfung ganz schnell und einfach, und die Internetverbindung ist in der Regel gegeben.

Keine Anmerkungen macht der Berichterstatter zu einem Abschnitt des Kommissionsentwurfs, der die versprochene Nichtprogrammierbarkeit des digitalen Euro zu unterlaufen droht. Dort steht:

„Der digitale Euro sollte bedingte digitale Euro-Zahlungstransaktionen durch Zahlungsdienstleister unterstützen. Der digitale Euro sollte jedoch kein „programmierbares Geld“ sein, d. h. Einheiten, die aufgrund von festgelegten Ausgabebedingungen nur für den Kauf bestimmter Arten von Waren oder Dienstleistungen verwendet werden können oder zeitlich begrenzt sind, und nach deren Fristablauf nicht mehr genutzt werden können.“

Das heißt: Das Versprechen der Nichtprogrammierbarkeit wird eingegrenzt auf zwei Formen der Programmierung, die in der kritischen Diskussion eine besondere Rolle spielen. Auf der anderen Seite werden beispielhaft einige besonders nützliche und harmlose Möglichkeiten der Programmierung genannt, die zulässig und erwünscht sein sollen. Das lässt ein weites Feld offen für problematische Programmierungen, die direkt oder indirekt in die Souveränität der Menschen eingreifen. Eine Programmierung, derzufolge nicht nur der (finanzielle) Kontostand, sondern auch ein Sozialpunktestand ausreichend hoch sein muss, um bestimmte Transaktionen zu tätigen, scheint weiter möglich. Der Fantasie hinsichtlich des Möglichen sind in Anbetracht der Formulierungen im Verordnungsentwurf wenig Grenzen gesetzt.

Was die Bedingung für die Enführung eines Online-Digitaleuros angeht, so erscheint es nicht gerade glücklich, dass ausgerechnet die EU-Kommission, die ihn ja will, darüber befinden soll, ob es eine ausreichend europaweit akzeptierte, heimische Bezahllösung gibt, sodass der digitale Online-Euro unnötig wäre. Die Kommission ist es auch, die die Entstehung einer solchen europaweit akzeptierten Lösung – entgegen ihrem Interesse am digitalen Euro – fördern soll. Bisher behindert sie diese – wie erwähnt – durch die zweite Zahlungsrichtlinie (PSD2) massiv.

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