Wie berichtet, heißt es im Entwurf für ein Zustimmungsgesetz zur Reform der IGV, dass durch dieses Gesetz „die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit der Person, des Brief- und Postgeheimnisses und der Freizügigkeit eingeschränkt“ werden. Nicht erwähnt ist die Meinungsfreiheit. Das hat einen guten Grund. Es liegt mutmaßlich daran, dass sich nötigenfalls die EU und nicht die Bundesregierung um die Beseitigung der Meinungsfreiheit kümmern würde. Bundestag und Bundesrat müssen dem Gesetz noch zustimmen.
Die neuen Gesundheitsvorschriften ermächtigen den Generalsekretär der Weltgesundheitsorganisation (WHO), mehr oder weniger willkürlich eine pandemische Notlage auszurufen. Dazu genügt zum Beispiel, dass in seiner Einschätzung eine Überlastung der Gesundheitssysteme zu befürchten ist. Zu solchen Überlastungen kommt es bei fast jeder größeren Grippewelle.
Bedrohlich für die Meinungsfreiheit ist dieser Raum für Willkür für eine einzige Person in Verbindung mit Artikel 36 des Digital Services Act (DSA) der EU. Dort steht, dass im Fall einer Krise die EU-Kommission den großen Online-Plattformen und Suchmaschinen rigide Maßnahmen gegen nicht genehme Äußerungen praktisch vorschreiben kann. Sie kann sie zwar nicht direkt vorschreiben – das würde zu offensichtlich gegen EU-Recht und das Grundgesetz verstoßen. Aber sie kann vorschreiben, schnell Maßnahmen zu ergreifen. Und sie kann Maßnahmenpakete, die nicht alles enthalten, was sie will, als unzureichend ablehnen.
Als Krise zählt nach DSA „eine schwerwiegenden Bedrohung der öffentlichen Sicherheit oder der öffentlichen Gesundheit in der Union oder in wesentlichen Teilen der Union“. Wenn die WHO eine pandemische Notlage ausruft, wird die EU-Kommission mit Sicherheit eine Gesundheitskrise feststellen.
Als Maßnahmen, die die Plattformen dann möglicherweise ergreifen müssen, um die Kommission zufriedenzustellen, sind unter anderem beispielhaft genannt:
- Verschärfung und schärfere Durchsetzung der Nutzungsbedingungen,
- Verschärfung und Beschleunigung der „Inhaltemoderation“ mit rascher Entfernung gemeldeter Inhalte,
- Änderung der Empfehlungssysteme und der Systeme zur Zuordnung von Werbung,
- Zusammenarbeit mit „vertrauenswürdigen Hinweisgebern“,
- Beitritt zum Verhaltenskodex Desinformation.
Wenn sie will, kann die Kommission den Plattformen im Fall einer „pandemischen Notlage“ vorschreiben, dass sie alles sofort löschen, was von den mit der Kommission eng zusammenarbeitenden Hinweisgebern und Faktencheckern als schädlich klassifiziert wird. Sie kann ihnen vorschreiben, die Empfehlungssysteme so zu ändern, dass automatisiert alles was den gesundheitspolitischen Maßnahmen von EU und Regierungen gegenüber kritisch ist, automatisch keine Reichweite und keine Werbeeinnahmen mehr generieren kann.
Im Wortlaut legen die einschlägigen Passagen von Artikel 36 fest:
„Krisenreaktionsmechanismus
(1) Im Krisenfall kann die Kommission auf Empfehlung des Gremiums einen Beschluss erlassen, in dem ein oder mehrere Anbieter sehr großer Online-Plattformen oder sehr großer Online-Suchmaschinen aufgefordert werden, eine oder mehrere der folgenden Maßnahmen zu ergreifen (…):
- eine Bewertung, ob und, wenn ja, in welchem Umfang und wie der Betrieb und die Nutzung ihrer Dienste erheblich zu einer schwerwiegenden Bedrohung im Sinne von Absatz 2 beitragen oder voraussichtlich beitragen werden;
- die Ermittlung und Anwendung von gezielten, wirksamen und verhältnismäßigen Maßnahmen, etwa Maßnahmen gemäß Artikel 35 Absatz 1 oder Artikel 48 Absatz 2, (…);
- Berichterstattung an die Kommission bis zu einem bestimmten im Beschluss festgelegten Zeitpunkt (…).
(2) Für die Zwecke dieses Artikels gilt eine Krise als eingetreten, wenn außergewöhnliche Umstände eintreten, die zu einer schwerwiegenden Bedrohung der öffentlichen Sicherheit oder der öffentlichen Gesundheit in der Union oder in wesentlichen Teilen der Union führen können.“
(5) Die Wahl der gemäß Absatz 1 Buchstabe b und Absatz 7 Unterabsatz 2 zu treffenden gezielten Maßnahmen verbleibt bei dem Anbieter bzw. den Anbietern, an den bzw. die sich der Beschluss der Kommission richtet.
(6) Die Kommission kann von sich aus oder auf Ersuchen des Anbieters mit dem Anbieter in einen Dialog treten, um festzustellen, ob die in Absatz 1 Buchstabe b genannten geplanten oder durchgeführten Maßnahmen angesichts der besonderen Umstände des Anbieters wirksam und verhältnismäßig sind, um die verfolgten Ziele zu erreichen.(…)
(7) Die Kommission überwacht die Anwendung der gezielten Maßnahmen, die gemäß dem in Absatz 1 genannten Beschluss getroffen wurden (…). Ist die Kommission der Auffassung, dass die geplanten oder durchgeführten gezielten Maßnahmen gemäß Absatz 1 Buchstabe b nicht wirksam oder verhältnismäßig sind, so kann sie den Anbieter (…) auffordern, die Ermittlung oder Anwendung dieser gezielten Maßnahmen zu überprüfen.“