Draghi hat die Macht und die Verantwortung, egal was er den leichtgläubigen EU-Parlamentariern erzählt

Die Reichen reicher zu machen ist Kernaufgabe der Geldpolitik, will der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) den Volksvertretern weismachen. Die Anleihekäufe führen nicht zu gefährlichen Blasen, sollen sie glauben. Die EZB hält sich in der Griechenlandkrise strikt an Mandat und objektive Regeln, lassen sie sich erzählen. Nichts davon stimmt.

Dem EU-Parlament sagte Draghi am Montag, die möglichen Risiken aus seinem derzeit in Umsetzung befindlichen Plan, für über eine Billion Euro Staatsanleihen und andere Wertpapiere aufzukaufen, seinen aus Sicht der EZB bisher begrenzt. Zur Begründung grenzt er flugs das Problem auf die „wichtigen Indikatoren“ Immobilienmarkt und Kreditvergabe ein. Den Aktienmarkt lässt er damit außen vor, sicher nicht zufällig, wie wir noch sehen werden. Die Jahressteigerungsrate der Haus- und Wohnungspreise im Durchschnitt des Euroraums habe zuletzt nur 0,8 Prozent betragen, die der Hypothekenkredite sogar nur 0,1 Prozent.

Die unselige Praxis, europaweite Durchschnitte zu bilden und damit Blasen wegzudiagnostizieren hat die EZB auch schon vor der Finanzkrise mit verheerenden Folgen ausgiebig angewendet. Die Kreditvergabe war damals tatsächlich ein wichtiger und annähernd ausreichender Indikator für durch die Geldpolitik hervorgerufene Gefährdung der Finanzstabilität. Die EZB entschied sich damals, den Indikator zu ignorieren. Heute ist dieser Indikator bei weitem weniger wichtig, weil die Ausdehnung des für Spekulation mit Vermögenswerten verfügbaren Geldes nicht mehr in erster Linie durch Kreditvergabe der Geschäftsbanken geschieht, sondern sie geschieht direkt durch Wertpapierkäufe der EZB.

Das sei kurz erklärt: Wenn die EZB einer Nichtbank, also zum Beispiel einem Fonds, Anleihen abkauft, so schreibt sie der Hausbank des Fonds den Gegenwert gut und diese Hausbank schreibt dem Fond im Gegenzug den gleichen Betrag auf dessen Konto gut. Dieses Bankguthaben war vorher nicht da. Die Geldmenge hat sich also ausgeweitet. Das ist zusätzliches Geld, das von seiner Platzierung her erwartbar in der Finanzsphäre zirkuliert, nicht in der produzierenden Wirtschaft. Der Fonds hat nun zu viel Cash und dieser wird unter den Finanzinvestoren herumgereicht wie ein heiße Kartoffel. Er treibt dabei die Preise von allen Sorten von Vermögenswerten in die Höhe. Der Fonds kauft vielleicht Aktien und erhöht dadurch die Preise von Aktien. Nun hat der Verkäufer den Gegenwert und damit zu viel Cash. Er kauft irgend einen anderen Vermögenswert, zum Beispiel Anteile an einem Immobilienfonds, der dann zu viel Cash hat und sich auf die Suche nach Immobilien macht. So geht das immer weiter.

Der deutsche Aktienindex stieg von sechs Wochen vor der (zunehmend erwarteten) Verkündung des massiven Anleihekaufprogramms der EZB im Februar, bis sechs Wochen nach dessen Beginn im März um immerhin annähernd 30 Prozent. Falls Zweifel bestehen, dass das mit dem EZB-Programm zu tun hat. Als EZB-Direktoriumsmitglied Benoit Coeure am 18. Mai erst vor ausgewählten Großinvestoren und einen Tag später auch der Öffentlichkeit verkündete, dass die Käufe intensiviert werden würden, stieg der Dax an einem Tag um rund zweieinhalb Prozent. Inwieweit diese annähernd 30-prozentige Steigerung der Aktienkurse die Finanzstabilität gefährdet hat, dazu schweigt sich der EZB-Präsident wohlweislich aus.

Dann kommt er zur Verteilungswirkung dieser Politik und stellt erst einmal offenherzig fest, dass es sie gibt. Die Wertpapierkäufe könnten leicht „zu Preisveränderungen und Vermögensgewinnen der Halter eines  breiten Spanne von Vermögenswerten“ führen.

Die bereits Vermögenden werden also reicher, ist das Ergebnis dieser Politik.

Aber, fügt Draghi hinzu, das ginge nicht anders, denn:

Dieser Mechanismus der Veränderung der Vermögenspreise macht den Kern der geldpolitischen Übertragung aus und wird jedes mal in Gang gesetzt, wenn eine Zentralbank seine geldpolitischen Instrumente einsetzt, ob konventionell oder unkonventionell, um seine Ziele zu erreichen. Zinsänderungen verändern immer die Attraktivität des Sparens relativ zum Konsum und beeinflussen die Schwere der Last der Schuldner.“ (Übersetzung N.H.)

Langsam, langsam. Geldpolitik hat immer Verteilungswirkungen. Das ist akzeptiert. Aber daraus folgt doch nicht, dass jede stimulierende Geldpolitik massive Bereicherung der Vermögenden bewirken muss. Draghi führt an, dass (auch)  jede Zinsänderung die Attraktivität des Sparens relativ zum Konsum ändert. Aber das wäre doch ein Gegenargument, wenn es stimmte. Das hieße doch, dass  eine Zinssenkung dazu führt, dass die Reichen ärmer werden, weil sie einerseits geringere Zinseinnahmen bekommen und andererseits mehr von ihrem Geld ausgeben. Die Argumentationsführung ist wirrer, als man von einem klugen Finanzfachmann wie Draghi erwarten sollte. Will er verwirren?

Doch wichtiger als die Wirrheit ist die Falschbehauptung, dass der Vermögenseffekt Kern der (jeder?) geldpolitischen Übertragung sei. Es ist der Kern der Übertragung dieser Art von Geldpolitik. Damit, dass das sogenannte Quantitative Easing notwendig dazu führt, dass die Reichen reicher werden, kann man nur dann den Vorwurf kontern, dass diese Politik die Ungleichheit erhöhe, wenn es keine Alternativen mit günstigeren Verteilungswirkungen gäbe.

 Es gibt natürlich Alternativen. In keinem Vertragswerk steht, dass die Geldpolitik stimulierende darauf reduziert ist, Geld in die Finanzbranche zu pumpen und so die Vermögenden reicher zu machen. Sie darf sie auch in die produzierende und konsumierende Wirtschaft pumpen. Sie will es nur nicht.

Um nur eine von vielen Möglichkeiten zu nennen, welche in der EZB scheinbar nicht einmal ernsthaft diskutiert werden: Die EZB könnte der Europäischen Investitionsbank Anleihen abkaufen, statt den Regierungen, und diese könnte das Geld für ein großes Investitionsprogramm oder für die Finanzierung  gesellschaftlich besonders nützlicher privater Investitionen verwenden.

Wie gesagt, das ist eine Alternative von vielen. Wer behauptet, oder implizit so tut als gäbe es keine Alternative, der versucht seine Zuhörer zum Narren zu halten – immer.

Wo es um die Rolle der EZB in den Verhandlungen mit Griechenland geht, versucht Draghi die große politische Macht seiner demokratisch nicht beaufsichtigten Institution hinter Formalismen und Schutzbehauptungen zu verstecken. Er verweist darauf, dass Parlament und EU-Rat die Kommission gebeten hätten, mit der EZB zusammenzuarbeiten (to liase with the ECB = Verbindung aufnehmen, zusammenarbeiten) beim Aushandeln der Bedingungen von Anpassungsprogrammen und bei der Überprüfung der Einhaltung. Die Worte sind sehr wohl gewählt. Denn die Politik hat die unabhängige EZB aus deren Sicht zu nichts aufzufordern oder gar zu bitten. Also wurde „die Kommission gebeten“. De facto wurden natürlich beide gebeten mitzumachen und nichts hätte die sonst so auf ihre Unabhängigkeit und ihr Mandat achtende EZB gehindert, diese Bitte auszuschlagen. Denn für das Aushandeln wirtschaftspolitischer Konditionen hat sie offenkundig kein Mandat, erst Recht nicht für die Bestrafung tatsächlicher oder vermeintlicher Brüche dieser Bedingungen. 

Was die Geldpolitik und die Aufsichtsfunktion der EZB angeht, so wird sie weiterhin in voller Unabhängigkeit und innerhalb des gesetzlichen Rahmens ihre Entscheidungen treffen. Dieser regelbasierte Ansatz wird von uns erwartet. Ihm sind wir gefolgt und werden wir weiter folgen.“

Hätte der EZB-Rat das Ansinnen ausgeschlagen, Teil der Troika zu werdenes scheint dies nie formell beschlossen zu haben – dann könnte Draghi diese Behauptung vielleicht aufstellen. So ist sie allenfalls durch Wortklaubereien wie das seltene englische Wort „liaise“ gestützt. Fakt ist, dass die EZB die Entscheidung, griechische Banken von der normalen EZB-Finanzierung abzukoppeln und auf die Notkredit zu verweisen, darauf gestützt hat, dass sie ganz früh zu dem Schluss kam, dass die neue und ihr gar nicht genehme Regierung in Athen sich nicht würde mit der Troika, der sie selbst angehört, so weit zusammenraufen können, dass die Troika einen erfolgreichen Abschluss des Programms, das die EZB mit entwickelt und durchgesetzt hat, würde bescheinigen wollen. Wo ist da die politische Unabhängigkeit und die Regelbasiertheit. Nirgends.

Welche Regeln waren es, die der EZB nahelegten, der irischen Notenbank 2013 zu erlauben, der dortigen, ihr politisch genehmen Regierung mit der Notenpresse 30 Mrd. Euro Kredit mit einer Laufzeit von mehreren Jahrzehnten zu geben, in offenem Bruch des Verbots der monetären Staatsfinanzierung, das angeblich so bindend ist. Welche Regel genau ist es, die ihr sagt, dass für Griechenland so etwas auf keinen Fall in Frage kommt? Mario Draghi begründet das vor den Parlamentariern damit, dass es schon so etwas wie monetäre Staatsfinanzierung sein könne, wenn die Notenbank den Banken Geld gibt, und diese dann Staatspapiere kaufen. Als ob das nicht das Normalste der Welt wäre, dass Banken mit Geld von der EZB Staatspapiere kaufen, so pervers das ist. Die staatliche Instanz Notenbank gibt den Banken billig Kredit und die Regierung holt es sich dann gegen deutlich höhere Zinsen wieder von den Banken. Sehr feinsinnig, und pflichtbewusst, könnte man Draghis Exegese des Staatsfinanzierungsverbots finden, wenn das nicht Irland wäre. So ist es einfach nur scheinheilig.

In der Zwischenzeit werde die ECB weiterhin ihren „Rat“ zum laufenden griechischen Anpassungsprogramm geben, versichert Draghi. Aber die letzte Entscheidung liege natürlich ausschließlich bei der Eurogruppe. Wie scheinheilig hat man zuletzt wieder bei der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin am Donnerstag gehört. Sie forderte die griechische Regierung auf, sich endlich mit den Institutionen EU-Kommission, IWF und EZB zu einigen, damit man auf Ratsebene etwas zum Abknicken hat. Draghi kann sich nicht hinter seinen scheinheiligen Ausflüchten verstecken. Er hat die Macht. Er hat die Verantwortung.

 

Print Friendly, PDF & Email