Das Weltwirtschaftsforum, eine einflussreiche Lobbygruppe der größten internationalen Konzerne, veröffentlichte im Juli einen Beitrag von Nataliya Katser-Buchkovska, einer hochrangigen ukrainischen Strategieberaterin und ehemaligen Parlamentarierin. Die an US-Eliteunis ausgebildete Politikwissenschaftlerin mit engen Kontakten zum Weltwirtschaftsforum ist Millenium Fellow der Nato-Vorfeldorganisation Atlantic Council. In Ihrem Beitrag erläutert sie, warum es für den Westen so wichtig sei, Zugang zu den ukrainischen Rohstoffen zu behalten beziehungsweise zu bekommen:
„Die Ukraine verfügt über ein immenses Potenzial als wichtiger globaler Lieferant kritischer Rohstoffe, die für Branchen wie Verteidigung, Hightech, Luft- und Raumfahrt und grüne Energie unerlässlich sind.
Vor Februar 2022 war die Ukraine ein wichtiger Titanlieferant für den militärischen Sektor. Sie verfügt auch über eine der größten bestätigten Lithiumreserven Europas (schätzungsweise 500 000 Tonnen), die für Batterien, Keramik und Glas unerlässlich sind. Die Ukraine ist der fünftgrößte Galliumproduzent der Welt, der für Halbleiter und LEDs unverzichtbar ist, und war ein wichtiger Produzent von Neongas, der 90 % des hochgereinigten Neons in Halbleiterqualität für die US-Chipindustrie lieferte. Die Ukraine verfügt über bestätigte Berylliumvorkommen, die für die Kernkraft-, Luft- und Raumfahrt-, Militär-, Akustik- und Elektronikindustrie von entscheidender Bedeutung sind, sowie über Uran, das für den Nuklear- und Militärsektor unerlässlich ist. Zirkonium und Apatit sind für die Nuklear- und Medizinproduktion unerlässlich.“
Die Autorin, die ein wirtschafts- und geopolitisches Strategieberatungsinstitut leitet, betont, der Zugang zu ukrainischen Ressourcen könnte demokratischen Ländern helfen, in den Bereichen Energie und Technologie eine größere Autonomie gegenüber nicht-demokratischen Regimen zu erreichen. Deshalb sei ein Beitritt der Ukraine zur EU wichtig für die industrielle Widerstandsfähigkeit der EU und den Erfolg der Energiewende.
Die EU-Kommission hat ihr zufolge 2023 eine strategische Partnerschaft mit der Ukraine ins Leben gerufen, um die Rohstoffversorgung der Ukraine in die Wertschöpfungskette für Batterien zu integrieren. Und für westliche Unternehmen ist ebenfalls viel zu holen, wenn die Ukraine die Kontrolle über ihre Rohstoffe behält:
„Vor kurzem hat die Ukraine mit der Versteigerung von Explorationsgenehmigungen für Lithium, Kupfer, Kobalt und Nickel begonnen, was lukrative Investitionsmöglichkeiten für die Veredelung wichtiger Rohstoffe bietet.“
Mann könnte meinen, wenn Russland sich einen Teil des Landes im Osten einverleiben würde, und der Großteil des Landes an die EU und die Nato assoziiert oder aufgenommen wird, könnte das für die Deckung des Rohstoffbedarfs des Westens noch akzeptabel sein. Doch ein Stück aus der Washington Post von 2022 belehrt uns eines Besseren. Unter der (übersetzten) Überschrift „Innerhalb des Ukraine-Kriegs tobt eine Schlacht um den Mineralien und Energiereichtum des Landes“ erfahren wir darin, dass ein großer Teil der ukrainischen Kohle- und Mineralienvorkommen im Boden des Donbas liegt:
„Sollte es dem Kreml gelingen, das eroberte ukrainische Gebiet zu annektieren – was er nach Ansicht von US-Beamten in den kommenden Monaten versuchen wird -, würde Kiew dauerhaft den Zugang zu fast zwei Dritteln seiner Vorkommen [an Kohle; N.H.] verlieren. Die Ukraine würde auch unzählige andere Reserven verlieren, darunter Erdgas, Erdöl und Seltene Erden, die für bestimmte Hightech-Komponenten unerlässlich sind und Westeuropa bei der Suche nach Alternativen zu Importen aus Russland und China behindern könnten.“
Der Artikel beruht auf einer Analyse des geopolitischen Beratungsunternehmens SecDev. Deren Analyse zufolge waren schon im Sommer 2022 Energievorkommen, Metalle und Mineralien der Ukraine im Wert von mindestens 12,4 Billionen Dollar unter russischer Kontrolle, fast die Hälfte des Dollarwerts aller ukrainischen Lagerstätten. Neben 63 Prozent der Kohlevorkommen des Landes habe Moskau 11 Prozent der Erdölvorkommen, 20 Prozent der Erdgasvorkommen, 42 Prozent der Metalle und 33 Prozent der Vorkommen seltener Erden und anderer wichtiger Mineralien wie Lithium beschlagnahmt. Der Generaldirektor des ukrainischen geologischen Dienstes gehe angesichts der Tatsache, dass sich ein Großteil der ukrainischen Rohstoffe im Osten und Süden des Landes befindet, sogar davon aus, dass der Wert der verlorenen Rohstoffvorkommen noch größer ist, als von SecDev veranschlagt.
Fazit
Wie schon bei den Irak-Kriegen, dem Angriffskrieg auf Afghanistan, dem Einsatz in Mali und einer Vielzahl von weiteren Kriegen, darf man getrost davon ausgehen, dass der Kampf um die Kontrolle über Rohstoffe und Rohstoffwege eine wichtige Rolle spielt, wenn mit Wucht moralische Gründe für das gegenseitige Morden und die Unterstützung dafür angeführt werden.
Nachtrag 7.11.: Markus Lanz stimmt ein
In seiner Talkshow erläuterte Markus Lanz am 6. November aus seiner Sicht die wirtschaftliche Problematik eines Friedensvertrags mit Gebietsabtretungen „mit Blick auf Donald Trump“:
„In der Ukraine liegen 80% der Bodenschätze der Ukraine. Die liegen dort. Die hat dann Putin. Dort liegt auch sehr viel Lithium, wichtig für Batterieherstellung, die wir hier in diesem Land so dringend bräuchten. Das heißt, das hat auch unmittelbare wirtschaftliche Auswirkungen. Es liegt auch in unserem eigenen Interesse, dem nicht tatenlos zuzusehen. „
Anton Hofreiter, der für die Grünen dem EU-Ausschuss des Bundestags vorsitzt, stimmte zu:
„Das sehen Sie richtig. Es liegt massiv in unserem eigenen Interesse. Die russische Armee kämpft gerade darum, die größten Lithium-Vorkommen in Europa unter Kontrolle zu bringen.“