Fachkräftemangel selbst gemacht: Bankrott einer menschenfeindlichen, marktorientierten Berufsberatung

13. 02. 2020 In seinem Gastbeitrag hat Prof. Gerd Bosbach unter anderem darauf verwiesen, dass wir immer noch einen Ausbildungsplatzmangel haben, und dass ausgerechnet in den größten Mangelberufen Interessenten mit Schulgeld abgeschreckt werden. Ein ehemaliger Berufsberater sieht darin nur die Spitze eines Eisbergs von Politikversagen. Ein Leserkommentar* …


Die Situation auf dem sogenannten Ausbildungsmarkt ist viel negativer, als es in dem Beitrag von Gerd Bosbach (Faktenmangel statt Fachkräftemangel) zum Ausdruck kommt. Als ehemaliger Berufsberater bei der Agentur für Arbeit habe ich mich über die verlogene Statistik jahrelang geärgert.

Es werden immer nur die bei der Agentur für Arbeit „gemeldeten“ Stellen verglichen. Diese Zahlen geben aber nicht die Wirklichkeit wieder. Während die Arbeitgeber systematisch nach offenen Stellen abgefragt werden und diese Zahl daher wohl weitestgehend stimmt, sind es im Laufe der Jahre prozentual immer weniger Schulabgänger geworden, die sich bei der Agentur für Arbeit als Bewerber führen lassen.

Dies hat u.a. damit zu tun, dass die Rolle der Schulen bei der Berufsorientierung erheblich aufgewertet wurde und über die ausgeweitete Praktikumssuche Ausbildungsvermittlung ohne die Agentur für Arbeit betrieben wird. Obwohl die Beraterinnen und Berater seit der Umstellung im Rahmen des New Public Management-Konzeptes per Kennziffer-Vorgabe und Ranking erheblich unter Druck gesetzt wurden, mehr Ausbildungsplatzbewerber einzuwerben, erreichen sie nicht mehr so viel Schulabgänger wie früher.

Hätten wir genügend Ausbildungsplätze, könnten die Berufsbildenden Schulen einen großen Teil ihres Vollzeit-Angebotes einstellen. Denn viele Schüler, die mit oder ohne Unterstützung der Agentur für Arbeit keinen passenden Ausbildungsplatz finden, melden sich bei Berufsbildenden Schulen an, in der Hoffnung, auf diesem Wege ihre Ausgangsbasis für den Zielberuf zu verbessern. Diese Schulabgänger ohne Ausbildungsplatz gelten in der Statistik aber nicht mehr als „Unversorgte“, da sie ja einen Schulplatz gefunden haben und es wird sehr viel getan, um die Zahl der offiziell „Unversorgten“ möglichst gering zu halten.

In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, wie das Beratungskonzept der Agentur für Arbeit „marktkonform“ umgestellt wurde. Das hat sicher nicht zur Beliebtheit der Berufsberatung beigetragen und dafür gesorgt, dass viele sich erst gar nicht dort melden. Diese Umstellung und das neue, marktorientierte Konzept der Berufsberatung wird sehr treffend beschrieben im Beitrag eines Berufsberaters im Debatten-Magazin „Gegenblende“ mit dem Titel „Du wirst Bäcker, weil der Markt das will, basta!“:

* Der Name des Autors ist mir bekannt, er möchte aber anonym bleiben.

Anmerkung N.H.: Der verlinkte Text ist augenöffnend und schockierend. Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass so mit unseren, berufliche Orientierung suchenden Kindern umgegangen wird, dass Berufsberatung derart pervertiert worden sein könnte. Und trotzdem, oder gerade weil, derart radikal die Berufsberatung und Ausbildungsvermittlung den vermeintlichen Bedürfnissen des „Marktes“ untergeordnet wurde, hören wir nun seit Jahren immer lautere Klagen über Fachkräftemangel. Das sollte den Verantwortlichen und den Wählern sehr zu denken geben. Hätte man die jungen Menschen in den Vordergrund gestellt, wäre man sehr schnell auf die Idee gekommen, dass man denen, die im Prinzip geneigt wären, ebenso wichtige wie ordernde Arbeiten, zum Beispiel in der Pflege, zu übernehmen, dafür auch etwas dafür bieten sollte. Aber in Zeiten des besonders eklatanten Ausbildungsplatzmangels meinte man, darauf verzichten zu können, und mit Drangsalieren genauso weit kommen zu können. Das rächt sich jetzt bitter.

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