Am deutlichsten wird das, wenn es in dem Glossar: Berichterstattung Nahostkonflikt, das die Nachdenkseiten veröffentlicht haben, heißt:
„Wer greift was an? Die israelische Armee fliegt als Reaktion Angriffe im Gaza-Streifen. Ziele waren in der Vergangenheit stets militärische Einrichtungen der Hamas. Oft sterben dabei viele Zivilisten – die Hamas nutzt diese oft als menschliche Schutzschilde. Dennoch sollten wir stets klarmachen, dass es sich in der Regel um Angriffe auf militärische Ziele handelt.“
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Unabhängig davon, was die Informanten und Bilder im Einzelfall sagen und zeigen, sind ARD-Journalisten gehalten, die PR-Linie der israelischen Armee zu vertreten. Sie sollen verkünden, dass das Ziel militärischer Art war und dass die Hamas schuld an unvermeidlichen zivilen Opfern ist, weil sie diese als Schutzschilde benutzt hat. Das mag oft so sein, aber dies als generelle Sprachregelung auch für Berichte über künftige Ereignisse auszugeben, unabhängig von der Beweis- oder Indizienlage, hat nichts mehr mit Journalismus zu tun.
Bei aller Vorsicht hinsichtlich der Manipulationsmöglichkeiten mit Bildern, habe ich bei den in Schutt und Asche gelegten Stadtvierteln von Gaza, die man zu sehen bekommt, nicht wirklich den Eindruck, dass es sich immer und überall um Angriffe gegen militärische Ziele gehandelt hat.
Man darf als ARDler auch nicht neutral über die Hamas berichten. Man muss immer mitliefern, dass das die Bösen sind. Am besten soll man sie Terroristen nennen, mit Verweis darauf, dass viele Länder sie als terroristische Organisation eingestuft hätten:
„Die tagesschau vermeidet den Begriff „Hamas-Kämpfer“ und spricht von Terroristen. Als Synonyme bieten sich „militante Islamisten“, „militante Palästinenser“, „Terrormiliz“ oder ähnliches an.“
Dass es sich dabei fast ausschließlich um Nato-Länder und Nato-Verbündete handelt, wird nicht erwähnt. Ich kann mich erinnern, dass die Nachrichtenagentur Reuters vor vielen Jahren – zeitweise – den Ausdruck „Terroristen“ gestrichen hat, mit dem schlagkräftigen Argument, dass dem einen sein Terrorist dem anderen sein Freiheitskämpfer ist. Das Glossar für die ARD-Redakteure erwähnt sogar am Ende des Hamas-Eintrags, dass die UNO nicht von Terroristen spricht, sondern von „bewaffneten Gruppen“, und warum sie das tut. Aber Konsequenzen in Richtung einer neutraleren Wortwahl soll das bei der ARD nicht haben dürfen. Die ARD verbietet ihren Redakteuren neutrale Begriffe wie z.B. Kämpfer zu benutzen. Hier hat offenkundig die Nato-Sprachregelung Vorrang vor journalistischen Prinzipien zu haben.
Kleiner Exkurs: Im englischen Wikipedia gibt es unter (übersetzt) „Einstufung als terroristische Vereinigung“ (noch) eine recht ausgewogene Darstellung, um die allerdings im Hintergrund eine Debatte stattfindet. Die vielen und wichtigen Länder, die die Hamas nur mit ihrem militärischen Arm oder gar nicht als Terrororganisation einstufen, werden genannt, u.a. China, Russland und die meisten islamisch geprägten Länder. Im deutschen Wikipedia ist das im Sinne der Tagesschau-/Nato-Linie bereinigt.
Die Sprachregelung, die in der Version der Nachdenkseiten auf den 18.10. datiert, hat offenbar noch Gültigkeit und wird bis in den Exzess befolgt. In einem aktuellen Stück vom 28.10. auf Tagesschau.de zu den Reaktionen von Israel und Hamas auf eine Resolution der UNO-Vollversammlung für eine „sofortige humanitäre Waffenruhe stellt sich das so dar:
„…schrieb Israels Außenminister Eli Cohen auf der Plattform X.“
„Die im Gazastreifen herrschende und für den Großangriff auf Israel am 7. Oktober verantwortliche terroristische Islamistenorganisation Hamas lobte dagegen …“
Auch eine Liste von Experten, bei denen sie sich darauf verlassen können, das Richtige zu hören und zitieren zu können, wird den ARD-Redakteuren in dem Glossar an die Hand gegeben.
In meinen 25 Jahren als Journalist bei überregionalen Tageszeitungen ist mir nie so eine Sprachregelung begegnet, nicht einmal in Ansätzen. Lediglich Glossare zu den Schreibweisen von Wörtern und Ausdrücken gab es. Hätte eine Chefredaktion so etwas versucht, es hätte einen Aufruhr in der Redaktion gegeben. Offenbar beinhalten die hohen Gehälter der ARD-Redakteure ein Schmerzensgeld dafür, dass sie ihre journalistische Ehre an der Garderobe abgeben müssen.
Man darf annehmen, dass die „AG Sprache“, die die Sprachregelung für Nahost entwickelt hat, auch zu anderen Themen den öffentlich-rechtlichen Redakteuren keine Rechtschreibunterstützung gibt, sondern ihnen Sprachregelungen vorgibt, mit denen sie eine zentral vorgegebene Bewertung transportieren sollen, völlig staatsfern natürlich.