Martin Schmalz: Ökonomen lehren das Unglücklichsein

11. 12. 2021 | Anstatt dass wir würdigen, was wir tun, und darauf achten, anderen keinen Schaden zuzufügen, bringt uns die Ökonomik bei, in Opportunitätskosten zu denken und Schäden für Andere als „externe Effekte“ zu legitimieren, bemängelt Martin Schmalz in diesem Gastbeitrag.

Martin Schmalz. Wir stehen inmitten einer globalen Krise der psychischen Gesundheit. Wirtschaftswissenschaftler – selbst diejenigen, die sich als „Glücksökonomen“ mit Lebenszufriedenheit und Wohlbefinden befassen – sind weit davon entfernt, Lösungen beizusteuern. Vielleicht ist das Fachgebiet zu jung, als dass man das erwarten dürfte?

Ich glaube, die Diagnose ist schlimmer: Ich befürchte, dass wir Ökonomen Teil des Problems sind – durch die Art und Weise, wie wir Studenten seit Generationen beibringen, dass unsere Art zu denken die Richtige ist, und zwar nicht nur über die Wirtschaft, sondern auch über das Leben im Allgemeinen.

So jedenfalls sieht es aus dem Blickwinkel der fernöstlichen Traditionen aus, die auf eine jahrtausendealte Geschichte der Erforschung des Wohlbefindens zurückblicken. Eine Grundlage des menschlichen Wohlbefindens in der yogischen Philosophie ist das Gebot, anderen Wesen keinen Schaden zuzufügen.

Im krassen Gegensatz dazu ist es in der Mainstream-Wirtschaftswissenschaft schlicht eine Frage der Legalität und des Preises, ob es für Individuen vernünftig ist, anderen „negative Externalitäten“ aufzuerlegen, also ihnen Schaden zuzufügen.

Einem Yogi oder einem Buddhisten ist dagegen klar, dass es nahezu unmöglich ist, ein emotional-geistiges Gleichgewicht auf einem so wackeligen Fundament zu halten. Für sie sind die Ersten, die durch unheilsame Handlungen geschädigt werden, die Handelnden selbst.

Opportunitätskosten machen unglücklich

Ein zweites Beispiel: In den Wirtschaftswissenschaften bemühen wir uns, in Opportunitätskosten zu denken: „Wenn ich diese Kolumne nicht lesen würde, was könnte ich stattdessen mit meiner Zeit anfangen?“ „Wenn ich meinen Job aufgäbe, wie viel könnte ich in einem anderen verdienen?“ „Mit wem könnte ich zusammenkommen, wenn ich meinen Partner verließe?“

Diese Denkweise widerspricht der grundlegenden Einsicht der östlichen Traditionen, dass das Glück in der Akzeptanz und Wertschätzung der Erfahrung des Augenblicks liegt. Das Denken in Alternativen ist die direkte Ursache des Leidens.

Unsere fortgeschrittenen Lehren machen die Sache noch schlimmer. So sind Nutzenmaximierungs-Überlegungen darüber, ob unterschiedliche potenzielle Liebespartner Substitute oder komplementäre Güter sind – ob wir also mit zwei Partnern einen höheren oder einen geringeren Nutzen erzielen als mit nur einem –, nicht förderlich für harmonische zwischenmenschliche Beziehungen.

Die Denkweisen, die zu wirtschaftlichem Erfolg führen, scheinen also im Widerspruch zu denen zu stehen, die zu geistigem und emotionalem Wohlbefinden führen. Es geht nicht darum, welche Denkweise richtig oder falsch ist, sondern darum, welche Denkweise nützlich zur Erreichung mitunter unterschiedlicher Ziele ist. Vielleicht sollten wir unseren Studenten und unserem sonstigen Publikum diesen Warnhinweis mitliefern.

Der Weg sollte das Ziel sein

Auch wie wir unser Berufsleben organisieren, macht viele von uns fast zwangsläufig unglücklich. Der Grund dafür ist aber relativ leicht zu beheben, wenn man sich das zugrunde liegende Problem erst einmal bewusst gemacht hat.

Es liegt darin, dass wir dazu neigen, unsere Arbeit und unsere Projekte zu fokussiert auf das Ergebnis anzugehen. Es wird ein klares Ziel gesetzt: zum Beispiel die Veröffentlichung des Arbeitspapiers, das Geld für einen neuen Porsche, die Beförderung. Vorher gibt es keine Befriedigung.

Die fehlende Befriedigung ist nicht notwendigerweise schlecht – schließlich kann der Mangel an Zufriedenheit eine motivierende und produktivitätssteigernde Wirkung haben. Aber befriedigend wird die Tätigkeit nicht sein, bis das Ziel erreicht ist.

Tragischerweise bekommt man aber auch keine Befriedigung, wenn der Beförderungsbrief kommt oder der Porsche in der Garage steht, zumindest nicht für mehr als einen kurzen Moment: Statt dauerhaften Glücks tut sich schnell eine Leere der Bedeutungslosigkeit auf. Und diese Lücke muss mit einem neuen Projekt oder Ziel gefüllt werden, sonst kommt es zu Depressionen.

Der „Fehler“ liegt in der überzogenen Bedeutung, die man dem singulären Zeitpunkt der Zielerreichung zuschreibt. Sie steht im Gegensatz zur Wertschätzung des fortlaufenden Engagements mit dem Prozess, der zum Ziel führt.

Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel unterschied diese alternativen Wege als atelische, nicht zielbezogene, im Gegensatz zu telischen, zielbezogenen Tätigkeiten. Yogis üben sich im Atmen und Stillsitzen, um zu lernen, den Geist auf den Prozess des bloßen Seins zu konzentrieren. Dieser Prozess ist kontinuierlich und nicht selbstzerstörerisch.

Glücklicherweise gibt es eine schnelle Lösung für dieses Problem, die keine jahrelange Hingabe erfordert. Wir können uns selbst glücklicher machen, ohne zu ändern, was wir tun, nur, indem wir ändern, wie wir es tun. Es genügt eine Änderung der Einstellung.

Wenn wir beschließen, unsere Arbeit als Wirtschaftswissenschaftler wertzuschätzen und kontinuierlich unser Bestes zu geben, um zum Beispiel der Welt wertvolle Erkenntnisse zu liefern, ist unsere Arbeit nicht mehr auf einen bestimmten Zeitpunkt ausgerichtet.

Die Kontinuität einer sinnstiftenden Existenz ist dann gewährleistet – selbst wenn wir etwas tun, was nicht direkt zur nächsten Veröffentlichung beiträgt oder sogar in Konflikt damit steht, unterrichten oder Studenten betreuen etwa.

Martin Schnmalz ist Finance Professor an der Said Business School der Universität Oxford. Sein einflussreichster wissenschaftlicher Aufsatz ist „Anticompetitive Effects of Common Ownership“ von 2018. Er bloggt Auf Deutsch unter dem Titel „View from Oxford

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