Das Bundesverfassungsgericht hat viel Vertrauen verloren, weil ein von der CDU ausgewählter und installierter Vorsitzender namens Stephan Harbarth anregte, dass ein Abendessen der Verfassungsrichter mit den Bundesministern ein Thema bekam, das der Regierung Gelegenheit bot, hinter verschlossenen Türen den Richterinnen und Richtern – abstrakt, wie es heißt -, zu erläutern, unter welchen Schwierigkeiten und Zwängen sie in der Pandemie Entscheidungen traf: Entscheidungen, über die das Verfassungsgericht demnächst, nach viel zu langem Wegtauchen, wird urteilen müssen.
Das wird zu Recht als Verwischung des für die Demokratie zentralen Prinzips der Gewaltenteilung kritisiert.
Beim Bundesfinanzhof, dem obersten Gericht in Steuersachen, haben CDU und SPD die Positionen des Präsidenten und der Vizepräsidentin unter sich aufgeteilt. Weil gleich beide Kandidaten die geforderte mehrjährige Erfahrung an einem obersten Bundesgericht nicht aufwiesen, hat die Justizministerin die Anforderungen einfach mal schnell gesenkt – ohne die übliche Rücksprache mit den obersten Bundesrichtern.
Professor Hans-Friedrich Lange, Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof a.D. hat den Vorgang vor einem Jahr in der Zeitschrift Deutsches Steuerrecht beschrieben („Ernennung zum Präsidenten des BFH und zur Vizepräsidentin des BFH ohne vorherige Tätigkeit an diesem Gericht?“ Heft 44, 31. Oktober 2020). Der Vorstand des Vereins der Richterinnen und Richter des BFH schrieb seinerzeit vor der Entscheidung des Richterwahlausschusses für die beiden Regierungskandidaten einen Protestbrief an den Wahlausschuss – ohne Erfolg. Auch der Richterbund protestierte.
Obwohl die Ernennungsurkunde schon ein halbes Jahr unterschrieben ist, kann Hans-Josef Thesling (CDU) die Präsidentenstelle nicht antreten, weil Anfechtungsklagen unterlegener Mitbewerber gegen das anrüchige Auswahlverfahren laufen. Auch um die als Vizepräsidentin vorgesehene Finanzrichterin Anke Morsch, ehemalige SPD-Staatssekretärin im saarländischen Landesjustizministerium wird noch gestritten.
Reformbemühungen, um die Richterstellen an den obersten Gerichten dem Einfluss der Parteien wenigstens etwas zu entziehen, scheitern regelmäßig. So sinnvoll anmutende Vorschläge wie Wahl von Richtern in öffentlichen Sitzungen, gesetzlich festgelegte Mindestqualifikationen, ein Recht der Wahlausschüsse, die Kandidaten zu befragen, die Aufnahme von Richtern in die Wahlausschüsse – es bleiben Vorschläge.
Nur die Spitze des Eisbergs
Bereits 2017 habe ich aus Anlass des losbrechenden Streits um die polnische Justizreform getitelt: „Unabhängige Justiz? Wer im Glashaus sitzt, soll nicht auf Polen werfen.“ Damals meinte ich noch, an den obersten Gerichten sähe es mit der Unabhängigkeit ganz gut aus, aber bis man als Richterin oder Richter dorthin befördert werde, müsse man auf vielfältige Weise und oft nachweisen, dass man gewillt ist, staatsdienliche, regierungsgenehme Entscheidungen zu treffen.
Ein Zitat von Thomas Fischer, ehemaliger Bundesrichter in Karlsruhe, aus Zeit Online will ich hier nochmal wiedergeben. Er schreibt von einem hochdifferenzierten System formeller und informeller Kontrolle:
„In fast allen Bundesländern gibt es‚ Erprobungen nach der Erprobung, das heißt Abordnungen an Obergerichte zur Erprobung der Beförderungstauglichkeit von R1 nach R2. Man nennt das auch „Drittes Staatsexamen“; es ist nicht selten ein demütigender Härtetest auf Angepasstheit. Andere Länder machen das, indem sie nur im „Zickzack“ befördern: Im Wechsel zwischen (weisungsabhängiger) Staatsanwaltschaft und (weisungsunabhängigem) Richteramt.“