Gastbeitrag: Das CETA-Abkommen mit Kanada ist rechtswidrig

Von Fritz Glunk. Jetzt sind wir nicht mehr auf Vermutungen angewiesen: Die 1500 Seiten des Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) liegen vor, Ende September wollen die Vertragspartner sie in Ottawa unterschreiben. Was sie dort unterschreiben, ist wenig amüsant. Mehr noch: Es gibt Anlass zu der Frage, ob die EU-Kommission zu den Verhandlungen bestimmter Kapitel des Abkommens überhaupt befugt war, mit anderen Worten: Ist CETA rechtswidrig?

Fest steht, dass die Mitgliedsstaaten der EU mit dem Lissabon-Vertrag (2007) ihre Zuständigkeit für den Außenhandel an die EU abgegeben haben. Wenn die Kommission also ein Handelsabkommen mit zum Beispiel Kanada aushandelt, so bewegt sie sich durchaus auf dem Boden ihrer ausschließlichen Zuständigkeit für eine “gemeinsame Handelspolitik” der EU (Artikel 2b des Lissabon-Vertrags). Sie agiert hier in einem weiten Feld; sie kann also, für alle Mitgliedsstaaten bindend, nicht nur Zölle festlegen, sondern auch jeden Außen-Handel mit Waren und Dienstleistungen regeln. Und das ist noch nicht alles: Sie regelt ebenso die “Handelsaspekte des geistigen Eigentums, die ausländischen Direktinvestitionen, die Vereinheitlichung der Liberalisierungsmaßnahmen” dazu die gesamte Ausfuhrpolitik der EU “sowie die handelspolitischen Schutzmaßnahmen, zum Beispiel im Fall von Dumping und Subventionen” (Artikel 188c). In all diesen Politikbereichen hat die Bundesrepublik Deutschland allein nichts mehr zu bestimmen.

Fest steht aber auch, dass hier nur von (ausländischen) Direktinvestitionen die Rede ist, also von Investitionen, bei denen der Investor selbst Einfluss auf die Geschäftstätigkeit ausüben kann. Das ist charakteristisch nicht der Fall bei den sogenannten Portfolioinvestitionen, bei denen der Investor nicht an der Leitung, sondern nur am wirtschaftlichen Ergebnis des Unternehmens beteiligt ist (etwa durch Wertpapiere oder Investmentzertifikate). Für diese Formen der indirekten Investition hat die EU keine Zuständigkeit.

CETA jedoch beschäftigt sich ausdrücklich mit diesen Portfolioinvestitionen. Es definiert lang und breit, was in dem Abkommen mit “Finanzdienstleistungen” gemeint ist: Und da liest man plötzlich (u.a. Seite 254), dass hier auch “portfolio research and advice” (Forschung und Beratung) von CETA erfasst werden sollen. Noch deutlicher: In mehreren späteren Abschnitten hat CETA dann auch sogenannte “Portfolio Management Services” im Visier (Seite 269ff).

Wir müssen fragen: Was berechtigt die EU, sich um Portfolio-Investitionen zu kümmern, für die sie nach EU-Recht nicht zuständig ist?

Sie geht in den Verhandlungen aber noch darüber hinaus.

Kurz zurück zum Lissabon-Vertrag von 2007. Er schweigt bezeichnenderweise über einige wesentliche Felder der Wirtschaftspolitik. So enthält der Katalog der Kommissions-Zuständigkeiten vor allem nicht die Kompetenz für die Steuergesetzgebung; sie bleibt selbstverständlich den Mitgliedsstaaten überlassen. Hier ist die rechtliche Lage ganz eindeutig (weshalb ja auch für die angedachte Erhebung einer EU-Steuer eine grundlegende Änderung der EU-Verträge erforderlich wäre). Die EU, sagt Juraprofessor  Axel Flessner in einem Interview mit dem Verfasser, „hat auf keinen Fall die Zuständigkeit, Steuern zu erheben und die Besteuerung in den Mitgliedstaaten zu regeln.”. Bisher hat sich die Kommission daran auch gehalten. Jetzt aber findet sich im EU-Kanada-Abkommen ein eigenes Kapitel “Besteuerung” („Taxation”, Seite 466), in dem, so Flessner weiter,“geregelt wird, unter welchen Umständen der Vertragsstaat steuerliche Maßnahmen ergreifen darf. Er darf zum Beispiel gegen Steuerhinterziehung vorgehen, bestimmte Techniken der Besteuerung verwenden und anderes mehr.”

Wir müssen schon wieder fragen: Wie kommt die EU überhaupt dazu, den Mitgliedstaaten zu “erlauben”, bestimmte steuerliche Maßnahmen zu ergreifen, andere aber nicht?”

Noch beunruhigender ist in diesem Kapitel die Methode der sogenannten “Negativliste” In Artikel X 06). Bei diesem Verfahren werden alle Steuerarten aufgezählt, für die das CETA-Abkommen nicht gelten soll. Alle künftigen Besteuerungen, die heute etwa noch nicht existieren, werden durch CETA und die EU geregelt. Und um diese Bestimmung völlig wasserdicht zu machen, gibt CETA jedem ausländischen Investor auch in diesem Punkt ein Klagerecht gegen den Gaststaat. Er kann geltend machen, dass eine bestimmte steuerliche Maßnahme ihn besonders hart trifft und damit gegen die Investitionsschutzbestimmungen in  CETA verstößt. Wie mit dieser Unterwerfung unter fremde Richter weiter zu verfahren ist, wird in CETA ausführlich dargelegt. Axel Flessner (und mancher Kollege) kann hier nur ungläubig den Kopf schütteln: “Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Staaten mit demokratischer Verfassung sich für ihre Gesetze und Regierungsakte qua selbstgeschlossener Verträge in die Rolle von schadensersatzpflichtigen Beklagten gegenüber Privatpersonen und privaten Unternehmen bringen lassen.”

Dass die Kommission bei CETA rechtswidrig, also ohne dass sie dafür zuständig ist, die noch verbliebenen Hoheitsrechte der Mitgliedsstaaten einschränkt, ist auch für den Nicht-Juristen mit Händen zu greifen. Fast unabweislich wird die Feststellung: Die EU-Kommission hat sich bei den CETA-Verhandlungen Zuständigkeiten angemaßt, die sie nach dem Lissabon-Vertrag nicht hat. Sie hat unerlaubt in die Hoheitsrechte der Mitgliedsstaaten eingegriffen und damit, man muss es wohl so nennen, eine widerrechtliche Selbstermächtigung begangen.

Da wir an ein einigermaßen gutes Regierungshandeln glauben, ist kaum zu vermuten, dass in den vielen Referaten der Ministerien verfassungsrechtliche Bedenken nicht wenigstens halblaut geworden wären. Öffentlich war davon aber bisher nichts zu hören. Das mag sich unter den allgemeinen Protesten der Bevölkerung jetzt vielleicht ändern: „Dann muss doch auch die prozessuale Angreifbarkeit von CETA irgendwann in den Blick kommen.” (Axel Flessner)

Andernfalls bliebe dann nur noch die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde, und zwar jeder und jedem Deutschen. Sie besteht, sobald CETA rechtskräftig ist, also auch der Deutsche Bundestag zugestimmt hat (ob er allerdings gefragt wird, ist zweifelhaft, denn die EU-Kommission hat andere Pläne, wie Kommissar Oettinger dem Verfasser auf einem neulichen Empfang sagte: „Wir wären ja blöd, wenn wir ein Abkommen machen würden, dem erst noch alle 28 Mitgliedsstaaten zustimmen müssten!”. Es wird darauf ankommen, dann bereitzustehen, das heißt sofort  nach der Zustimmung den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz beim Bundesverfassungsgericht in den Briefkasten zu werfen.

Fritz Glunk ist Gründungsherausgeber des politischen Magazins DIE GAZETTE (www.gazette.de) und Herausgeber des Buches „Das MAI oder die Herrschaft der Konzerne“ (dtv, 1998).

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Schlagwörter: CETA, TTIP, Investorenschutz, Portfolioinvestitionen, Verfassungsbeschwerde

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