Das Geschäftsmodell der Firma Wirecard war Geldwäsche und Bilanzbetrug. Von der Politik wurde das vermeintliche Vorzeige-Erfolgsunternehmen trotzdem hofiert. Die Finanzaufsicht Bafin, die dem Finanzminister untersteht, sah ihre Rolle darin, das Unternehmen gegen Kritiker zu verteidigen. Alles andere als ein Erfolgsausweis für die staatlich organisierte Finanzaufsicht.
Das kommt Institutionen wie der Bertelsmann Stiftung und dem Jacques Delors Centre an der Privatuniversität Hertie School, wie gerufen. Sie fordern nun, dass man dem Staat die Finanzaufsicht wegnehmen sollte. Die Bertelsmänner sind notorisch für Privatisierung. Das Jacques Delors Institut ist generell für die Entmachtung der nationalen Regierungen zugunsten europäischer Regeln und Institutionen.
In Ihrem gemeinsamen Werk „Jenseits von Wirecard: Europa braucht unabhängige Finanzaufsichtsbehörden, nicht nur in Deutschland„, lassen die beiden Institutionen Autor Sebastian Mack zwar nicht direkt der Privatisierung das Wort reden, aber es kommt dem schon ziemlich nahe:
„Dieses Policy Brief schlägt vor, europäische Vorgaben zur Unabhängigkeit, Rechenschaftspflicht und Transparenz nationaler Finanzaufsichtsbehörden zu erlassen. Insbesondere sollten alle Aufsichtsbehörden frei von wirtschaftlichen Interessen und politischen Überlegungen Entscheidungen treffen können, ihr Budget selbst verwalten sowie Besetzung und Abberufung der Behördenleitung objektiven Kriterien folgen. Im Gegenzug müssten Aufsichtsbehörden transparent über ihr Handeln berichten und regelmäßig Rechenschaft ablegen, idealerweise gegenüber dem Parlament.“
Mack hält sich nicht lange damit auf, die steile These zu begründen, dass die Finanzaufsicht von der Politik unabhängig sein sollte, dass es eine Schwäche sei, wenn das nicht der Fall ist. Es muss genügen, auf eine entsprechende Forderung des maßgeblich von der Finanzbranche finanzierten Instituts SAFE an der Frankfurter Uni und auf den Internationalen Währungsfonds zu verweisen. Ansonsten sollen wir einfach das knappe Argument für bare Münze nehmen, es sei eine unsachgemäße Interessenverquickung, wenn Regierungsvertreter staatliche Interessen in die Finanzaufsicht einfließen lassen. Die unausgesprochene Grundannahme scheint zu sein: das muss europäisch oder mindestens streng und nur nach europäischen Vorgaben geregelt werden, sonst läuft das falsch.
Aber warum sollte das so sein. Wenn in der Finanzaufsicht etwas schief geht, kann das die (nationalen) Steuerzahler viele Milliarden kosten. Soll dafür wirklich niemand gerade stehen müssen, außer dem Chef einer unabhängigen Behörde, und der auch nur, wenn er will und es nicht vorzieht, sich hinter der angemahnten kollegialen Entscheidung des Gremiums zu verstecken.
Wenn er nicht zurücktreten wollte, könnte er, dem Vorschlag zufolge, nur noch unter sehr restriktiven Bedingungen entlassen werden. Es wäre nicht möglich, ihm zu sagen, wie das wohl im Fall von Bafin-Chef-Hufeld und seiner Vize Hoegele geschah: „Entweder Du trittst zurück, oder ich entlasse Dich.“
Ich bin sicher, Angela Merkel und Olaf Scholz, die kürzlich vor dem Wirecard-Untersuchungsauschuss ihr Versagen rechtfertigen mussten, hätten sich sehr gefreut, hätte eine unabhängige Behörde diese Fehler allein gemacht.
Die derzeitige Aufsichts- und Weisungsbefugnis und Verantwortung des Finanzministers würde dem Vorschlag zufolge ersetzt durch eine blutleere pro-forma-Rechenschaftspflicht gegenüber dem Parlament, wie wir sie von den peinlichen Anhörungen der Präsidentinnen und Präsidenten der unabhängigen Europäischen Zentralbank am Europaparlament kennen. Mehr, als kritische oder peinliche Fragen zu stellen, können die Parlamentarier nicht und selbst das tun sie selten genug. Nicht einmal über das Budget der Aufsicht sollen die Parlamentarier bestimmen dürfen. Reden muss genügen.
Das Papier enthält auch gelegentliche und folgenlose Hinweise, dass auch die Unabhängigkeit von der Finanzbranche wichtig ist. Aber wessen Interessen bestimmen die Finanzaufsicht, wenn staatliche abgeblockt werden? In den Aufsichtsgremien dürfen dem Vorschlag zufolge ausdrücklich keine Regierungsvertreter sitzen. Es steht darin nichts davon, dass keine Vertreter von Finanzinstituten vertreten sein sollen. Das Budget soll über Zwangsbeiträge der beaufsichtigten Institute finanziert werden. Das ist bisher schon das Modell und wurde bisher von den zahlenden Finanzinstituten als Argument benutzt, ihren Anspruch auf einen Sitz im Aufsichtsgremium argumentativ zu unterfüttern.
Im Papier heißt es: „Bei der Auswahl sollten relevantes Fachwissen aus Wissenschaft und Praxis sowie internationale Erfahrung maßgeblich sein.“ Wer wird das wohl sein? Vertreter von Finanzinstitutionen, Wissenschaftler aus dem Finanzbereich und sonstige Finanzexperten, die vermutlich mehrheitlich große Teile ihres Gehalts direkt oder indirekt von der Finanzbranche beziehen. Auch wenn pro forma gesagt wird, die Aufsicht müsse unabhängig von der Finanzbranche sein, de facto will man sie aus dem Staat herauslösen und der Finanzbranche selbst überantworten.
Bafin ist jetzt schon zu nah an der Finanzbranche
Dass das Hauptproblem bei der Bafin in übergroßer Nähe zu den beaufsichtigten Instituten und nicht zur Regierung liegt, zeigt, was jetzt über die Bafin-Verwicklung in die viele Milliarden Euro schweren Cum-Ex-Steuerbetrügereien bekannt wurde. Danach hat ein Informant schon 2007 der Bafin Dokumente über den Steuerbetrug zugespielt, die an die Bafin-Leitung weitergegeben wurden. Diese hat aber nicht die Regierung und die Staatsanwaltschaft informiert, sondern lediglich die betroffene Skandalbank WestLB, und zeigte dieser sogar einige der Dokumente, sodass diese erschließen konnte, woher diese kamen. Als die Bank dann sagt, sie mache nichts Falsches, ließ die Bafin die Sache auf sich beruhen.
(Letzter Absatz um 19.22 Uhr eingefügt)