Klickarbeit: ein Rückfall in längst überwunden geglaubte Zustände

Millionen verrichten weltweit über das Internet kleinste Jobs gegen Centbeträge. Auch in den Industrieländern wächst dieser noch kleine Arbeitsmarkt stark. Das hilft den Unternehmen, Kosten zu sparen. Für die Clickworker soll es eine gute Gelegenheit sein, mit sonst ungenutzter Zeit etwas dazuzuverdienen. Aber so läuft es nicht…

Vermittelt von Internetplattformen und Apps ist in den vergangenen Jahren ein neuer Arbeitsmarkt entstanden: Arbeiter und Auftraggeber finden dort für kleinste Jobs zusammen. Manchmal geht es nur um Minuten, die gearbeitet wird, einige Jobs lassen sich sogar in Sekunden erledigen. Gezahlt werden dann Centbeträge.

Seit Juni sollten dieser Jobs eingetlich nicht mehr erlaubt sein. Das „Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch“ verbietet es, Arbeitskraft als Tagelöhner im öffentlichen Raum anzubieten, oder solche Angebote in Anspruch zu nehmen. Verhindert werden soll, dass Arbeitsschutz- und Steuergesetze unterlaufen werden. Aber für Clickwork gilt dieses Gesetz nicht. Der öffentliche Raum Internet ist nicht gemeint, nur der sogenannte „Arbeiterstrich“ auf der Straße.

Zwei Ökonominnen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) haben nun untersucht, wie sich dieser Arbeitsmarkt aus Sicht der Auftragnehmer gestaltet. Insbesondere haben Uma Rami und Marianne Furrer analysiert, wie es um die Möglichkeiten der Klickarbeiter bestellt ist, durch Erfahrung und gute Arbeit ihren Verdienst zu mehren. Hierzu gab es bisher kaum wissenschaftliche Erkenntnisse.

Die Frage ist besonders interessant, weil Plattformen wie der 2005 eingeführte Amazon Mechanical Turk oder die große deutsche Plattform Clickworker ein stürmisches Wachstum verzeichnen. Es ist daher denkbar, dass derartige fragmentierte Arbeitsverhältnisse in Zukunft einen beträchtlichen Teil des Arbeitsmarktes ausmachen.

Wenn durch Lernen im Job, Erfahrung und Reputationsaufbau viel zu holen wäre, gäbe das Grund zu der Erwartung, dass sich Arbeitsbedingungen und Bezahlung im „Crowdwork“, wie diese Arbeitsform auch genannt wird, mit der Zeit verbessern. Andernfalls wäre die Ausbreitung des Crowdwork eine sehr schlechte Perspektive für die Arbeitnehmerschaft. Denn die Bezahlung ist bisher wegen der weltweiten Konkurrenz notorisch schlecht und die ausgeschriebenen Aufgaben sind oft nervtötend einfach und monoton.

Monotones Arbeiten, weit unter Mindestlohn bezahlt

Das hat System und macht den Reiz der Klickarbeit für die Auftraggeber aus. Aus komplexeren Aufgabenbündeln, die bisher von eigenen, über Mindestlohn bezahlten und sozialversicherungspflichtig angestellten Mitarbeitern erledigt wurden, werden die einfachsten, gut beschreibbaren Handgriffe herausgelöst und gegen kleine Vergütung breit ausgeschrieben.

Das kann große Ersparnisse bringen, wie die Autorinnen anhand von Beispielen berichten. So könnten Versicherungsformulare für ein Sechstel der bisherigen Kosten digitalisiert werden, oder ein kleines, spezialisiertes Programm für fünf Dollar von einem Klickarbeiter eingekauft werden, statt für 2000 Dollar von einem mittelständigen Zulieferer. Die Plattformen ermöglichen es Unternehmen, weltweit Leute zu finden, die dringend genug Geld brauchen, dass sie Arbeiten zu fast jedem Lohn erledigen.

Die Konsequenz auf der Gegenseite ist, dass monotones Arbeiten wie zu Hochzeiten des Taylorismus zunehmend um sich greift. Das Prinzip des Taylorismus bestand darin, Arbeiten, die bis dahin qualifizierte Handwerker erledigt hatten, in einzelne Handgriffe zu zerlegen, die dann schnell und effizient am Fließband von angelernten Arbeitskräften erledigt werden konnten.

Möglicherweise ist die Monotonie der Arbeit und die schlechte Bezahlung nur ein Anfangsphänomen. Vielleicht werden, wie seinerzeit in den Fabriken, die Aufgaben der Arbeitnehmer auch wieder komplexer, wenn sich das System etabliert und verfeinert hat, und wenn die Auftragnehmer ihre Zuverlässigkeit und Qualifikation gezeigt haben.

Dafür fanden die Autorinnen jedoch bei ihrer Befragung von 2350 Klickarbeitern wenig Indizien. Sie schrieben die Befragung als bezahlte Klickarbeit auf fünf großen internationalen Plattformen aus, darunter Clickworker. Sie fanden Ergebnisse anderer Studien bestätigt, wonach die erzielbare Vergütung pro Stunde in Industrieländern überall weit unter dem Mindestlohn liegt.

So verdienten unter Berücksichtigung unbezahlter aber nötiger Nebentätigkeiten, wie Suche und Abwicklung von Aufträgen, nur ein Drittel der amerikanischen Klickarbeiter mindestens den nationalen Mindestlohn von 7,25 Dollar. Von den deutschen kamen sogar nur 10 Prozent auf den Mindestlohn von 8,84 Euro. Der Durchschnitt in Industrieländern lag bei knapp vier Dollar die Stunde, der Median sogar nur bei drei Dollar. Der Median ist derjenige Stundenlohn, der genau in der Mitte der Verteilung liegt. Die Hälfte verdient weniger, die andere Hälfte mehr.

Die meisten Klickarbeiter sind überqualifiziert

Dabei sind die meisten Klickarbeiter hochqualifiziert. Die Hälfte derjenigen, die länger dabei sind, hat einen Universitätsabschluss. Das Anforderungsprofil der Aufgaben liegt typischerweise weit unter dem Qualifikationsniveau der Klickarbeiter. Das bessert sich auch mit zunehmender Erfahrung nur wenig, geben die Klickarbeiter an.

Es schlägt sich auch bei den Verdienstperspektiven nieder. Im ersten Jahr, in dem sich Neuankömmlinge auf den Plattformen noch eine Reputation erwerben und Erfahrung sammeln müssen, steigt der Verdienst merklich an, von unter vier Dollar auf knapp fünf Dollar im Durchschnitt über alle Plattformen und Regionen. Aber schon nach zwei Jahren gibt es für die Klickarbeiter im Durchschnitt keine Verdienststeigerung mehr.

Möglichkeiten zur bezahlten Qualifizierung gibt es praktisch nicht, Learning on the Job findet ebenfalls kaum statt. Im Gegenteil machen die Klickarbeiter die Erfahrung, dass ihre Tätigkeit sowohl im sozialen Umfeld als auch bei traditionellen Arbeitgebern einen schlechten Ruf hat. Sie machen sich deshalb Sorgen, ob sie nach einer Zeit als Klickarbeiter noch Chancen auf einen normalen Job haben.

Dabei ist die Klickarbeit für viele durchaus nicht nur eine unbedeutende Nebenbeschäftigung für die Zeit bis der Bus kommt oder die Fahrt im Zug. In Entwicklungsländern ist sie für 41 Prozent der Umfrageteilnehmer die Haupteinkommensquelle, in Industrieländern immerhin für 27 Prozent.

Der Auftraggeber entscheidet, ob er zahlt

Auch in Sachen grundlegende Arbeitnehmerrechte sind die Klickarbeits-Plattformen ein Rückfall in längst überwundene Zustände. Der Anteil nicht bezahlter Arbeit ist hoch, war ein weiteres Ergebnis der Befragung. Der Patron entscheidet völlig frei. Ist er nicht zufrieden, bezahlt er nicht. Eine Begründung sei nicht erforderlich. Oft könne er sogar das Arbeitsergebnis behalten.

Die Untersuchung stützt die Forderung der ILO nach Einführung internationaler Mindeststandards für Digitalarbeit. Wenn es eines Gesetzes gegen Tagelöhnerei bedurfte, dann lässt sich nur schwer begründen, warum man auf solche Standards verzichtet.

[27.11.2019]

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