Die traditionsreiche Washington Post gehört zu den wichtigsten Zeitungen der USA. 2013 wurde sie von Jeff Bezos, dem Gründer und Großaktionär von Amazon gekauft. Mit einem Vermögen von rund 200 Mrd. Dollar ist er einer der reichsten Menschen der Welt.
Ende Februar gab Bezos dem Meinungsressort der Washington Post eine Instruktion, die er auch auf der Plattform X veröffentlichte. Er schrieb, künftig dürften dort nur noch Meinungen publiziert werden, die zur Unterstützung der Prinzipien persönlicher Freiheiten und freier Märkte beitrügen. Andere Themen dürften auch vorkommen, aber alles, was diesen beiden Prinzipien widerspreche, werde künftig nur noch „von anderen“ veröffentlicht. Plattform-Eigner Elon Musk, der derzeit reichste Mensch der Welt, lobte ihn dafür.
Ausgerechnet von den Ökonomen der Universität Chicago, einem Hort des Marktliberalismus und Alma Mater der mit Abstand meisten Ökonomie-Nobelpreisträger, bekommt Bezos dafür kräftigen Gegenwind. In einem Beitrag im Magazin Pro Market ruft Luigi Zingales, ein international renommierter Professor für Unternehmertum, externe Kommentatoren der Post dazu auf, die Zeitung zu boykottieren und ihre Meinungsbeiträge stattdessen anderswo zu veröffentlichen. Denn die Post sei nicht länger „eine Arena, in der die Debatte zwischen den besten Ideen die Wahrheit hervorbringt“. Er schreibt:
„Es ist immer traurig, wenn die freie Debatte aus ideologischen Gründen eingeschränkt wird. Noch trauriger ist es, wenn sich hinter den erklärten Zielen noch viel schlimmere verbergen können. Die Begriffe „persönliche Freiheiten und freie Märkte“ aus dem Munde eines Milliardärs sind oft Codewörter für „ungebunden durch das Gesetz“ und „frei, Monopolmacht zu missbrauchen“. Meint Bezos, dass jeder Meinungsartikel, der sich für irgendeine Form der Regulierung oder Kartellrechtsdurchsetzung ausspricht, verboten wird? Wie der Philosoph Isaiah Berlin sagte: „Freiheit für die Wölfe hat oft den Tod für die Schafe bedeutet“.“
Für Zingales ist die Washington Post nur noch „ein Propagandainstrument eines Milliardärs“. Die Leser hätten bereits reagiert, indem 75.000 von ihnen ihr Online-Abo gekündigt hätten. Die Anzeigenkunden würden folgen, wenn auch die Schreibenden abwandern. Der Leiter des Meinungsressorts hat in Reaktion auf Bezos Vorgabe gekündigt.
Schon im Wahlkampf hatte sich Bezos in die Redaktion der Zeitung eingemischt. Er verhinderte unter anderem eine Wahlempfehlung zugunsten von Kamala Harris. Laut Neuer Züricher Zeitung haben 200.000 der 2,5 Millionen Abonnenten ihr Abo gekündigt.
Zingales beklagt, dass der freie Wettstreit der Ideen in den USA immer mehr eingeschränkt werde. Zwei Oligarchen kontrollierten die wichtigsten sozialen Medien. Ein paar mehr kontrollierten die meisten wichtigen Zeitungen, „von der Washington Post bis zum Wall Street Journal, von der Los Angeles Times bis zur Minnesota Star Tribune“ . Die New York Times gehört über Dow Jones dem Murdoch Clan, ebenso wie viele andere US-Zeitungen. Die Los Angeles Times gehört dem Milliardär Patrick Soon-Shiong. Die Minnesota Star Tribune gehört der Investmentfirma Avista Capital Partners. Zingales warnt:
„Selbst wenn diese Machtkonzentration nicht zu einer expliziten Zensur führt, provoziert sie ein hohes Maß an freiwilliger Selbstzensur. Welcher Journalist ist schon bereit, einen Oligarchen zu kritisieren, wenn einige wenige von ihnen alle seine zukünftigen Karrieremöglichkeiten kontrollieren?“
In Deutschland ist es kaum besser. Auch hier gehören die wichtigsten Zeitungen einer handvoll reicher Familienclans. Ein Journalist, der für staatliche Regulierung, Umverteilung und hohe Steuern für Reiche eintritt, hat in einem solchen Umfeld ausgesprochen schlechte Karriereperspektiven. Unter anderem deshalb weicht die veröffentlichte Meinung oft sehr stark von der öffentlichen Meinung ab.