Vielleicht hatte der NDR einen Tipp bekommen, dass das investigative Recherchenetzwerk Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) an dem der Sender beteiligt war, für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen werden würde. Medien berichteten von der Nominierung im Februar 2023. Eine offizielle Bestätigung gibt es grundsätzlich nicht. Das vielfach preisgekrönte OCCRP oder Projekt für die Berichterstattung über Organisierte Kriminalität und Korruption ist mit einem Jahresetat von 20 Mio. Euro, 200 Mitarbeitern und über 100 Medienpartnern und -mitgliedern das größte Netzwerk dieser Art auf der Welt. Ihre wohl bekanntesten Rechercheergebnisse waren die „Panama-Papers“ und „Pandora Papers“, Listen von reichen und zum Teil politisch exponierten Menschen, die in Steueroasen viel Geld versteckt hielten. Große Medienhäuser wie Süddeutsche, Spiegel, Washington Post und New York Times sind an dem Verbund beteiligt.
Vielleicht hatte es aber auch einen anderen Grund, dass der NDR im Januar 2023 zwei seiner Journalisten beauftragte, bei OCCRP und seinem Spitzenpersonal und in seinem Umfeld zu recherchieren. Jedenfalls wurde im Februar die Nominierung bekannt, und entsprechend wohlgemut und auskunftsfreudig waren die Manager und staatlichen Geldgeber des OCCRP. Zu auskunftsfreudig, wie sich herausstellen sollte.
Der NDR hatte wohl den Fehler gemacht, echte Journalisten an die Aufgabe zu setzen. Und diese merkten, dass die Geschichte größer und anders war, als sie gedacht hatten. Sie holten im Sommer 2024 die französische Internet-Zeitung Mediapart, Drop Site News in den USA, Il Fatto Quotidiano aus Italien und Reporters United aus Griechenland mit ins Boot. All das berichtet nicht etwa ein stolzer NDR, der die Recherchen angeschoben hat, sondern nur die Recherchepartner. Ich stützte mich hier auf den Bericht von Mediapart.
Zusammengefasst lauten die Rechercheergebnisse: Das Recherchenetzwerk OCCRP wurde mit maßgeblicher Finanzierung der US-Regierung gegründet, unter Beteiligung von Personen aus dem Militär- und Geheimdienstumfeld. Das sehr große Budget wird zu gut der Hälfte von US-Regierungsstellen aufgebracht, ein Ausmaß, das das Netzwerk verschleiert. Hinzu kommen umfangreiche Mittel von EU und europäischen Regierungen und den großen, staatsnahen Stiftungen in den USA, wie die von George Soros und den Rockefellers.
Die US-Regierung hat ein Veto-Recht bezüglich des Spitzenpersonals von OCCRP und bezüglich der Projektleiter. Die Mittel der US-Regierung sind zum Teil zweckgebunden für Korruptionsrecherchen in Ländern wie Russland und Venezuela, die bei der US-Regierung in Ungnade gefallen sind. In den USA recherchiert das OCCRP kaum und darf es mit Projektfinanzierung der US-Regierung auch ausdrücklich nicht. Außerdem publiziert das OCCRP einen Russian Asset Tracker. Das ist eine Auflistung der im Ausland gehaltenen Vermögenswerte reicher Russen. Diese Vermögenswerte werden gern von Regierungen der USA oder Europas konfisziert, wenn es sich um sanktionierte Personen handelt oder es den Verdacht der Sanktionsumgehung gibt.
Was passierte, als die Rechercheure von Mediapart das Management des OCCRP mit den Erkenntnissen konfrontieren wollten, die sie zu den erheblichen Einflussmöglichkeiten der US-Regierung auf den Rechercheverbund gesammelt hatten, bescheibt Mediapart in einem gesonderten Bericht zum seltsamen Agieren des NDR. Sie legten ihre geplanten Fragen an das OCCRP dem NDR-Management vor. Dieses habe zwar keine inhaltlichen Bedenken geäußert, aber mitgeteilt, dass der NDR sich nicht an der Übersendung dieser kritischen Fragen beteiligen wolle. Auf Nachfrage wurde den vom NDR zur Beteiligung an der Recherche eingeladenen Medien von den Leitern des NDR-Programmbereichs Information Andreas Cichowicz und Adrian Feuerbacher, sowie der stellvertrenden Programmchefin Juliane von Schwerin beschieden, dass man sich nach intensiven und kontroversen Diskussionen entschieden habe, das Projekt vorläufig nicht weiterzuverfolgen. Laut NDR fehle es dem Thema an Relevanz für ein breites Publikum und auch für das Medienmagazin Zapp sei es nicht geeignet.
Die eigene Partnerschaft mit dem OCCRP setzte das NDR-Management, Mediapart zufolge, im September 2023 aus, nachdem es einen vorläufigen Bericht über die staatliche Einflussnahme auf das OCCRP zur Kenntnis genommen hatte. Die Berliner Zeitung zitiert wenig überzeugende Stellungnahmen des NDR, wonach man keinem externen Druck nachgegeben habe und es sich bei der Nichtveröffentlichung der eigenen Recherchen nicht um Selbstzensur handle. Der Stand der Recherche sei in keinem veröffentlichungsfähigen Stadium gewesen, antwortete der Sender der Zeitung.
Fazit
Man konnte es recht gut erahnen, dass Recherchenetzwerke wie das OCCRP missbraucht werden, um Regierungen zu helfen geopolitische Konkurrenten oder missliebige Personen zu diskreditieren. In der Liste derer, über die im Zusammenhang mit den Panama- und Pandora-Papers berichtet wurde, waren die westlichen Reichen und Unternehmen allzu dünn gesät, relativ zu russischen und weißrussischen Oligarchen und anderen in Washington schlecht gelittenen Menschen. Auch die Natur der Recherchen gab immer wieder Anlass zu Zweifeln, ob diese wirklich nur mit journalistischen Mitteln betrieben wurden. Immer wieder handelt es sich um Papiere und Informationen, die für Geheimdienste erheblich leichter zu beschaffen sind als für Journalisten.
Deshalb sollte man sich gerade bei solchen Rechercheverbünden, die auf maximale Verbreitung der – wie auch immer ermittelten – Skandale angelegt sind, in jedem Fall kritisch fragen, wessen Agenda eventuell befördert wird und ob es wirklich plausibel ist, dass die Informationen selbst ermittelt und nicht von einer interessierten Regierung oder einem Geheimdienst zugesteckt wurden, um Gegnern zu schaden.
Nachtrag (14:50 Uhr): NDR berichtet online
Das NDR-Medienmagazin Zapp berichtete mit einem um 11:30 Uhr auf seiner Netzseite veröffentlichten Artikel über die Rechercheergebnisse zu OCCRP, wie sie von Mediaset veröffentlicht wurden. In einer Box am Ende nahm Zapp auf etwas schräge Weise Stellung zum Vorwurf der Selbstzensur, der sich allerdings nicht gegen Zapp, sondern gegen das NDR-Spitzenmanagement gerichtet hatte:
„Was hat ZAPP damit zu tun?
Mediapart erhebt in einem zweiten Artikel den Vorwurf, der NDR habe die eigene Recherche zum Thema OCCRP „zensiert“. Hierzu stellt die ZAPP-Redaktion klar: Es gab keinerlei Zensur bei ZAPP, dieser Vorwurf entbehrt jeglicher Grundlage. ZAPP war an der NDR-Recherche zu OCCRP gar nicht beteiligt und auch nicht Teil der internationalen Recherchekooperation. Auch der NDR insgesamt hat den Vorwurf der Zensur nach Veröffentlichung der Recherchen zurückgewiesen.Autoren des NDR haben die Recherche begonnen und über einen längeren Zeitraum fortgeführt. In der Abwägung gegenüber anderen Projekten haben wir uns gegen eine Beteiligung entschieden. Dies war alleinige und freie Entscheidung der Redaktion. ZAPP berichtet unabhängig und immer wieder kritisch über den NDR. Auch deswegen hat die Redaktion sich dagegen entschieden, eine Recherche zu übernehmen, die nicht in der Redaktion entstanden ist. Wir haben uns stattdessen darauf vorbereitet, im Nachgang über die Recherche und ihre möglichen Auswirkungen zu berichten.“