Lange haben die etablierten Medien und die meisten Journalisten entweder dazu geschwiegen oder es sogar begrüßt, dass ihre Konkurrenten von den alternativen Online-Medien mit Instrumenten wie dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz und Faktenchecker-Zensoren der sozialen Medien zunehmend zensiert oder in ihrer Verbreitung erheblich eingeschränkt werden.
Nun hat es ein großes etabliertes Medium selbst erwischt, wenn auch eines, das nicht als eines der besonders Seriösen gilt: die New York Post. Twitter und Facebook haben die Weiterverbreitung einer Titelstory der Zeitung über Joe Biden und seinen Sohn Hunter blockiert.
Twitter und Facebook als Zensoren
In der Titelstory der New York Post vom 14. Oktober geht es um E-Mails, die zeigen sollen, dass Joe Biden als Ukraine-Beauftragter der Regierung unter Obama näher an den Geschäften seines Sohns Hunter in der Ukraine war, als er zugibt. Twitter sperrte den Twitter-Account der Zeitung und blockierte Tweets anderer Nutzer, wenn sie Links auf diesen Artikel enthielten, mit dem Hinweis, der Link sei „möglicherweise schädlich“.
Auch der Twitter-Account der Pressesprecherin des Präsidenten, Kayleigh McEnany, die versuchte, den Link weiterzuverbreiten, wurde gesperrt.
Zunächst begründete Twitter die Sperrungen und Blockierungen damit, dass die Informationen in dem Artikel möglicherweise durch Hacking beschafft worden seien. Dann wechselte man die Begründung dahingehend, dass der Artikel persönliche Details wie E-Mail-Adressen enthielte, was gegen Twitter-Regeln verstieße.
Twitter-Chef Jack Dorsey nannte später die Kommunikation um die Sperren inakzeptabel, hielt die Blockade des Artikels jedoch aufrecht. Nur für die Zukunft entschied Twitter dann, dass man künftig Berichte mit gehackten Informationen nur noch dann blockieren werde, wenn die Hacker selbst sie verbreiteten.
Facebook gab an, die Verbreitung des Artikels einzuschränken, bis die Faktenchecker-Partner der Plattform seinen Inhalt überprüft hätten.
Man beachte: das war eine dritte, alternative Begründung mit der das zweite der beiden für politische Themen wichtigsten sozialen Netzwerke die Verbreitung eines Zeitungsartikels unterbinden, und zwar beide den gleichen und praktisch ohne Verzug. Wer mag da noch glauben, dass das unabhängige Entscheidungen sind, und nicht gesteuert ist?
Deutsche Medien: tendenziös und am Thema vorbei
Die großen überregionalen Zeitungen in Deutschland haben zwar mindestens online berichtet (Printausgaben habe ich nicht überprüft). Aber wie?! Meistens beließen sie es bei Berichten, die sie von der Deutschen Presseagentur (dpa) direkt übernahmen oder etwas ergänzten.
Informierte man sich nur über diese Berichte über den Vorfall, käme man kaum auf den Gedanken, dass hier eine Schwelle zur offenen Zensur und Wahlmanipulation durch die mächtigsten Sozialmedienunternehmen der Welt überschritten wurde – eine Schwelle, die nie hätte überschritten werden dürfen.
Die Frankfurter Rundschau gehört zwar nicht mehr zu den wichtigen Zeitungen, aber der Bericht des traditionell linksliberalen Blatts, der nicht von der dpa stammt, ist symptomatisch dafür, wie man alles akzeptiert, wenn es nur gegen Trump geht.
Schon in der Überschrift wird der Vorfall gegen Trump gewendet:
„Twitter-Wirbel um geblockten Biden-Artikel: Trump wittert Zensur – und blamiert sich dann öffentlich
Trump „wittert Zensur“, als ob das hier kein Fall von offenkundiger Zensur wäre. Damit, dass er Zensur wittert, macht Trump sich lächerlich, wird man verleitet zu denken. Aber darum geht es gar nicht. Es geht vielmehr darum, dass Trump danach noch einen satirischen Tweet weiterverbreitet habe, ohne zu merken, dass es Satire war.
In dem Rundschau–Beitrag, den man mit dümmlich noch freundlich umschreiben würde, wird alles an Trump entlang und gegen ihn geschrieben. Erster Absatz:
„Eigentlich liebt Donald Trump sie, doch nun kriselt die Beziehung. Die Rede ist von Sozialen Medien. Der US-Präsident ist verärgert über das Verhalten von Facebook und insbesondere Twitter, nachdem sie am Mittwoch Verlinkungen zu einem umstrittenen Zeitungsartikel über Präsidentschaftskandidat Joe Biden und dessen Sohn blockiert hatten. Umgehend wittert die Trump-Seite Zensur und ging auf die Barrikaden. Hat die Kontroverse Einfluss auf die US-Wahl?
Bei den größeren Zeitungen,die sich vor allem bei dpa bedienen, ist der Anti-Trump-Bias, der bei diesem Thema so gar nichts verloren hat, zwar weniger ausgeprägt. Aber er führt doch dazu, dass die Affäre so dargestellt wird, als ginge es um irgendeine Episode im Hickhack zwischen dem Lager Trump und dem Lager Biden, bei dem offen sei, wer im Recht ist.
Der Zensurvorwurf wird allein Republikanern zugeschrieben, als ob nicht jede Menge andere, parteipolitisch neutrale Leute das auch so sehen würden.
Der FAZ-Bericht trägt die Dachzeile „Zweifel am Bericht über Biden“ und den fast schon irreführenden Titel: „Weißes Haus beklagt Sperre durch Twitter“. Ein Folgeartikel, der überwiegend von dpa übernommen zu sein scheint, ist kaum besser.
Das beste, was man über den direkt von dpa übernommenen Bericht der Süddeutschen Zeitung sagen kann, ist, dass er eine halbwegs sachliche Überschrift hat mit „Twitter blockt umstrittenen Bericht über Biden“. Tenor: Trump ist doof und aggressiv. Twitter war vielleicht ein bisschen ungeschickt.
Auch die Welt kommt mit einem längeren Agenturbericht, dessen hinterer Teil sich – wohl für die Ausgewogenheit – der Kritik an Trumps angeblichen Russland-Verbindungen widmet.
Spiegel Online macht den Vorfall mit einem in weiten Teilen von der Nachrichtenagentur afp übernommenen Artikel unter der Überschrift „Soziale Netzwerke blockieren kritischen Bericht über Biden – Trump gefällt das überhaupt nicht“ ebenfalls zu einer Trump-Story. Der erste Absatz lautet:
„Twitter ist das liebste Medium des US-Präsidenten. Weitgehend ungefiltert kann er dort Botschaften an seine fast 90 Millionen Follower verbreiten. Immer wieder jedoch gerät Donald Trump mit den Verantwortlichen der Plattform aneinander – etwa, wenn Twitter eine seiner besonders heiklen Mitteilungen mit einem Warnhinweis versieht. Nun gibt es wieder einmal Streit.
Dann kommen noch zwei Trump-Absätze, bevor der Vorfall berichtet wird. Mit einer fetten Zwischenüberschrift „Es gibt dringende Fragen zur ‚Herkunft der Materialien'“, die keine Entsprechung im Text hat, und nicht erklärt, warum „Herkunft der Materialien“ in Anführungszeichen steht, wird die Story relativiert.
Bei der Begründungen der Netzwerke für die Zensurmaßnahme tut Spiegel Online so, als wenn die beiden Begründungen von Twitter nicht nacheinander und alternativ vorgebracht worden wären, sondern gleichzeitig und sich ergänzend.
Bei ntv.de, wo man sich auf dpa stützt, ist es ganz ähnlich.
Insgesamt sind die Berichte über diese Episode ein Musterbeispiel dafür, wie sich die Presse über zwei, drei Nachrichtenagenturen, deren Berichte oder zumindest Tenor alle übernehmen, gleichrichten lässt, und wie durchgängig verzerrt die Information der Öffentlichkeit dadurch werden kann.
Das Offensichtliche wird ausgeblendet
Kein einziger der Texte, die ich gesichtet habe, befasst sich ernsthaft mit der sich geradezu aufdrängenden Frage, inwiefern Twitter und Facebook hier parteiisch handeln und damit manipulierend in den Wahlkampf eingreifen. Die Antwort wäre allzu offensichtlich ein Ja.
Schließlich ist es nicht lange her, da hat die New York Times die Steuererklärungen des Präsidenten von vor seiner Präsidentschaft in allen Details veröffentlicht. Über Twitter und Facebook wurden und werden die entsprechenden Artikel ungehindert massenhaft verbreitet.
Dabei darf man davon ausgehen, dass das gegen den Willen des Betroffenen geschah und bei der Beschaffung oder Weitergabe der Information gegen Gesetze verstoßen wurde. Die persönlichen Daten, die veröffentlicht wurden, sind erheblich bedeutsamer, als die Mailadressen, um die es im aktuellen Fall ging. Weiter zurückliegende Beispiele von Leaks die sich gegen Trump richten, lassen sich leicht finden.
Es ist gut, dass Trumps Steuererklärungen öffentlich wurden. Genauso müssen Enthüllungen der Presse über Biden unzensiert die Öffentlichkeit erreichen können. Wenn sie falsch sind, müssen die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. So geht das in einem Rechtsstaat mit freier Presse. Das ist eigentlich nicht schwer zu verstehen. Trotzdem tut sich unsere Presse schwer damit.
Wahlfreiheit am Ende
Es ist natürlich denkbar, dass finstere Kreise hinter dem Artikel der New York Post stecken, und die Geheimdienste, denen ja ein enges Verhältnis zu Twitter und Facebook nachgesagt wird, diesen einen entsprechenden Tipp gegeben haben.
Aber selbst wenn es so wäre, oder gerade wenn es so wäre: Es kann doch nicht sein, dass mitten im Wahlkampf Facebook sich zum – parteipolitisch keinesfalls neutralen – Faktenchecker der Nation erhebt, der bestimmt, welche Zeitungsartikel verbreitet werden dürfen, und welche nicht, und dass Twitter seine Zensurregeln gegen unerlaubte Inhalte willkürlich nur auf Presseartikel anwenden darf, die sich gegen eine bestimmte Partei richten.
Unter solchen Bedingungen sind Demokratie, Wahl- und Meinungsfreiheit nur noch dem Namen nach vorhanden. Wie gesagt: Läse man dazu nur Berichte in deutschen Zeitungen, man würde es bestenfalls ganz leise erahnen.
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