Es braucht einen Dieb, um einen Dieb zu fangen.
Als oberster Faktenfinder der ARD, erlangte Pascal Siggelkow im Februar traurig-humorige Berühmtheit, als er mit Unterstützung eines Sprengstoffexperten die vermeintliche These von Seymour Hersh widerlegte, die Nordstream-Gasleitungen seien mit Sprengstoff in Pflanzenform zerstört worden. Weil er keine Ahnung von der Materie hatte, in der er faktencheckend unterwegs war, hatte er einen Fachbegriff falsch übersetzt.
Der mit ihm bloßgestellte Sprengstoffexperte sollte später die ARD scharf dafür kritisieren, dass sie einen einzigen Reporter ohne jede Fachkenntnis auf ein derart technisch anspruchsvolles Thema losgelassen hatte.
Siggelkow hat nach seiner Kurzbiographie „einen Master in Journalistik und Kommunikationswissenschaft absolviert und jahrelang freiberuflich für das Hamburger Abendblatt und die Hamburger Morgenpost gearbeitet. Während seines Volontariats recherchierte er verdeckt zu Ärzten, die Corona verharmlosten und ohne medizinischen Grund Atteste gegen das Tragen von Schutzmasken ausstellten. Seit Januar 2021 arbeitet Pascal Siggelkow für tagesschau.de und ist dort seit Oktober verantwortlich für den ARD-faktenfinder“.
Siggelkow kann sich mit gutem Recht einen ausgewiesenen Experten für Nicht-Expertentum nennen. Seit seinem Nordstream-Pflanzen-Debakel hat er, trotz ziemlich sicher fehlender einschlägiger Sprachkenntnisse, „Faktenchecks“ zur serbischen und iranischen Medienlandschaft und zum Verhandlungswillen der russischen Regierung in Sachen Ukraine-Konflikt veröffentlicht. Diese Expertise hat er nun genutzt, um selbige Nicht-Expertise in einem Faktencheck bei Daniele Ganser, Ulrike Guérot und Gabriele Krone-Schmalz dingfest zu machen: „Krieg in der Ukraine: Viel Aufmerksamkeit für fragwürdige Experten“ heißt der Beitrag.
Daniele Ganser
Darin moniert er, dass Daniele Ganser sich „Friedensforscher“ nennt und Hallen mit tausenden von zahlenden Zuschauern und Zuhörern füllt, obwohl er „keine eigene Forschung oder wissenschaftliche Publikationen speziell über die Ukraine oder zu Russland“ nachweisen könne. Außerdem sei er auch noch erfolgreich und verdiene Geld mit seinem Beruf.
Weniger kundige Menschen würden vielleicht denken, die Tatsache, dass Ganser als Historiker Quellenstudium gelernt und mit seiner Dissertation Nato-Geheimarmeen in Europa (Gladio) aufgedeckt hat, würde ihm Sprechfähigkeit zu aktuellen geopolitischen Vorgängen rund um die Nato verleihen. Doch wahre Experten für Nichtexpertentum legen die Latte deutlich höher, wenn Thesen stark vom regierungsamtlichen Narrativ abweichen, welches gern auch als „Konsens vieler Wissenschaftler“ bezeichnet wird.
Zum Thema Russland und Ukraine darf sich deshalb (abweichlerisch) nur äußern, wer Osteuropa-Historiker ist und es auf wissenschaftlich trockene Weise unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit tut, in Fachzeitschriften oder Vorträgen vor höchstens zwei Dutzend anderen Osteuropa-Historikern. Und natürlich umsonst.
Ulrike Guérot
Auch die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot erdreistet sich wie Ganser, die USA für den Ukraine-Krieg mitverantwortlich zu machen. Sie tut das bar jeder Expertise, wie Nichtexpertenexperte Siggelkow aufdeckt. Denn sie hat „speziell zur Geschichte Russlands oder der Ukraine keine wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht“. Auch seinem Arbeitgeber ARD kann Siggelkow Kritik nicht ersparen, denn trotz ihrer fehlenden Expertise „wurde sie unter anderem in Talkshows eingeladen“. Dass jemand in Talkshows eingeladen wird, weil sie zum verhandelten Thema einen Bestseller geschrieben hat, scheint ihm als Begründung nicht zu reichen.
Wer nun befürchtet, künftig würden nur noch verhärmte Inhaber von Lehrstühlen für Osteuropakunde die Talkshows zu Ukraine und Russland bevölkern dürfen, sei beruhigt: Wer die Verantwortung für den „Angriffskrieg“ ausschließlich Russland zuweist, darf auch ohne spezielle wissenschaftliche Veröffentlichung seine Thesen im Fernsehen verbreiten.
Dass Guérot „auf mehreren Ebenen nicht mit der Thematik vertraut“ ist, über die sie spricht und schreibt, erkennt ein Experte wie Siggelkow auch daran, dass er einen Osteuropakundler gefunden hat, der verschiedentlich anderer Ansicht ist als sie.
Experten finden leicht gemacht
Pascal Siggelkow hat als gut ausgebildeter Journalist gelernt, wie er eine „Geschichte“ so erzählt, dass der Dreh stimmt und sie beim Publikum keine kognitiven Dissonanzen hervorruft. Er vermeidet verstörendes Für und Wider, indem er kundig das auswählt, was die These stützt, und das weglässt, was sie stört. Das steht und fällt mit der richtigen Expertenauswahl. Dabei hilft das Presse- und Medienarchiv.
Martin Aust könnte Siggelkow gefunden haben, weil dieser im November 2022 im Interview mit dem General-Anzeiger das jüngste Buch der „umstrittenen Politikwissenschaftlerin“ Guérot sehr kritisch besprochen hat. Klaus Gestwa, der gegen Ganser und Guérot in Stellung gebracht wird, könnte ihm durch ein kürzlich veröffentlichtes großen Portrait auf t-online aufgefallen sein, in dem dieser als mutiger Kämpfer für die Wahrheit und gegen Ganser, Guérot und Co. präsentiert wird. Die Thesen von Frithjof Benjamin Schenk zu Ganser, die Siggelkow dem Publikum präsentiert, konnte er schon aus Anlass der Kontroverse um den „brandgefährlichen“ Auftritt Gansers an einer Schule in Basel in den Medien lesen. Damals hatte Schenk laut Medien gewettert:
„Ganser, so Schenk, sei ein bekannter Verschwörungstheoretiker, seine Thesen zu den Hintergründen des Ukraine-Krieges seien «unhaltbar» und ausserdem fehle ihm «jegliche fachliche Expertise, um über dieses Thema öffentlich zu sprechen. Herr Ganser habe nie zu Osteuropa geforscht, er spreche weder Russisch noch Ukrainisch und kenne die Region nur aus den Medien und aus der Sekundärliteratur, so Schenk. «Ich halte es aber vor allem deshalb für brandgefährlich, einen solchen ‹Wissenschaftler› an eine Schule einzuladen, weil er seinem jungen Publikum – wie alle Verschwörungstheoretiker – scheinbar einfache Antworten auf komplexe Fragen zum Weltgeschehen präsentiert und im Fall des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine immer wieder Positionen der russischen Staatspropaganda verbreitet.»“
Ein gut ausgebildeter Journalist überlässt es eben nicht dem Zufall, was er von den Experten, die er anspricht, zu hören bekommt. Gute Recherche und Auswahl ist das A und O einer stimmigen Geschichte.
Für Kollegen, die damit noch nicht so vertraut sind, hätte Siggelkow vermutlich Arbeitstipps wie folgende parat: Einfach das Wort „Kritik“ und den Namen des zu Demontierenden in eine Suchmaschine eingeben. Das reicht oft schon, um eine ausreichende Anzahl passender Experten aufzuspüren. Auch ein Blick in den Wikipedia-Artikel kann bei der Suche nach passenden Experten zu „umstrittenen“ Personen hilfreich sein. Wenn man nur einen Kritiker gefunden hat, kann man von diesem in der Regel die Namen weiterer passender Experten erfahren. Zwei sollten es mindestens sein, besser drei, damit es halbwegs seriös wirkt und den Anschein eines wissenschaftlichen Konsenses erweckt.
Gabriele Krone-Schmalz
Die ehemalige ARD-Russlandkorrespondentin Gabriele Krone-Schmalz sei „differenzierter zu betrachten“, meinen Siggelkow und seine Experten. Schließlich kann er der langjährigen Russland-Expertin seines Arbeitgebers schlecht fehlende Expertise bescheinigen. Insofern entfällt das Erfordernis einschlägiger wissenschaftlicher Publikationen in ihrem speziellen Fall. So bleibt lediglich, dass sie mit ihren aktuellen Thesen „stark vom wissenschaftlichen Konsens“ (ihrer Kritiker) abweicht und Putin nicht hinreichend deutlich verdammt, um das hohe Ansehen als Expertin, das Krone-Schmalz „in Teilen der Öffentlichkeit“ genießt, mit dem Prädikat „fragwürdig“ zu versehen.
Die Kundschaft der Faktenchecker
Immer wieder werde ich gefragt, warum ich mir die Mühe mache, solche unjournalistischen Schmierereien wie die von Siggelkow zu analysieren und zu besprechen. Die nehme doch ohnehin kaum jemand ernst, heißt es. Diese Sichtweise verkennt die Funktion von Faktenchecks.
Bei diesen geht es nur zum kleineren Teil darum, die Botschaft direkt ans Publikum zu bringen. Die EU, die großen amerikanischen Stiftungen und die US-Regierung unterstützen nicht ohne Grund mit relativ viel Geld die Faktenchecker-Netzwerke. Deren Mitglieder schreiben zum einen alle voneinander ab. Zum anderen nehmen viele Medienleute sehr gern das Angebot an, in diesen Faktenchecks zu sensiblen Themen oder „umstrittenen“ Personen passende Versatzstücke für eigene Stories zu finden, von denen sie wissen, dass sie sich damit auf keinen Fall in irgendwelche Nesseln setzen.
Auf diese Weise haben die Faktenchecks einen starken Multiplikatoreffekt. Getreu dem Erfahrungssatz, dass das Publikum alles glaubt, was es oft genug in den Medien gelesen oder gehört hat, sorgen sie mit dafür, dass Personen und Thesen, die sich dem vorherrschenden Narrativ entgegenstellen, einen Aussätzigenstatus bekommen und nie ohne den abwertenden Zusatz „umstritten“ erwähnt werden.
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Florian Warweg hat auf den Nachdenkseiten in einem Faktencheck der Faktenchecker noch viele weitere unterirdische Dreistigkeiten identifiziert: solche der Faktenchecker und „Experten“, die ihren eigenen Expertiseansprüchen bei weitem nicht gerecht werden, sowie des Senders, der seinem Programmauftrag verletzt und die Rechtfertigung des Rundfunkbeitrags untergräbt.